TK-Position zur Notfall- und Rettungsdienstreform
Position aus Rheinland-Pfalz
Damit die Notfallreform tatsächlich ihr volles Potential entfalten kann, braucht es nach Ansicht der TK weitere umfassende Strukturreformen.
Notfall- und Rettungsdienstreform: Versorgungsoffensive für Rheinland-Pfalz
Seit Jahren steht die Notfallversorgung in Deutschland unter Reformdruck - überfüllte Notaufnahmen, unkoordinierte Zugangswege und unklare Zuständigkeiten zwischen ambulanter und stationärer Versorgung machen strukturelle Veränderungen dringend erforderlich. Bereits unter Jens Spahn (CDU) wurden erste Konzepte zu einer besseren Patientensteuerung entwickelt, etwa durch die stärkere Vernetzung des Rettungsdienstes (112) und des ärztlichen Bereitschaftsdienstes der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) (116117). Karl Lauterbach (SPD) konkretisierte diese Pläne - etwa mit dem Modell der Integrierten Notfallzentren (INZ) - in einem umfassenden Kabinettsentwurf für ein Gesetz zur Reform der Notfallversorgung. Die aktuelle Bundesregierung führt die Reformpläne fort - laut Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) soll dabei auch der Rettungsdienst neu strukturiert werden.
Notfallreform: Insbesondere für das Flächenland Rheinland-Pfalz von zentraler Bedeutung
Insbesondere für ein Flächenland wie Rheinland-Pfalz, das geprägt ist von vielen ländlichen, strukturschwachen Regionen, ist diese Notfallreform von zentraler Bedeutung. Nicht nur wegen der in Teilen dünn besiedelten Gebiete, sondern auch, weil nahezu ein Drittel der Gesamtbevölkerung im Land (31 Prozent) über 60 Jahre alt ist. Mit diesem Altersschnitt liegt Rheinland-Pfalz über dem Bundesschnitt von 29 Prozent. Darüber hinaus leben gerade Menschen der Altersgruppe 65+ nicht selten in eher wenig bewohnten Teilen des Landes. Zudem liegt auch der Anteil der Hausärztinnen und Hausärzte im Alter von 60 Jahren und älter bei 43 Prozent. Allerdings machen nicht nur diese sozio-geographischen Aspekte die Notfallversorgung im Land zu einer immer größeren Herausforderung, die bald durchaus an ihre Grenzen stoßen könnte.
Schließungen von Kliniken und Bereitschaftspraxen erhöhen Druck in Notaufnahmen
Auch die finanzielle Lage vieler Kliniken in Rheinland-Pfalz - Schätzungen zufolge schreiben aktuell rund zwei Drittel Defizite - stellt insbesondere im ländlichen Raum eine wachsende Herausforderung für die stationäre Versorgung dar. Als Konsequenz kam es in der Vergangenheit vereinzelt auch zur Schließung kleinerer Häuser. Parallel dazu hat ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) im Oktober 2023 zur Sozialversicherungspflicht sogenannter "Poolärztinnen und -Ärzte" im Bereitschaftsdienst maßgebliche Auswirkungen gehabt: Die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz (KV RLP) sah sich, angesichts der veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen veranlasst, sieben Bereitschaftspraxen zu schließen. Weitere strukturelle Aspekte, wie etwa die teilweise eingeschränkte Verfügbarkeit kurzfristiger fachärztlicher und hausärztlicher Termine führten dazu, dass sich die Inanspruchnahme der Notaufnahmen verbleibender Kliniken weiter erhöhte.
Novelle des Rettungsdienstgesetzes: Rheinland-Pfalz setzt auf Telemedizin
Aktuell bleibt abzuwarten, welche Rolle telemedizinische Versorgungsangebote bei der bundesweiten Notfallreform spielen werden. Rheinland-Pfalz hingegen hat schon jetzt bei der Novellierung des aktuellen Rettungsdienstgesetzes im April 2025 gezeigt, dass es ganz auf Telemedizin setzt. So zählt die landesweite Einführung eines telenotarztgestützten Systems zu den zentralen Kernpunkten des Gesetzes. Auf diese Weise können Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter während ihres Einsatzes vor Ort per Video- und Vitaldatenübertragung jederzeit ärztliche Expertise erhalten. Alle Rettungsmittel sind bereits mit der notwendigen Technik ausgestattet. Es gilt nun, Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter entsprechend fortzubilden. In Ludwigshafen und Trier wird das System bereits seit einigen Jahren erprobt - mit Erfolg.
