Interview mit Doris Wittig-Moßner, Vorsitzende Landesverband Epilepsie Bayern
Interview aus Bayern
1,85 Millionen Euro Fördermittel stellt die Techniker Krankenkasse (TK) in Bayern in diesem Jahr für die Arbeit der Selbsthilfe zur Verfügung. Davon gehen 1,5 Millionen Euro in die kassenartenübergreifende Pauschalförderung. Von der kassenindividuellen Projektförderung der TK für landesweite Selbsthilfe-Organisationen erhält der Landesverband Epilepsie Bayern e. V. darüber hinaus knapp 1.600 Euro.
Doris Wittig-Moßner, Vorsitzende dieses gemeinnützigen, ehrenamtlich geführten Verbandes, erläutert im Interview die Schwerpunkte der Selbsthilfearbeit und zeigt auf, wie die Fördermittel verwendet werden. Außerdem zieht sie Bilanz über ihr 25-jähriges Engagement im Bereich der Selbsthilfe.
TK: Der Landesverband Epilepsie Bayern e. V. erhält in diesem Jahr von der TK zusätzlich rund 1.600 Euro für die landesweite Selbsthilfearbeit. Können Sie uns kurz beschreiben, welche Vorhaben Sie damit planen und umsetzen können?
Doris Wittig-Moßner: Wir werden mit dieser Förderung die Broschüre "Lebenskunst und Epilepsie" neu auflegen, die wir gemeinsam mit der Epilepsieberatung Schwaben-Allgäu entwickelt haben. Die dort enthaltenen Lebensberichte von Betroffenen und deren Familien sollen Mut machen, aber auch das Verständnis für die Vielfältigkeit des Krankheitsbilds Epilepsie wecken. Inzwischen stehen einige Geschichten auch schon als Hörversion auf unserer Internetseite zur Verfügung.
TK: Was sind darüber hinaus die wichtigsten Aufgaben derzeit?
Wittig-Moßner: Das A und O unserer Arbeit ist nach wie vor die Beratung von Menschen mit Epilepsie. Man kann in jedem Alter daran erkranken, so dass unsere Angebote auch alle Altersgruppen umfassen. Im Kinderbereich arbeiten wir sehr eng mit dem e.b.e. epilepsie bundes-elternverband e.v. zusammen, mit dem wir gemeinsam die Zeitschrift epiKurier herausgeben, die sowohl gedruckt als auch digital kostenfrei angeboten wird. Auch die Netzwerkarbeit mit den fachlichen Kontakten zu Ärzten, Kliniken und vor allen Dingen den bayerischen Epilepsie-Beratungsstellen stellt einen wichtigen Teil unserer Arbeit dar.
TK: Vor rund 25 Jahren haben Sie mit weiteren betroffenen Familien die Selbsthilfegruppe "Eltern epilepsiekranker Kinder Nürnberg" gegründet. Seit 2012 führen Sie den Landesverband Epilepsie Bayern e. V. Mit welchen Herausforderungen hatten Sie in der Anfangsphase zu kämpfen und welche Schwerpunkte gibt es heute in Ihrer Selbsthilfearbeit?
Epilepsie bedeutet nicht, sich zurückzuziehen, sondern offen zu bleiben für seine Umwelt - ein Prozess, bei dem wir unterstützen können und wollen.
Wittig-Moßner: Vor rund zwei Jahrzehnten bei der Gründung unserer Elterngruppe gab es nur wenige gute Aufklärungsmaterialien, die Informationen im Internet waren spärlich. Jetzt ist eher das Gegenteil der Fall. Viele Betroffene und deren Familien fühlen sich fast überfordert angesichts des Überangebots - wir versuchen, als Lotse einen Weg durch den Dschungel der Unterstützungsangebote zu bieten. Was sich stark verbessert hat, ist die Offenheit, zur Erkrankung zu stehen - hier hat die Aufklärungsarbeit der letzten Jahre beziehungsweise Jahrzehnte wirklich Früchte getragen. Aber Luft nach oben ist da immer noch.
Ehrenamtliches Engagement
TK: Auf welche Aktivitäten oder Projekte Ihrer Gruppe sind Sie rückblickend besonders stolz?
