Zwischen Nachholbedarf und Fortschritt

Beim eRezept erlebten wir ein Debakel mit Ansage. Da wird versucht, einen Prozess zum Laufen zu bringen, der nicht wirklich benutzerfreundlich ist, der Digitalität bestenfalls simuliert und der von Patientinnen und Patienten über eine App gemanagt werden soll, die keiner kennt und niemand nutzt. Die Debatte um Benutzerfreundlichkeit vs. Datenschutz hat dann endgültig dafür gesorgt, dass Schleswig-Holstein und in Folge auch Westfalen-Lippe sich aus dem Piloten verabschiedet haben. Das Ganze erinnert ein wenig an die schwedische Galeone "Vasa". Auf‘s offene Meer hat die es nicht geschafft. Andererseits hat die schwedische Marine daraus ziemlich viele Learnings mitgenommen. 

In den Arzt- und Zahnarztpraxen dürfte das Wort ‚Konnektor‘ wahrscheinlich eines der Unwörter des Jahres sein. Hier wurde versucht, mit Technik von gestern die IT-Anwendungen von morgen sicherheitstechnisch abzusichern. Aber es gibt auch durchaus positive Entwicklungen. Dazu gehört beispielsweise das eBZ - also die volldigitalisierte Genehmigung von Heil- und Kostenplänen in der Zahnarztpraxis. Wir stehen kurz davor, dass die Hälfte aller Zahnarztpraxen daran teilnehmen. Handelt es sich um automatisiert prüfbare Sachverhalte - wie ein einfacher Zahnersatz - wird quasi in Echtzeit die Genehmigung ausgesprochen. Wir reden hier von 30 Sekunden. Die Rückmeldungen der teilnehmenden Praxen sind insgesamt sehr positiv. Ab dem 1.1.2023 ist das Verfahren der neue Standard.

Sören Schmidt-Boden­stein

Sören Schmidt-Bodenstein, Leiter der TK-Landesvertretung Schleswig-Holstein Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Leiter der TK-Landesvertretung Schleswig-Holstein

DiGA's und KI auf Windkurs

Ebenfalls zu den  positiven Entwicklungen rechne ich die DiGA´s - den medizinischen Apps auf Rezept. Die finden langsam, aber sicher ihren Weg in die Versorgung. Bislang wurden rund 3140 Anträge für TK versicherte Menschen aus Schleswig-Holstein genehmigt, um diese neue Form der Therapieunterstützung und Begleitung zu nutzen. Tendenz steigend.

Richtig spannend wird es, wenn wir einen Blick auf das Potenzial von KI-basierten Anwendungen werfen. Im Rahmen unseres Angebotes der TK-Doc App haben Versicherte jetzt die Möglichkeit, mittels eines Symptom-Checkers eine erste Orientierung zu erhalten. Wer möchte, kann sich anschließend medizinischen Rat im Rahmen einer Online-Sprechstunde einholen.
Was das UKSH gerade im Bereich der digital-unterstützten "Erstbegutachtung" von Patientinnen und Patienten erprobt, hat in vielerlei Hinsicht das Zeug, die passgenaue Steuerung von Behandlungsprozessen nachhaltig zu verändern. Wenn es funktioniert, wird das nicht nur die Prozesse innerhalb der Aufnahme selbst optimieren - im Sinne von schnellerer und genauerer medizinischer Einschätzung. Es wird auch Auswirkungen auf die anschließende Therapie haben. Damit sind wir konkret im Fahrwasser von Fortschritten, die von allen Beteiligten auch als solche empfunden werden.

Damit sind wir konkret im Fahrwasser von Fortschritten, die von allen Beteiligten auch als solche empfunden werden. Sören Schmidt-Bodenstein, Leiter der TK-Landesvertretung Schleswig-Holstein

Rettungsdienst: Potenziale mit Digitalisierung ausschöpfen

In anderen Feldern stehen wir hingegen eher am Anfang der Debatte. Nehmen wir den Rettungsdienst: Der Landtag hat sich in der letzten Legislatur für eine einheitliche Algorithmen unterstützte Steuerung in den Leitstellen ausgesprochen. Sicherlich ein Anfang. Aber es ist jetzt schon erkennbar, dass dies zu kurz gesprungen ist, um die Herausforderungen adäquat zu meistern. Die hierzulande seit Jahren steigenden Fallzahlen im Rettungsdienst und Änderungen im Arbeitsrecht erfordern eigentlich mehr Personal - aber woher nehmen? Deswegen müssen wir dringend die Effizienz in diesem Bereich steigern und verantwortungsvoll mit den vorhandenen personellen Ressourcen umgehen.

