TK: Herr Fietze, Medien sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Wie hat sich Ihrer Ansicht nach die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren entwickelt?  

Henning Fietze: Fantastisch und bedenklich gleichzeitig: Kinder und Jugendliche sind mit Medien kreativ und voller Fantasie - sie gestalten tolle Collagen, produzieren kleine Videoclips, entwickeln komplexe Computerspiele kreativ weiter oder nehmen einfach mal ein gutes altes Hörspiel auf.

Konsumiert prasseln aber viele Eindrücke auf sie nieder: Reels, Shorts, hektische Bewegtbilder, verkürzte News, perfide Belohnungsmechanismen in Games und eine große Tüte Suchtpotenzial: Es ist heute nicht einfach, gesund und munter durch die durchschnittlichen Medienwelten zu gehen. 

Es ist heute nicht einfach, gesund und munter durch die durchschnittlichen Medienwelten zu gehen. Henning Fietze, Offener Kanal Kiel 

TK: Ab welchem Alter ist die Vermittlung von Medienkompetenz bei Kindern sinnvoll? 

Fietze: Klingt komisch, aber das fängt vorgeburtlich an: Wenn die Eltern ihre Medienzeiten im Griff haben, fällt es leicht, nicht sofort mit dem digitalen Babysitter zu starten und das Neugeborene sieht öfter mal ins offene Gesicht der Eltern und nicht immer auf die Rückseite eines Handys. Vorbild sein ist alles!

Später haben Kitas und die Grundschule neben den Eltern viel zu leisten: Kreative Mediengestaltung darf (und sollte) auch im Kindergarten Platz haben; die echte intellektuelle Auseinandersetzung mit Medienangeboten kann mit fünf Jahren beginnen und ab der dritten Klasse sind Kinder in der Lage, auch abstrakte Risikoabwägungen etwa für Freunde und Freundinnen mitzubestreiten. 

Kinder können unglaublich empathisch und fast weise erkennen, wenn der Kumpel von nebenan in digitale Welten abdriftet und gar nicht mehr richtig ansprechbar ist. Als Indikatoren sind sie super, aber natürlich sind die Eltern dann die Erziehungsinstanz.

Henning Fietze

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Offener Kanal Schleswig-Holstein, Leiter des Bereiches Medienkompetenz und Lehrbeauftragter für Medienbildung an der Fachhochschule Kiel 

TK: Warum ist Medienkompetenz auch Gesundheitskompetenz?
 
Fietze: Digitale Medien sind sehr wirkmächtig. Das ist wunderbar und macht sie so attraktiv: Ein Kinderfilm kann traurig oder euphorisch stimmen, gruselige Musik, brutale Gaminginhalte, hocheffizient programmierte Belohnung in Social Media können gesundheitlichen Einfluss nehmen. Die Macht der Medien ist so stark, dass ein einzelnes Medienerlebnis traumatisieren kann und die falsche Dosis mit dem falschen Inhalt voll im limbischen System ankommt. Training ist nicht immer etwas Positives.

Wenn Kinder die richtigen Medien aussuchen können und auch fast das richtige Maß treffen, ist das für eine Psyche, die sich noch entwickelt, so wichtig wie gesunde Ernährung im Körper.  

TK: Ab welchem Umfang wird Mediennutzung und -konsum ungesund? 

Fietze: Wenn ein sozial eingebetteter Alltag nicht mehr möglich ist. Da gibt es keine Stundenzahl. Wenn Alterskennzeichen keine Rolle spielen, werden Kinder psychisch überfordert. Wenn es keinen Ausgleich, kein körperliches Auspowern im Team gibt, wenn Online ohne Freude und mit Pflicht "gelevelt" wird - dann ist das Zuviel auch für Außenstehende sichtbar. Wir empfehlen: Eltern sollten sich jeden Tag 30 Minuten Zeit nehmen, um sich ungestört in Gespräch und Praxis mit der Medienwelt des Kindes beschäftigen - dann ist viel geholfen. Über das Lieblingsgame reden, ermöglicht auch, über Bedenken zu sprechen. Zusammen eine KinderApp ausprobieren, zeigt den Kids: Eltern haben echtes Interesse an der digitalen Lebenswelt.

TK: Wie kann die mediale Erziehung von Kindern in den eigenen vier Wänden aussehen? 

Fietze: Zeit nehmen, reden, begeistert mitmachen, Grenzen setzen und begründen und miteinander immer am Ball bleiben. Eltern müssen nicht alles kennen und kapieren, sie haben die große Stärke der Risikokompetenz: Wo könnte für mein Kind etwas überfordernd sein? Wo lauert ein Datenschutzleck oder einfach ein unseriöser Anbieter - wenn sich Eltern mit anderen Eltern unterhalten, Zeit für neue Mediensensationen ihrer Kids haben und Kita oder Schule das begleiten, können digitale Medien das Aufwachsen bereichern - das macht aber wie vieles Schöne, viel Arbeit.