Damit die Notfallreform tatsächlich ihr volles Potential entfalten kann, braucht es nach Ansicht der TK weitere umfassende Strukturreformen:
Integrierte Notfallzentren (INZ)
Gerade für ein Flächenland wie Rheinland-Pfalz ist der flächendeckende Ausbau von INZ ein sinnvoller Schritt, damit auch in Zukunft die Notfallversorgung auf hohem Niveau sichergestellt ist. INZ setzen sich aus der Notaufnahme eines Krankenhauses, einer KV-Notdienstpraxis und einer zentralen Stelle zur Ersteinschätzung zusammen. Damit diese bundesweit vergleichbar realisiert werden, braucht es verbindliche, einheitliche Kriterien, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erarbeitet werden sollten.
Zugang und Ersteinschätzung
Angesichts begrenzter personeller Ressourcen, die sich in Rheinland-Pfalz durch den demographischen Wandel bereits deutlich bemerkbar machen, wird künftig eine stärkere Patientensteuerung unverzichtbar sein. Daher sollte in der Notfallversorgung eine möglichst digital gestützte Ersteinschätzung etabliert werden. Hilfesuchende können so direkt dem passenden Versorgungspfad zugewiesen werden. Patientinnen und Patienten ohne akuten Behandlungsbedarf hingegen erhalten über die Terminservicestellen (TSS) Zugang in die vertragsärztliche Versorgung. Um Effizienzverluste zu vermeiden, ist es wesentlich, dass auch Kliniken mit Notaufnahme, aber ohne INZ über eine entsprechende Ersteinschätzungsstruktur verfügen.
Berücksichtigung des Rettungsdienstes
Die föderale Organisation des Rettungsdienstes führt zu unterschiedlichen Standards, fragmentierten Zuständigkeiten und einem ineffizientem Ressourceneinsatz. Eine Reform der Notfallversorgung muss daher auch notwendigerweise den Rettungsdienst adressieren. Wir plädieren daher für eine zeitnahe Integration des Rettungsdienstes in das Sozialgesetzbuch V, um bundesweit einheitliche Qualitätsstandards zu ermöglichen. Darüber hinaus braucht es klare und einheitliche Regelungen zur Preisbildung - etwa bei Leerfahrten - sowie eine gemeinsame Kapazitätenplanung. Hierbei können Erkenntnisse aus Modellprojekten mit besonders qualifiziertem nicht-ärztlichem Personal sowie der Telemedizin berücksichtigt werden.
Gesundheitsleitsystem
Wir halten zudem eine engere Zusammenarbeit zwischen den Rettungsleitstellen (112) und dem durch die KV getragenen ärztlichen Bereitschaftsdienst (116117) für dringend erforderlich. Ziel sollte ein bundeseinheitlicher Rahmen sein, der sowohl die digitale Vernetzung als auch verbindliche Qualitätsstandards regelt. Zudem ist es wichtig, dass auch bei Leitstellen konsequent das Wirtschaftlichkeitsgebot gilt. Kooperationen mit benachbarten Leitstellen bis hin zur Integration in überregionale Strukturen sowie der flächendeckende Einsatz eines qualitätsgesicherten Ersteinschätzungssystems sind wichtige Maßnahmen zur Effizienzsteigerung.
Digitalisierung
Parallel zum flächendeckenden Ausbau telenotärztlicher Leistungen sollte auch der Nutzen der elektronischen Patientenakte (ePA) in der Notfallversorgung gestärkt werden. Neben strukturierten Medikationsdaten müssten künftig auch Betäubungsmittelrezepte (BTM) sowie rezeptfreie Arzneimittel (OTC) vollständig und zeitnah in die ePA aufgenommen werden. Insbesondere im Notfall kann der Zugriff auf solche Informationen entscheidend sein. Daher befürworten wir ausdrücklich eine zeitnahe Implementierung im E-Rezept-Fachdienst und in der ePA.