Dr. Catriona Friedmacher und Dr. Dorothea Lemke vom Institut für Allgemeinmedizin der Uni Frankfurt haben die Online-Schulungen im Rahmen des Qualitätssiegels "Nachhaltige Praxis - Klima. Umwelt. Mensch." mitgestaltet. Wir haben mit ihnen darüber gesprochen, wie sich Arztpraxen nachhaltiger aufstellen können.

TK: Wie groß ist der CO₂-Fußabdruck von Arztpraxen? Warum ist es wichtig, dass auch sie sich am Klima- und Umweltschutz beteiligen?

Wir wissen, dass der Gesundheitssektor zu einem der größten Treibhausgas (THG)-Emittenten weltweit gehört. Dr. Friedmacher / Dr. Lemke

Dr. Catriona Friedmacher und Dr. Dorothea Lemke: Arztpraxen sind noch nicht verpflichtet, die CO₂-Emissionen ihrer Praxen zu berechnen. Daher gibt es wenig verlässliche Zahlen zum CO₂-Fußabdruck von Arztpraxen. Dennoch wissen wir, dass der Gesundheitssektor zu einem der größten Treibhausgas (THG)-Emittenten weltweit gehört. In Deutschland sind das ungefähr fünf Prozent der gesamten THG-Emissionen. Und Berechnungen einer schweizerischen Studie zufolge produziert eine Durchschnittspraxis circa 30 Tonnen CO₂-Äquivalente pro Jahr und ein durchschnittlicher Hausarztbesuch etwa 4,8 kg CO2-Äquivalente.

Dr. Doro­thea Lemke und Dr. Catriona Fried­ma­cher

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Dr. Lemke (li.)  und Dr. Friedmacher, Institut für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt

Die Zunahme der Treibhausgase in der Atmosphäre ist direkt mit dem Treibhauseffekt verbunden, der dafür sorgt, dass mehr Wärmeenergie in der Atmosphäre gefangen wird und letztendlich zu einer zunehmenden Erderwärmung führt. Diese Erwärmung der Atmosphäre führt zu einer Zunahme an Extremwetterereignissen in Häufigkeit und Intensität und zu deutlichen instabileren Umweltbedingungen. Um das 1,5- Grad-Ziel aber noch zu erreichen, müssen die treibhausschädlichen Klimagase in allen Bereichen drastisch gesenkt werden. Weltweit müssten die CO₂-Emissionen um 48 Prozent bis 2030 gegenüber 2019 sinken.

TK: In welchen Bereichen haben Arztpraxen überhaupt Spielraum, sich ressourcensparender und nachhaltiger aufzustellen?

Dr. Friedmacher / Dr. Lemke: In einer durchschnittlichen Praxis verursachen Energie, Wärme sowie die Mobilität von Patientinnen und Patienten den größten CO₂-Fußabdruck. Aber auch die Verordnungen von Medikamenten verursachen einen nicht unerheblichen CO₂-Fußabdruck. Mehreren Studien zufolge machen die CO₂-Emissionen von Pharmakotherapien zwischen zehn und 32 Prozent aller Emissionen einer durchschnittlichen Hausarztpraxis aus; in einer Hausarztpraxis liegt der Anteil aufgrund der Vielzahl von Verordnungen vermutlich sogar höher. Ein Beispiel für das Einsparpotential ist die Umstellung von Dosieraerosolen auf Pulverinhalatoren bei der Behandlung von beispielsweise COPD oder Asthma. Hier können Emissionen in der Größenordnung von zwei Kurzstreckenflügen pro Patient/pro Patientin und Inhalator eingespart werden. 

TK: Die am Qualitätssiegel "Nachhaltige Praxis - Klima. Umwelt. Mensch." teilnehmenden Praxen werden auch darauf vorbereitet, es künftig verstärkt mit klimabedingten Krankheitsbildern zu tun zu bekommen. Welche neuen gesundheitlichen Probleme wird der Klimawandel verursachen und wie kann sich das Gesundheitswesen darauf vorbereiten?

Die zunehmende Hitzebelastung führt zur einer höheren Anzahl von hitzebedingten Erkrankungen. Dr. Friedmacher / Dr. Lemke

Dr. Friedmacher / Dr. Lemke: Der Klimawandel verursacht instabilere Umweltbedingungen vor allem mit einer Zunahme von Extremwetterereignissen, wie Hitzewellen, Dürren und Starkregen, die vielfältige gesundheitliche Auswirkungen haben können. Die zunehmende Hitzebelastung führt zur einer höheren Anzahl von hitzebedingten Erkrankungen, gerade in einer alternden Gesellschaft. Durch höhere Pollenmengen, längere Blühzeiten und erhöhte Luftschadstoff-Mengen steigt auch die Anzahl von Atemwegserkrankungen und Allergien. Zudem steigt auch das Risiko durch Insekten übertragene Infektionskrankheiten.

