TK: Sehr geehrte Frau Ufer, Sie sind die stellvertretende Leitung der Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe im Saarland, kurz KISS. Wie muss man sich deren Arbeit als zentrale Anlaufstelle für Selbsthilfegruppen vorstellen?

Beate Ufer: Die KISS ist ein Projekt der Landesvereinigung SELBSTHILFE e.V. - dem Dachverband chronisch kranker und behinderter Menschen im Saarland. Wir arbeiten mittlerweile seit 30 Jahren als saarlandweit tätige Fachstelle für professionelle Selbsthilfeunterstützung. Wir verstehen uns dabei als Wegweiser im System der gesundheitsbezogenen und sozialen Unterstützungsangebote. 

Wir wollen mit unserer Arbeit die Idee der Selbsthilfe auf allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen stärken und angemessene Rahmenbedingungen für die Selbsthilfearbeit schaffen. Dabei unterstützen wir die Gruppen und deren Nutzerinnen und Nutzer mit allen Kräften, helfen zum Beispiel neue Konzepte zu entwickeln, Räume zu finden oder neue Gruppen zu gründen. 

Beate Ufer

Portraitbild von Beate Ufer, Stellvertretende Leiterin der KISS Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Stellvertretende Leiterin der KISS

Zusammengefasst ist die KISS die Drehscheibe für den Zugang zur Selbsthilfe und trägt mit ihren Unterstützungsleistungen zu einer Weiterentwicklung der saarländischen Selbsthilfelandschaft bei.

TK: Bei der KISS sind laut Ihrer Website etwa 720 Selbsthilfegruppen gelistet. Wie setzen die sich zusammen?

Ufer: Selbsthilfegruppen gibt es mittlerweile zu allen relevanten gesellschaftlichen Themen und Problemstellungen, zu besonderen meist schwierigen Lebenssituation und zu chronischen Erkrankungen im Saarland. Von Allergie bis Zöliakie, von Ängste bis Zwänge oder von Alleinerziehend bis Zwillingsinitiative. Fast die Hälfte aller Gruppen sind dem Themenkomplex Gesundheit, Krankheit und Behinderung zuzuordnen, dann folgen Sucht- und Essstörungen sowie psychische Erkrankungen und psychosoziale Probleme. Es gibt aber zum Beispiel auch Gruppen zu Familienthemen sowie soziale und kulturelle Initiativen.

TK: Warum ist die Selbsthilfe aus Ihrer Sicht für so viele Menschen ein wichtiger Baustein im Umgang mit Krankheiten oder der Bewältigung belastender Situationen?

Ufer: Selbsthilfegruppen befriedigen das Informationsbedürfnis und sozial-emotionale Bedürfnisse von Personen nach einem belastenden Lebensereignis. Der Austausch und das Mehr an Informationen tut den Betroffenen gut. Dadurch wird auch einer Isolation entgegengewirkt. Die Steigerung der Bewältigungskompetenz stärkt auch das Selbstbewusstsein allgemein, aber auch im Umgang mit Ärztinnen und Ärzten. Die regelmäßige Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe vermittelt mehr Kompetenzen und fördert Freude und Lebensmut.

TK: Wir unterstützen gemeinsam mit den anderen gesetzlichen Krankenkassen die Arbeit der Selbsthilfegruppen. Warum ist diese Förderung so wichtig?

Ufer: Die Förderung trägt dem hohen gesundheitspolitischen Stellenwert der Selbsthilfe Rechnung. Selbsthilfegruppen haben mittlerweile auch eine hohe gesellschaftliche Anerkennung. Sie sind ein Angebot für viele Menschen, in der Regel wohnortnah und niedrigschwellig. Für viele Patientinnen und Patienten sind sie wichtige Hilfen, zum Beispiel nach einer Akut- und/oder einer Rehabilitationsbehandlung, wenn es darum geht, das Erlernte in den Alltag zu übertragen. Sie ergänzen die Angebote der gesundheitlichen Versorgung und wirken sowohl präventiv als auch rehabilitativ und verhindern Rezidive. 

Durch die finanzielle Förderung wird die Basis der gesundheitlichen Selbsthilfegruppenarbeit abgesichert und zusätzlich die Möglichkeit geboten, auf aktuelle Entwicklungen im Rahmen von innovativen Selbsthilfe-Projekten zu reagieren. So wird beispielsweise jetzt in Zeiten der Pandemie, die Digitalisierung in der Selbsthilfe explizit gefördert. 

TK: Wie finden Betroffene denn eine entsprechende Gruppe und wie laufen die Sitzungen grundsätzlich ab?

Ufer: Betroffene können sich selbstverständlich telefonisch, schriftlich oder persönlich an die KISS wenden. Wir informieren und beraten zu allen Fragen rund um das Thema Selbsthilfe. In einer Datenbank, die auch auf unserer Homepage zu finden ist, hält die KISS Informationen und Kontaktdaten zu den verschiedenen Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen bereit und gibt Hilfestellung bei der Auswahl einer geeigneten Selbsthilfegruppe. 

In den meist kleinen Gesprächs-Selbsthilfegruppen treffen sich zwischen sechs und zwölf Personen regelmäßig zum gemeinsamen Gespräch mit Informations- und Erfahrungsaustausch. Die Treffen dauern meist anderthalb bis zwei Stunden. Alle Teilnehmenden sind gleichberechtigt und gleichermaßen verantwortlich für das Wohl der Gruppe. Eine Person übernimmt die Gesprächsleitung oder Moderation der Treffen. Jede Gruppe hat Ihre eigenen Gruppenregeln, wobei die Vertraulichkeit eine für alle Gruppen höchst wichtige Gruppenregel ist. Sie bedeutet, dass alles was in der Gruppe gesagt wird, auch in der Gruppe bleibt. 

Die Möglichkeiten, ein Treffen zu gestalten, sind sehr vielfältig. Auch gemeinsame Aktivitäten sind möglich. 

TK: Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die Arbeit der Selbsthilfegruppen? Wie sind diese mit den neuen Herausforderungen umgegangen und wurde auch in der Selbsthilfe verstärkt auf digitale Möglichkeiten gesetzt?

Ufer: Bedingt durch die Pandemie können sich viele Gruppen gar nicht oder nur unter Einhaltung erheblicher Auflagen mit Genehmigung des Ordnungsamtes treffen. Außerdem verzichten viele Gruppen wegen besonders gefährdeter Mitglieder auf Präsenztreffen. Deshalb haben wir als KISS schon im Mai 2020 die Gründung erster Online-Selbsthilfegruppen unterstützt und bestehende Selbsthilfegruppen motiviert, digitale Treffen zu erproben. Gerade für junge und technikaffine Personen ist die Online-Gruppe eine echte Alternative oder macht manchmal sogar die Teilnahme erst möglich.

Gerade die Online-Selbsthilfegruppen für Menschen mit Ängsten, Depressionen oder Essstörungen haben regen Zuspruch. Auch die Beratung und Unterstützung bei der technischen Umsetzung von Online-Selbsthilfegruppentreffen durch die Kontaktstelle wird stark nachgefragt und bei unserem Workshop zu dem Thema hatten wir fast 60 Teilnehmende. Je länger die Pandemie andauert, desto stärker werden auch virtuelle Treffen von bestehenden Gruppen nachgefragt.

Online-Selbsthilfegruppen sind aus unserer Sicht insgesamt eine sinnvolle Ergänzung zu den Präsenzangeboten. Um Interessierte ganz gezielt über digitale Angebote und Online -Selbsthilfegruppen zu informieren hat die KISS eine eigene Homepage dazu erstellt.