TK: Sehr geehrter Herr Dr. Böttcher, Künstliche Intelligenz (KI) ist ja ein Begriff, der mittlerweile omnipräsent ist. Was ist Ihre Definition von KI?

Dr. Mirko Böttcher: Für mich besitzt eine Anwendung dann Künstliche Intelligenz, wenn sie etwas leistet, das der Nutzer kognitiv eher einem Menschen als einer Maschine zutrauen würde. Das Problem mit dieser Definition ist, dass sich diese Messlatte kontinuierlich nach oben verschiebt. Während man Mitte der 90er Jahre sicher überrascht war, dass eine Maschine handgeschriebene Postleitzahlen erkennen konnte, so fällt es heutzutage schwer, den Menschen glaubhaft zu machen, dass dies überhaupt Künstliche Intelligenz ist.

Mirko Bött­cher

Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Experte für Künstliche Intelligenz bei der TK

TK: KI spielt auch im Gesundheitswesen eine immer größere Rolle. Wie steht die TK zu dem Thema?

Dr. Böttcher: Die TK hat schon früh die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz erkannt und damit begonnen, das Thema für sich zu erschließen und nutzbar zu machen. Daher stehen wir heute im Branchenvergleich, aber auch branchenübergreifend, ziemlich gut da: Während andere Unternehmen häufig noch nach den ersten Anwendungsfällen suchen oder das Thema pilotieren, sind wir schon einen Schritt weiter und setzen Künstliche Intelligenz in unseren Prozessen und Systemen regelmäßig ein. Beispiele sind hier die Klassifikation von Posteingangsdokumenten oder die KI-gestützte Prüfung von Krankenhausrechnungen.

TK: Was macht KI für Krankenkassen so interessant und wie können die Versicherten davon profitieren?

Dr. Böttcher: Die Chance für Unternehmen liegt darin, dass sich viele Tätigkeiten, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als monoton empfinden, mit KI gut automatisieren lassen. Prozesse werden dadurch effizienter und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlastet. Die Versicherten spüren dies vor allem durch kürzere Bearbeitungszeiten und eine persönlichere Betreuung.

Insbesondere auf dem Gebiet der Bild- und Sprachverarbeitung wurde durch Künstliche Intelligenz im vergangenen Jahrzehnt riesige Fortschritte gemacht. KI kann hier für Krankenkassen auch als Brückentechnologie dienen. Sie überbrückt damit die Zeit, bis ein Großteil der Kommunikation zwischen den Akteuren im Gesundheitswesen nicht mehr in Form von Papier, sondern digital stattfindet. Leider sind hier auch Grenzen gesetzt, so fehlt es zum Beispiel an guten, deutschen Sprachmodellen, die die spezielle "Sprache" des Gesundheitswesens verstehen. Leider scheint es aktuell keinen einzelnen Akteur im Gesundheitswesen zu geben, der sowohl die nötige große Menge an Daten, das Wissen und die Ressourcen hat, eine derartige KI zu konzipieren und der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Im englischsprachigen Raum übernehmen das häufig große Technologiekonzerne, was bei uns aus Datenschutzgründen undenkbar wäre. Ich würde mir wünschen, dass gerade beim Thema KI die Zusammenarbeit von verschiedenen Akteuren im Gesundheitssystem einfacher wäre, um so gemeinsame Grundlagen zu schaffen, von denen alle profitieren.

TK: In welchen Bereichen der TK kann KI am meisten bewegen?

Dr. Böttcher: Künstliche Intelligenz ist in der Lage sehr komplexe Muster und Zusammenhänge in Daten zu finden und daraus Schlussfolgerungen abzuleiten. Daher sehe ich viel Potenzial für den Einsatz von KI bei der Empfehlung von passgenauen und sehr individuellen Versorgungs- und Serviceangeboten für unsere Versicherten - zeitnah zum Bedarf. Damit können wir die Erwartung der Versicherten erfüllen, die Schnittstellen zu ihnen schneller, einfacher und persönlicher zu gestalten. So sind sie es auch von anderen Dienstleistungen im digitalen Zeitalter gewohnt. Natürlich ist dies nur möglich, wenn ausreichend Daten rechtzeitig vorliegen. Leider ist man bei der Art und dem Umfang der für eine Krankenkasse nutzbaren Daten durch gesetzliche Regelungen aber sehr eingeschränkt. So ist beispielsweise die Zeitspanne zwischen der Diagnose bis zum Vorliegen der Daten bei uns doch recht lang, besonders bei ambulanten Leistungen. Da ist die Politik gefordert.

Zur Person

Dr. Mirko Böttcher studierte Informatik an der Universität Magdeburg und promovierte auf dem Gebiet des Maschinellen Lernens. Nach seinem Studium arbeitete er in verschiedenen Branchen als Entwickler, Architekt und Projektleiter an der Umsetzung von Machine-Learning-Projekten. Seit 2017 steuert er als KI Architekt und Product Owner bei der Techniker Krankenkasse die Einführung und Etablierung von KI-Entwicklung, von der Ideenfindung bis hin zur Produktivsetzung.