TK: Frau Dr. Hecker, der Welttag der Patientensicherheit steht in diesem Jahr unter dem Motto: "Sichere Versorgung für alle Patientinnen und Patienten". Worauf legt das APS seinen besonderen Schwerpunkt dabei?

Dr. Ruth Hecker: Mit dem Motto wollen wir das Bewusstsein schärfen, dass wir viele verschiedene Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten im Gesundheitswesen zu erfüllen haben. Nicht nur die Pandemie muss gemanagt werden, sondern eben auch die anderen akut Erkrankten, Notfälle und die chronisch Kranken. Auch die Pflegebedürftigen dürfen nicht vergessen oder zurückgestellt werden. Alle Patienten müssen entsprechend ihres medizinischen Bedarfs versorgt werden. Und die Bevölkerung ist über diese Versorgungsangebote ausreichend zu informieren.

Wir fordern für die Zukunft eine bessere Vorbereitung, wer behandelt was? Wo gibt es die regionalen funktionierenden Konzepte dazu? Krankenhäuser müssen sich untereinander abstimmen und es muss noch mal konsequent geprüft werden, was im niedergelassenen Bereich versorgt werden kann und was nicht. Sektorenübergreifend und Hand in Hand. Gerade mit den Möglichkeiten der Videosprechstunden und der Telemedizin, also der Begleitung und Überwachung der chronisch Kranken, haben wir Möglichkeiten, die wir zwingend nutzen sollten. Die Krise hat die Versorgungslücken noch mal deutlich aufgezeigt. Die gilt es zu schließen.

Dr. Ruth Hecker

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Vorsitzende des Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V.

TK: Die WHO hat den 17. September zum Welttag der Patientensicherheit ausgerufen. Welche Auswirkungen auf die Sicherheitskultur im internationalen Kontext stellen Sie fest?

Hecker: Wir sind froh und dankbar, dass die WHO den Welttag ausgerufen hat und das Bewusstsein aller Verantwortlichen auf ein grundsätzlich wichtiges Thema lenkt. Ohne Sicherheitskultur und das Umsetzen dieser werden wir nie die Patientensicherheit erhöhen. Die OECD hat zu diesem Thema gerade eine Studie veröffentlicht, die verdeutlicht, dass Kultur ein Heilmittel ist. Ich meine das Ernst, wenn wir mehr Sicherheitskultur und Patientensicherheit fördern und fordern, wird der Output bei den Patienten, also das was beim Patienten ankommt, besser sein.

Zudem spart die Fokussierung auf Patientensicherheit auch noch Geld. Das weiß auch jeder, nur warum wird hier nicht investiert? Weil Kulturveränderungen einen langen Atem brauchen und die Effekte nicht sofort nachzuweisen sind. Damit kann natürlich heute und morgen kein Politiker oder Funktionär einen Blumentopf gewinnen, zudem Kulturveränderungen Verhaltensänderungen bedeuten, die anstrengend sind und auf Widerstände stoßen.

Wir fordern für die Zukunft, die Sicherheitskultur in den Mittelpunkt zu stellen. Sie kann Heilmittel sein für schlechte Kommunikation, unzureichende Unterstützung und Prozesse.

TK: Die Corona-Pandemie hat allen Beteiligten im Gesundheitswesen viel abverlangt. Welche Lehren ziehen Sie daraus für die Patientensicherheit?

Hecker: Wir müssen weiter daran arbeiten, das Bewusstsein schaffen, dass die Patientensicherheit das hohe Gut unserer Gesellschaft ist. Wir könnten uns das leisten! Bei allen Entscheidungen auf allen Ebenen und in allen Bereichen des Gesundheitswesens sollte die Patientensicherheit ein Entscheidungskriterium sein. Nicht die Einzelinteressen der Lobbyisten und nicht die Ökonomie! Die Patientensicherheit nicht mit einzubeziehen kostet die Gesellschaft viel mehr. Denken Sie nur an die Folgekosten der Arbeitsunfähigkeit, Reha, Wiedereingliederung und so weiter, und moralisch/ethisch kostet es uns auch sehr viel. Viele Mediziner und Pflegekräfte steigen aus dem Beruf aus, weil die Arbeitsbedingungen keine Patientensicherheit zulassen beziehungsweise sie ihrer internen Motivation nicht mehr folgen können. 

TK: Während der Pandemie gab es einen regelrechten Digitalisierungsschub. Welche Technologien davon haben sich bewährt? 

Hecker: Nun, an allererster Stelle ist hier sicherlich die Video-Sprechstunde zu nennen. Sie wurde gut von Ärzten und Psychotherapeuten sowie Patientinnen und Patienten angenommen. Wir können aber noch viel mehr. Der Praxisarzt könnte mit dem Klinikarzt und umgekehrt über eben diese Videoformate Fallvorstellungen durchführen, an denen die betroffenen Patienten auch teilnehmen können. Anamnesegespräche könnten so stattfinden und vieles andere mehr.

Interessant sind ebenso die telematischen Möglichkeiten für Patientinnen und Patienten, die dann für eine Versorgung und Kontrolle nicht ins Krankenhaus oder die Arztpraxis fahren müssen. Wir steuern in eine Zukunft, in der die vollständige medizinische Versorgung mehr und mehr im häuslichen Umfeld der Patientinnen und Patienten stattfinden wird, dies werden wir aus der Perspektive der Patientensicherheit natürlich sehr genau begleiten.

TK: Wie können Arztpraxen und Krankenhäuser vom Critical Incident Reporting System (kurz CIRS) profitieren? 

Hecker: Neben dem Effekt, dass man lernt, offen mit Fehlern umzugehen, es wichtig erachtet, diese zu teilen, damit auch andere daraus lernen können, kann CIRS die Entwicklung der Sicherheitskultur enorm unterstützen! Zudem unterstützt es die Teamentwicklung, weil ja nicht nach dem Schuldigen gesucht wird, sondern nach der Ursache für die Fehler, die vielfältig sein können: Kommunikationsprobleme, Organisations- oder Prozessprobleme.

Wir rufen Ärzte und Pflegekräfte auf: Seid selbstbewusst und gebt zu: Ja, wir machen Fehler - und ja, manchmal entwickeln sich daraus auch Patientenschäden, wir sind nicht unfehlbar! Aber wir reden offen und sachgerecht, ohne Schuldzuweisungen, helfen den Patienten, damit der Schaden so gering wie möglich bleibt, und LERNEN DARAUS! 

Zur Person

Ruth Hecker absolvierte eine Ausbildung zur Krankenschwester, bevor sie in Bochum Humanmedizin und in Bielefeld Gesundheitswissenschaften studierte. Nach ihrer Facharztausbildung zur Anästhesistin war sie unter anderem langjährige Leiterin des Bereichs Qualitätsmanagement und klinisches Risikomanagement der Universitätsklinik Essen. Seit September 2019 ist sie dort Chief Patient Safety Officer und seit Oktober 2019 Vorsitzende des Aktionsbündnis Patientensicherheit.