Die vorwiegend genetisch bedingte Redeflussstörung Stottern ist eine in ihren Auswirkungen oft unterschätzte Sprechstörung, die alle Lebensbereiche negativ durchdringen und zu massivem Leidensdruck führen kann. Rund 800.000 Menschen in Deutschland sind davon dauerhaft betroffen, Männer etwa fünfmal so häufig wie Frauen. Rund fünf Prozent aller Kinder sind im Laufe ihrer Entwicklung vom Stottern betroffen, im Erwachsenenalter sind es nur noch ein Prozent.

Nicht selten durchlaufen die Patientinnen und Patienten über Jahre einen Marathon diverser Behandlungen, ohne eine dauerhafte Verbesserung ihrer Sprechflüssigkeit zu erwirken. In der Regel kann die neurologische Schwäche jenseits des Vorschulalters nicht mehr geheilt, aber durch Übungsverfahren kompensiert werden.

Erfolgsgeschichten

Im TK-Blog #WirTechniker haben wir zwei Erfolgsgeschichten der Kasseler Stottertherapie  veröffentlicht.

Wie funktioniert die Kasseler Stottertherapie?

Die Kasseler Stottertherapie arbeitet nach dem sogenannten "Fluency Shaping"-Verfahren und basiert auf verhaltenstherapeutischen Prinzipien. Durch das Üben mit einem audio-visuellen Biofeedbackprogramm eignen sich die Patienten und Patientinnen eine spezielle Sprechweise an, die das Auftreten von Unflüssigkeiten beim Sprechen deutlich verringert. Grundlage dieser veränderten Sprechweise ist das systematische Erlernen eines weichen Stimmeinsatzes mittels einer speziellen Übungssoftware. Äußerungen können dann ohne Hast, Spannung oder Druck weich gesprochen werden.

Durch diese Vorgehensweise sowie Hilfen beim Bewältigen der psychosozialen Belastungen und Sprechängste können selbst schwer stotternde Menschen lernen, sehr flüssig zu sprechen. Das Ziel ist ein dauerhaft flüssigeres Sprechen mit Kontrolle über den eigenen Sprechablauf.

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Straßeninterview als therapeutisches Element

Straßeninterview als therapeutisches Element

Die klassische Version der KST gibt es in vier altersspezifischen Angeboten als Präsenztherapie. Seit 2014 gibt es die Kasseler Stottertherapie - zusätzlich zur Präsenztherapie - auch als reine Online-Therapie. Zur Festigung des Gelernten sind in der strukturierten Nachsorge mehrere Auffrischungswochenenden sowie Online-Sitzungen integriert. Die Online-Therapie ermöglicht es den Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen, das Leistungsangebot bundesweit an jedem Ort zu nutzen. Die Patienten und Patientinnen können zu Hause an den Therapiesitzungen teilnehmen. Im Vergleich zu einem zweiwöchigen Präsenzkurs erfordert die Teilnahme an einem Online-Kurs je nur knapp eine Woche Abwesenheit vom normalen Alltag.

Therapie im virtuellen Raum

In der reinen Onlinevariante der KST treffen sich die Betroffenen mit ihrem Therapeuten oder Therapeutin ein Jahr lang regelmäßig über die Online-Therapieplattform "KST-Freach" zu virtuellen Therapiesitzungen. Anfangs mit hoher Stundenfrequenz über einige Stunden pro Tag, dann mit zunehmend abnehmender Intensität im Verlaufe des Jahres. Die Behandlung findet zu Beginn im Einzelsetting, später überwiegend in der Gruppe statt. Die Biofeedback-Software "KSZ-Flunatic" ermöglicht außerhalb der Therapiesitzungen regelmäßiges, präzises Üben zu Hause, um die neu erworbenen sprechmotorischen Fähigkeiten langfristig aufrechtzuerhalten. Die Übungszeiten werden von der Therapeutin oder dem Therapeuten überprüft.

Kleineren Kindern mit einer behandlungsbedürften Sprechstörung hilft das Institut der Kasseler Stottertherapie mit einer speziellen, kindgerechten Therapie für Drei- bis Sechsjährige. Bei vielen Kindern tauchen in dieser Phase alterstypische Sprechunflüssigkeiten auf, die meist von alleine wieder aufhören. Ist das nicht der Fall, kann eine behandlungsbedürftige Sprechstörung dahinterstecken. Eines der zentralen Elemente dieses Therapieansatzes ist es, dass die Eltern die Therapie ihrer Kinder unterstützen und begleiten. Das Hessische Ministerium für Soziales und Integration hat dieses Projekt mit insgesamt rund 490.000 Euro im Rahmen seiner E-Health-Initiative gefördert.