Dafür brauchen wir einerseits dringend Transparenz über die Prozesse in der real existierenden Versorgung und andererseits ein objektives Bild, wie es optimalerweise laufen könnte. Auf dieser Basis, unterstützt mit einer KI-basierten Steuerung über eine (!) gemeinsamen Leitstelle im Norden, lassen sich Patientenströme im Sinne einer ressourcenschonenden und zugleich qualitativ besseren medizinischen Versorgung positiv verändern. Dabei reden wir dann auch über eine agile Steuerung von Fahrzeugen, die diese dort hinlenkt, wo es aus Patientensicht am besten ist.

Wenn man diesen Ansatz konsequent weiterdenkt, muss diese Entwicklung in der Krankenhausplanung nicht nur antizipiert, sondern auch ergänzt und unterstützt werden. Das kann beispielsweise einen rechtzeitigen Ausbau weiterer Kapazitäten bei Maximalversorgern und Spezialversorgern bedeuten und - was politisch schwieriger ist - die Transformation von Strukturen bei kleineren Häusern, die dann vom Rettungsdienst nicht mehr angefahren werden. Sicherlich keine leicht verdaulichen Themen. Ich bin mir aber sicher, dass wir in Schleswig-Holstein genau diesen Weg beschreiten müssen.

Es braucht eine neue Balance zwischen Datenschutz und -nutzung

Die politische Programmatik in Schleswig-Holstein gibt solche Überlegungen durchaus her. Die Koalition aus CDU und Grünen hat sich das Thema Digitalisierung auf die Fahne geschrieben. Sowohl unser Minister für Digitalisierung als auch unsere Gesundheitsministerin betonen die Chancen der digitalen Transformation. Mit Initiativen wie dem Cluster Life Science Nord, dem HIC, dem Versorgungssicherungsfonds und diversen anderen Instrumenten und Initiativen haben wir ein aufgeschlossenes, positives Umfeld. Trotzdem sind die Hürden und Widerstände, die es auf diesem Weg zu überwinden gilt im konkreten enorm. Noch mal zum Rettungsdienst: Wir haben eine Hand voll Leitstellen in Schleswig-Holstein. Der Zusammenschluss zu einer (!) virtuellen Leitstelle und einer (!) gemeinsamen Fahrzeug-Disposition ist keine Raketenwissenschaft. Es ist eine Frage der Haltung, ob man sich untereinander auf ein solches New Work-Modell verständigen will. Die Potenziale digitaler Anwendungen lassen sich dann besonders gut und erfolgreich erschließen, wenn man nicht auf zu kleinteilige Insellösungen setzt, sondern vernetzt und integriert denkt.

Die Potenziale digitaler Anwendungen lassen sich dann besonders gut und erfolgreich erschließen, wenn man nicht auf zu kleinteilige Insellösungen setzt, sondern vernetzt und integriert denkt. Sören Schmidt-Bodenstein, Leiter der TK-Landesvertretung Schleswig-Holstein

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der gesetzliche Rahmen zur digitalen Transformation im Gesundheitswesen meistens nicht auf der Landes-, sondern auf der Bundesebene gesteckt wird. Das gilt insbesondere für das Verhältnis von Datenschutz und Datennutzung. Das Thema ist zugegeben komplex. Aber die Schere zwischen dem potenziellen Nutzen und zwischen dem, was wir bei der deutschen Interpretation der DSGVO umsetzen können, wird immer größer. Leider zulasten der Gesundheit. Seit Jahren fordern verschiedenste Fachgremien und auch der Deutsche Ethikrat eine neue Ausrichtung in diesem zentralen Feld. Deshalb ist es umso wichtiger, dass sich die schleswig-holsteinische Landesregierung auch in diesem Themenbereich auf der Bundesebene engagiert. Und zwar mit einer klaren Stimme für eine neue Balance zwischen Datenschutz und Datennutzung.