Wichtig ist hier die Aufklärung der Bevölkerung über Gesundheitsrisiken sowohl durch Arztpraxen als auch durch öffentliche Gesundheitskampagnen. Zusätzlich sollten Arztpraxen Risikogruppen von Patientinnen und Patienten identifizieren und entsprechende klimabezogene Beratung anbieten. Durch nachhaltige Lebensstilberatung in der Arztpraxis kann sowohl die Gesundheit der Menschen gefördert werden als auch unser Klima geschützt werden. 

TK: Wie können noch mehr Arztpraxen dazu ermuntert werden, sich im Bereich Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz zu engagieren und wo liegen bislang die größten Hürden?  

Dr. Friedmacher / Dr. Lemke: Arztpraxen könnten durch eine verbesserte Aufklärung über die Wichtigkeit von Nachhaltigkeit und Klimaschutz im Gesundheitswesen dazu motiviert werden, sich mehr zu engagieren. Auch könnten Informationen darüber, wie viel Geld damit eingespart werden könnte, dafür sorgen, dass sich Praxen auf einen nachhaltigeren Weg begeben.  

Als bisherige Hürden sind vor allem ein Mangel an Bewusstsein und Schulungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu nennen. Dr. Friedmacher / Dr. Lemke

Als bisherige Hürden sind vor allem ein Mangel an Bewusstsein und Schulungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu nennen. Aber auch der allgemeine Zeitmangel, knappe Finanzmittel für oftmals teurere, ökologisch hochwertigere Produkte, sowie eine fehlende Integration in das interne Qualitätsmanagement sind hinderliche Faktoren für mehr Umsetzung von Nachhaltigkeit in der Arztpraxis. Management-Probleme am Arbeitsplatz können auch ein Einfluss haben.

TK: Jede Maßnahme, die zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz beiträgt, ist gesamtgesellschaftlich betrachtet enorm wichtig. Aber welche Vorteile kann es für die Praxen selbst haben, wenn sie sich in diesem Bereich engagieren?

Dr. Friedmacher / Dr. Lemke: Die konkreten Vorteile für Praxen sind zahlreich: Unter anderem werden die Kompetenzen und das Bewusstsein für Nachhaltigkeit des gesamten Praxisteams gestärkt, was auch zu einer Stärkung des Zusammenhaltes und der Zusammenarbeit innerhalb des Praxisteams führen kann. Daneben sind Kosteneinsparpotentiale und Vorbild-Funktion gegenüber Patienten und Patientinnen, die einen Multiplikatoreffekt darstellen können, ein wichtiger Pluspunkt und vielleicht auch ein Entscheidungskriterium für Patienten und Patientinnen bei der Wahl der Praxis.

Nachhaltigkeit kann auch ein Entscheidungskriterium für Patienten und Patientinnen bei der Wahl der Praxis sein. Dr. Friedmacher / Dr. Lemke

Denn stärker als bisher muss jeder seinen/ihren Beitrag zur Senkung der Gesamtemissionen, nicht nur im Gesundheitswesen, leisten. 

TK: Im Rahmen des Siegels werden nicht nur Umweltaspekte beleuchtet, sondern auch soziale, wie das Arbeitsklima in der Praxis und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Warum ist es sinnvoll, diese beiden Dimensionen miteinander zu verbinden?

Dr. Friedmacher / Dr. Lemke: Damit Nachhaltigkeitsmaßnahmen systematisch in einer Praxis verankert werden können, braucht die Praxis ein motiviertes und funktionierendes Praxisteam. Ein gutes Arbeitsumfeld, faire Arbeitsbedingungen und nachhaltige Führung spielen eine wichtige Rolle in der Stärkung der Resilienz der Praxis beziehungsweise der Mitarbeitenden. Das sind wiederum wichtige Voraussetzungen dafür, dass eine Praxis resilient und flexibel auf Herausforderungen von Krisen reagieren kann, die mit Blick auf den Klimawandel nicht weniger werden.

Zu den Personen 

Dr. Catriona Friedmacher ist seit 2022 am Institut für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt tätig. Zu ihren Schwerpunkten dort gehört das Thema Nachhaltigkeit in Arztpraxen. Friedmacher hat Humanmedizin an der medizinischen Hochschule der University of Aberdeen in Schottland studiert. Nach ihrer Facharztweiterbildung in der Allgemeinmedizin war sie als niedergelassene Allgemeinmedizinerin in Großbritannien tätig. 

Dr. Dorothea Lemke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt. Sie ist an der Universität unter anderem verantwortlich für das klinische Wahlfach "Klima und Gesundheit" verantwortlich. Darüber hinaus gestaltet sie die Nachhaltigkeitsstrategie des Instituts und der Universität aktiv mit. Lemke hat Physische Geografie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster studiert. Danach arbeite sie bei verschiedenen Naturschutzbehörden und geowissenschaftlichen Instituten.