Mehrere, auch internationale Veröffentlichungen belegen, dass sich während der Stottertherapie die Sprechflüssigkeit - gemessen in Silbenprozent - drastisch verbessert. Zwar liegt der Schwerpunkt beim sprechmotorischen Üben; zudem sind aber auch verschiedene kognitive verhaltenstherapeutische Elemente sehr effektiv. Dazu gehört beispielsweise, dass die Patientinnen und Patienten schwierige Situationen wie Vorträge vor Auditorium oder Passanten-Befragungen bewältigen oder Angsthierarchien vor Sprechsituationen abarbeiten. Im Rahmen der Kasseler Stottertherapie normalisiert sich die Einstellung der Patienten und Patientinnen zum Sprechen sogar noch stärker als die Sprechflüssigkeit: Das heißt, die Ängste vor dem Sprechen und schwierigen Situationen werden geringer und die Betroffenen öffnen sich wieder für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Daten einer mit der TK gemeinsam durchgeführten zweijährigen Interventionsstudie zeigen, dass die rein teletherapeutisch durchgeführte KST die objektiven und subjektiven Stottersymptome genauso signifikant reduziert wie die vergleichbare bewährte Präsenztherapie. "Diese Daten unterstreichen, dass es sehr gut möglich ist, eine erfolgreiche Präsenztherapie komplett in den virtuellen Raum zu bringen", sagt Dr. Alexander Wolff von Gudenberg, Arzt für Allgemeinmedizin, Stimm- und Sprachstörungen und Ärztlicher Leiter der Kasseler Stottertherapie.

Dr. Alex­ander Wolff von Guden­berg

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Ärztlicher Leiter des Instituts der Kasseler Stottertherapie

Aus Sicht der TK ist die Onlinetherapie besonders während der Covid-19-Pandemie hilfreich. Aktuell können sämtliche Kurs- und Therapieangebote der Kasseler Stottertherapie online in Anspruch genommen werden. Darunter fallen auch alle Kurse, die bislang als Präsenztherapie angeboten wurden. So können während der Corona-Krise alle Kurse und Therapien weitergeführt und gleichzeitig die Versicherten und Therapeuten geschützt werden.

"Durch die jahrelange Zusammenarbeit in mehreren von der Hessenagentur unterstützten Projekten mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg konnten wir viel Erfahrung in der automatisierten Auswertung von pathologischer Sprache sammeln. Hinzu kommt die langjährige Erfahrung mit unserer eigenen Biofeedbacksoftware "KST-Flunatic". Das versetzt uns in die Lage, das Konzept - über die von Therapeuten und Therapeutinnen begleitete reine Online-Therapie hinaus - zu einer Version weiterzuentwickeln, in der die Patienten und Patientinnen ohne Therapeut oder Therapeutin arbeiten", so Wolff von Gudenberg. 

Internationale Ausweitung

Da die Online-Therapie keinen geographischen, sondern lediglich Sprachgrenzen unterliegt, ist aus Sicht von Dr. Wolff von Gudenberg neben der Indikationsausweitung auch eine geographische Skalierung in alle Sprachräume dieser Welt möglich. "Nach erfolgreichen Machbarkeitsstudien in Brasilien und Kuweit arbeiten wir an der Umsetzung der Vision, sprachtherapeutisch schlecht versorgte Regionen dieser Welt telemedizinisch zu versorgen und auch die oftmals nicht vorhandene Ausbildung von Therapeuten online zu ermöglichen", so Dr. Wolff von Gudenberg. 

Institut der Kasseler Stottertherapie

Was das Institut der Kasseler Stottertherapie (KST) einzigartig und erfolgreich macht, sind die wissenschaftlich belegten Erfolge. Die aktuelle S3-Leitlinie "Redeflussstörungen, Pathogenese, Diagnostik und Behandlung" der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) bestätigt, dass die KST eine der weltweit besten, wissenschaftlich belegten Stottertherapien ist. 2014 wurde der Versorgungansatz mit dem Medizin-Management-Preis ausgezeichnet. Die fachärztliche Leitung des Instituts und qualifizierte Sprechexperten sichern die bestmögliche Versorgung. Das Institut ist nicht nur "Quantitätsführer" mit den meisten durchgeführten Intensivtherapien, sondern auch "Qualitätsführer" mit einer wissenschaftlich nachgewiesenen, sehr hohen Erfolgsquote. Demnach können ca. 75 Prozent der Klienten langfristig ihr flüssigeres Sprechen aufrechterhalten.

Das Institut der KST beschäftigt sich auch mit der Frage, wie die Behandlung des Stotterns und weiterer Sprechstörungen in der Zukunft aussehen könnte. Es arbeitet derzeit mit weiteren Partnern, darunter dem Berliner Fraunhofer Institut "Fokus", an einer teilautomatisierten Therapie für Menschen mit verschiedensten Sprechstörungen. Zudem ist geplant, eine gestufte Versorgung ("Stepped care"-Modell) in der Stottertherapie zu etablieren. In dem Modell soll individuell differenziert werden, ob Patienten lediglich eine selbst organisierte Therapie mit der Software "SpeechAgain" benötigen, ob eine Online-Therapie zusätzlich durch einen Therapeuten begleitet werden muss und welche schwer zu behandelnden Patienten am besten in einer Präsenztherapie aufgehoben sind.