Wittig-Moßner: Auf die Schaffung der bayerischen Epilepsie-Beratungsstellen, die in jedem Regierungsbezirk mit Standorten und Außensprechstellen zur Verfügung stehen - ein Angebot, das es flächendeckend nur in Bayern gibt und direkt auf unsere Initiative zurückzuführen ist. Diese Möglichkeit, sich kompetent, kostenfrei und vertraulich zu unterschiedlichen Themen, wie Krankheitsakzeptanz, Lebensführung, Führerschein, Schwerbehinderung, Beruf und so weiter, beraten zu lassen, ist von unschätzbarem Wert - nicht nur für Betroffene und deren Familien, auch für Kitas, Schulen, Arbeitgeber und Einrichtungen. Einfach für alle, die mit Epilepsie zu tun haben.
Und auf unser Epilepsie-Lehrerpaket, das sich an Pädagoginnen und Pädagogen, Fachpersonal aller Schularten, Eltern epilepsiekranker Schülerinnen und Schüler sowie an alle richtet, die mit der Erziehung betroffener Kinder und Jugendlicher betraut sind. Es steht - wie alle unserer Informationsangebote - sowohl zur Ansicht als auch zum Download kostenfrei zur Verfügung. Es beinhaltet medizinische Infos, pädagogische Aspekte, wie Lernen, Verhalten und Unterricht, die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Fachleuten, Nachteilsausgleich, Berufswahl, rechtliche Besonderheiten, Links und Adressen und so weiter.
TK: Ein zentrales Thema Ihrer Arbeit war immer, die Epilepsie Kindern zu erklären. Welche Informationsmittel für Eltern, Kindergärten oder Frühförderstellen unterstützten Sie bei diesem Anliegen besonders gut?
Wittig-Moßner: Bei der Aufklärung von Kindern setzen wir vor allen Dingen auf unser Kinderbuch "Carla", ein Bilderbuch geeignet für Drei- bis Sechsjährige, das wir ebenfalls mit Unterstützung der Techniker Krankenkasse realisieren konnten und deshalb kostenlos an alle Interessierten versenden können. Die Rückmeldungen sind sehr sehr positiv und die Nachfrage nach diesem Buch seit Jahren ungebrochen.
TK: Welche Erlebnisse in den vergangenen Jahren als Vorsitzende waren für Sie persönlich besonders herausfordernd und bewegend?
Wittig-Moßner: Die größte Herausforderung ist in den letzten Jahren das Gleichgewicht zwischen Professionalität unserer Selbsthilfeorganisation in Kombination mit dem Ehrenamt zu bewahren! Die Anforderungen werden immer höher. Wir sollen überall präsent und fachlich "up-to-date" sein, schnelle Antworten abliefern und am besten rund um die Uhr greifbar sein. Unser Verband ist zu einhundert Prozent ehrenamtlich organisiert, das heißt unser kompletter Vorstand steht parallel noch im Arbeitsleben. Alle Aufgaben "nebenbei" am Abend oder am Wochenende zu bewältigen, ist oft ein schwieriger Balanceakt.
TK: Welche Veränderungen haben Sie durch Ihre Selbsthilfearbeit im Leben von Betroffenen und deren Familien beobachtet?
Wittig-Moßner: Es ist einfach schön zu sehen, wenn sich durch unsere Angebote - sei es Informationsmaterialien, Wochenendseminare, Workshops oder telefonische Beratungen - die Situation bei Betroffenen und deren Familien so stabilisiert, dass sie diese chronische Erkrankung in ihr Leben integrieren und ihren ganz individuellen Weg damit finden. Epilepsie bedeutet nicht, sich zurückzuziehen, sondern offen zu bleiben für seine Umwelt - ein Prozess, bei dem wir unterstützen können und wollen.
TK: Wie arbeiten Sie mit Medizinern, Therapeuten und anderen Organisationen zusammen, um Menschen mit Epilepsie zu unterstützen? Wie haben sich hier die Kooperationen im Laufe der Zeit verändert?
Wittig-Moßner: Wir haben seit 1995 eine eigene Veranstaltungsreihe, die sich "Fachkonferenz Epilepsie Bayern" nennt. Diese hat zum Ziel, die medizinische Versorgung und psychosoziale Beratung von Menschen mit Epilepsie in Bayern zu verbessern, um ein fachübergreifendes Epilepsie-Netzwerk zu schaffen. Dort treffen sich Ärztinnen und Ärzte, Beratungsstellen und anderes Fachpersonal, um Epilepsie-Fragen zu diskutieren und nötige Veränderungen, auch auf gesundheitspolitischer Ebene, anzuregen.
