TK: Sie vertreten erneut Ihre Fraktion im Gesundheitsausschuss. Welche Themen werden in Ihrem Zuständigkeitsbereich eine Rolle spielen?

Nezahat Baradari: Als Kinder-und Jugendärztin freue ich mich besonders, mit meinem Herzensthema im Gesundheitsausschuss vertreten zu sein. Ich bringe die praktische Expertise als Ärztin mit ins politische Berlin und gebe unseren Jüngsten eine Stimme. Denn Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, sie haben eigene und somit andere Bedürfnisse, die leider nicht die entsprechende Berücksichtigung in den Vorhaltepauschalen finden.

Durch die langjährige Unterfinanzierung in der Kinder- und Jugendmedizin sind wir mitten in einer Fehlentwicklung, die sich auch besonders in der Coronapandemie gezeigt hat. Es fehlen Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin insbesondere im niedergelassenen Bereich und insbesondere im ländlichen Raum - genauso wie Medizinische Fachangestellte und Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger. Hier braucht es ein verändertes Anreizsystem und mehr Wertschätzung gegenüber dieser Fachdisziplin. Die ambulante Versorgung von Kinder- und Jugendlichen geht wiederum nur Hand in Hand mit den Kinderkliniken.

Mein Ziel sehe ich in einer guten und umfassenden Versorgung unserer Kinder- und Jugendlichen - und das heißt ganz konkret, dass wir für eine bedarfsgerechte auskömmliche Finanzierung für die Pädiatrie und Geburtshilfe sorgen müssen, sowohl im medizinischen als auch pflegerischen Bereich. Es sind gesetzliche Änderungen im Bereich der Facharztausbildung bzw. Approbationsordnung, der Ausbildung von Kinderfachpflegekräften und bei Personaluntergrenzen in der Pädiatrie notwendig.

Nezahat Bara­dari, MdB

Portrait Nezahat Baradari Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Mitglied im Gesundheitsausschuss für die SPD.

TK: Im Koalitionsvertrag der Ampel werden Reformen für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung der Zukunft angekündigt. In welche Richtung sollte die Krankenhausfinanzierung und Krankenhausplanung aus Ihrer Sicht weiterentwickelt werden?

Baradari: Personallücken, Pflegeengpässe, Privatisierungsdruck - das sind Worte, die die gegenwärtige Situation in der Krankenhausversorgung beschreiben. 
Wie in der Ampelkoalition festgelegt, wollen wir mit einem Bund-Länder-Pakt die dringend benötigten Reformen für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung auf den Weg bringen. 

Mit einer Regierungskommission werden Empfehlungen erarbeitet, die insbesondere sich an Leitplanken für eine auf Leistungsgruppen und Versorgungsstufen basierende Versorgung und an Kriterien wie der Erreichbarkeit und der demografischen Entwicklung orientieren. Es soll ein nach Versorgungsstufen (Primär-, Grund-, Regel-, Maximalversorgung, Unikliniken) differenziertes System mit erlösunabhängigen Vorhaltepauschalen ergänzt werden.

TK: Die aktuelle Corona-Situation macht den großen Bedarf an qualifizierten Pflegekräften in Deutschland besonders sichtbar. Wie kann dieser Bedarf in den nächsten Jahren gedeckt werden?

Baradari: Pflegekräfte haben einen harten, fordernden und extrem wichtigen Job. Gerade in der Corona-Situation hat unser Pflegepersonal Großartiges geleistet. Neben dem Respekt für die Arbeit stehen für uns auch eine bessere finanzielle Anerkennung und bessere Arbeitsbedingungen im Vordergrund sowie eine bessere Personalausstattung, eine Abschaffung von geteilten Diensten und bessere Personalschlüssel.

Das Pflegeberufereformgesetz aus dem Jahr 2017 bringt für die Kinderkrankenpflege meines Erachtens nicht die gedachten Vorteile. Für die Pädiatrie ist wichtig, dass Krankenpflegeschulen auch zukünftig die Vertiefung beziehungsweise den eigenständigen Abschluss "Gesundheits- und Kinderkrankenpflege" ermöglichen. Andernfalls wird sich der bereits bestehende Mangel an qualifizierter Pflege in der Kinder- und Jugendmedizin weiter zuspitzen. Die Qualitätsrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses können damit zukünftig nicht mehr erfüllt werden. Es muss gesetzgeberisch darauf geachtet werden, dass die Landesregierungen dafür sorgen, dass alle Pflegeschulen die Spezialisierung zur Gesundheits- und Kinderkrankenpflege gemäß Paragraphen 58 folgende des Pflegeberufegesetzes anbieten. Ansonsten wird sich der vorhandene und weiter abzeichnende eklatante Mangel der Pflegekräfte in der Pädiatrie potenzieren.

Die Regelungen der Pflegepersonaluntergrenzen-Versordnung, Paragraph 6, Absatz 4, Satz 1, sorgen in neonatologischen und pädiatrischen Intensivstationen dafür, dass unter Umständen vier unterschiedliche Vorgaben zur Pflegepersonalausstattung in einer Stationseinheit nebeneinander zu befolgen sind - was in praxi schlichtweg nicht umsetzbar ist. Es wird der Umstand außer Acht gelassen, dass es in der speziellen Pädiatrie ohnehin aufgrund der Vorgaben strengere Personalschlüssel Anwendung finden. Hier sollte auf eine gesetzliche Verbesserung hin gearbeitet werden. 

Um den Ärztemangel auf dem Land einzudämmen, machen sich die Kommunen, die Ärzteschaft, die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen mit praktischen Lösungen auf den Weg. Um mehr Kinder- und Jugendärzte für den ländlichen Raum zu begeistern, muss der Anreiz des Arztberufes aber auch die Attraktivität aller daran in gegenseitiger Abhängigkeit hängenden Berufe gesteigert werden. Dazu zählen die Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger aber auch beispielsweise Hebammen, Heilmitteldiensterbringer und Apotheken. Einzelne politische Maßnahmen bringen nur punktuelle Besserungen. In der durch die Coronapandemie verschärften Situation brauchen wir aber grundlegende und mutige Reformschritte ohne Denkverbote im besten Sinne für die Patientinnen und Patienten, insbesondere für die vulnerabelste Gruppe - nämlich die der Kinder und Jugendlichen.