Maren Puttfarcken, Leiterin der TK-Landesvertretung Hamburg, erläutert im Interview, weshalb es erneut ein Defizit gibt und welche Maßnahmen ergriffen werden sollten, um die Finanzierung des Gesundheitssystems zukunftssicher aufzustellen.

TK: 2023 ist das dritte Jahr in Folge, das mit einer kurzfristig geschlossenen Milliardenlücke in der GKV gestartet ist. Wie kam zu dieser Milliardenlücke in den GKV-Finanzen?

Maren Puttfarcken: Wir haben in der GKV ein strukturelles Problem: Die Ausgaben steigen stärker als die Einnahmen. Um die Finanzen zu stabilisieren, muss man sowohl die Einnahmen- als auch die Ausgabenseite in den Blick nehmen. Dabei darf die Lösung aber nicht erneut einfach heißen "Beiträge erhöhen". Die Lasten müssen fair verteilt werden, und auch der Bund muss seiner Verantwortung nachkommen. Das heißt zum Beispiel, dass er die Versicherungsbeiträge bei Bezug von Bürgergeld endlich auskömmlich finanzieren muss. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und so auch im Koalitionsvertrag vorgesehen - bislang werden die Kosten dafür aber maßgeblich von den Beitragszahlenden gestemmt. Das Prinzip "Beitragsgelder für gesamtgesellschaftliche Aufgaben" ist problematisch. Das sehen wir auch bei der geplanten Finanzierung der neuen Stiftung der Unabhängigen Patientenberatung (UPD) durch Beitragszahlende: Das ist ein Schritt in die falsche Richtung, das breite Angebot geht schließlich weit über das GKV-Themenspektrum hinaus. Auch eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze halten wir für falsch. Wieder würden die Beitragszahlenden der GKV draufzahlen, und die GKV wird im Wettbewerb mit der privaten Krankenversicherung (PKV) geschwächt.

Maren Puttfarcken

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Leiterin der TK-Landesvertretung Hamburg

TK: Wie lassen sich die Ausgaben also in den Griff bekommen?

Puttfarcken: Mittelfristig bietet der Bereich Arzneimittel großes Potenzial, um die Ausgaben zu senken. Wir brauchen faire Preise für neue Arzneimittel. Die Ausgaben der GKV für neue und damit patentgeschützte Arzneimittel haben sich innerhalb von fünf Jahren nahezu verdoppelt. Eine wirksame Sofortentlastung wäre die Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel auf sieben Prozent. Auch die Ausgaben im Bereich Hilfsmittel sind in den vergangenen Jahren immens gestiegen - zum Teil, weil Krankenkassen die Versorgung nicht mehr ausschreiben dürfen. Dabei sorgen Ausschreibungen für Transparenz, ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, und über entsprechende Parameter kann die Qualität sichergestellt werden. 

Zum Thema Effizienzsteigerung kann auch die Digitalisierung im Gesundheitswesen entscheidend beitragen. Maren Puttfarcken, Leiterin TK-Landesvertretung Hamburg

TK: Arzneimittel-Ausgaben begrenzen und Ausschreibungen von Hilfsmitteln mit Qualitätsvorgaben wieder ermöglichen - welche Vorschläge gibt es darüber hinaus, um die GKV-Finanzen auf einen soliden Sockel zu stellen?

Puttfarcken: Wichtig ist, dass Qualität und Wirtschaftlichkeit sich nicht ausschließen - im Gegenteil: Eine zielgenaue und bedarfsgerechte Versorgung kann beides verbessern. Wir müssen aber im Gesundheitssystem effizienter werden. Wir Krankenkassen können dazu beitragen, denn wir sind ohnehin der Wirtschaftlichkeit verpflichtet. Dafür brauchen wir aber, wie das Beispiel Ausschreibungen für bestimmte Hilfsmittel zeigt, mehr Handlungsspielräume. Zum Thema Effizienzsteigerung kann auch die Digitalisierung im Gesundheitswesen entscheidend beitragen. Hier schlummert laut Studien ein Einsparpotenzial von mehr als 30 Milliarden Euro, das wir schlichtweg nicht nutzen. Selbst wenn nur die Hälfte der genannten Summe erreicht würde, nähme das viel Druck von den Finanzen der Krankenkassen. Zusätzlich würde überflüssige Bürokratie wegfallen, was viele sicherlich sehr glücklich machen würde. Beispielsweise müssen Arztpraxen immer noch kompliziert und umständlich ihre Quartalsabrechnung vornehmen - das ist überholt. Leider sind wir hier aber noch nicht so weit, wie wir sein müssten - bis die Entlastung in den Praxen auch tatsächlich ankommt, muss noch einiges geschehen.