Im Laufe der Jahre haben wir uns als Selbsthilfeverband einen Namen gemacht. Dadurch hat sich die Kooperation mit Medizinern dahingehend verändert, dass wir inzwischen als kompetenter und verlässlicher Partner wahrgenommen werden - wovon alle profitieren.
TK: Welche Verbesserungen oder neuen Angebote würden Sie sich für die Unterstützung von Menschen mit Epilepsie in Bayern wünschen?
Wittig-Moßner: Das kann ich gar nicht so konkret beantworten. Durch unser flächendeckendes Netz an spezialisierten Beratungsstellen leben wir im Gegensatz zum restlichen Deutschland schon in einer privilegierten Situation. Dass wir uns dieses erhalten können angesichts klammer Kassen überall, das wäre mein größter Wunsch. Und dass sich weiterhin Menschen finden, die bereit sind, sich ehrenamtlich in der Selbsthilfe zu engagieren.
TK: Wie hat die Digitalisierung die Selbsthilfearbeit verändert und wo sehen Sie dadurch Verbesserungen für die Betroffenen?
Wittig-Moßner: Das jederzeit online Informationen abrufbar sind, ist grundsätzlich erst einmal positiv. Dadurch kommen Betroffene schneller an Hilfe und Unterstützung. Die Überforderung, richtige und gute Hinweise von falschen zu unterscheiden, ist die größere Schwierigkeit heutzutage. Aber dafür gibt es ja uns.
TK: Welche Tipps können Sie aufgrund Ihrer langjährigen Erfahrung als führende Kraft im Selbsthilfebereich jemandem geben, der eine Selbsthilfegruppe gründen möchte?
Wittig-Moßner: Am besten wendet man sich an die regionale Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen, um zuerst einmal abzuklären, welche Unterstützungsmöglichkeiten dort angeboten werden, zum Beispiel kostenfreie Räumlichkeiten für Treffen. Dann kann man mit uns als Landesverband in Kombination mit der örtlichen Epilepsieberatung überlegen, wie eine solche Gruppe zum Laufen gebracht werden kann, wie beispielsweise ein Vortragsabend zu einem speziellen Epilepsie-Thema mit einem Arzt. Wichtig ist, dass man einen längeren Atem hat, es dauert oft einige Zeit, bis eine Gruppe beständig läuft. Aber das Ziel lohnt sich: Die Treffen geben Kraft und machen Spaß - manchmal entstehen Freundschaften fürs Leben daraus.
TK: Zum Schluss noch eine persönliche Frage. Vor wenigen Wochen erhielten Sie für Ihr unermüdliches Engagement den Bayerischen Verdienstorden. Was gibt Ihnen im privaten Bereich Energie und wie regenerieren Sie sich, um diese anspruchsvolle ehrenamtliche Arbeit so erfolgreich zu bewältigen?
Wittig-Moßner: Ich habe eine schwerbehinderte Tochter, die zusätzlich an Epilepsie leidet. Diese war ursprünglich der Grund für den Beginn meines ehrenamtlichen Engagements. Von dem vielen Wissen, das ich mir im Laufe der Jahre erarbeitet habe, profitiert auch ihre Behandlung. Wir haben fast 25 Jahre gebraucht, um sie soweit stabil einzustellen, dass uns ihre wenigen Anfälle ein gutes Leben ermöglichen. Wenn ich sehe, wie fröhlich und positiv sie jetzt ist, gibt mir das viel Kraft. Und dann ist da natürlich mein Mann, der mich immer unterstützt und mir den Rücken freigehalten hat beziehungsweise hält, damit ich mich so einsetzen kann, wie ich es tue. Und der meine nötigen Auszeiten - Sport, mit Freundinnen in den Urlaub fahren und so weiter - abdeckt. Wir sind einfach ein gutes Team! Alles in allem habe ich einfach sehr viel Glück gehabt im Leben, das ich gerne teilen und weitergeben möchte!
Kontakt zum Epilepsieverband
LV Epilepsie Bayern e. V.
Leharstr. 6
90453 Nürnberg
Telefon 0911 - 18 09 37 47
kontakt@epilepsiebayern.de
www.epilepsiebayern.de