TK: Wenn man das Thema Nachhaltigkeit in Bezug auf Ernährung betrachtet: Welchen Einfluss hat unser Umgang mit Lebensmitteln sowie unsere Ernährungsweise darauf? 

Dr. Petra Schulze-Lohmann: Jede und jeder kann mit kleinen Schritten viel bewirken. Nachhaltigkeit beginnt schon beim Einkauf: Hauptsächlich pflanzliche Lebensmittel, möglichst gering verarbeitet und wenig verpackt, schonen das Klima und sind gesundheitsfördernd. Wer sich gut überlegt, was er essen möchte, vermeidet, dass zu viel gekauft wird.

Auch bei der Zubereitung sollte die Menge vorher gut geplant werden. War der Hunger doch nicht so groß? Dann reicht es vielleicht noch für den nächsten Tag? Ansonsten gibt es eine Fülle von Rezepten zur Resteverwertung, die das ursprüngliche Gericht durch neue Kombinationen in einem völlig neuen Geschmack erscheinen lassen. Richtig lagern hilft sowohl bei bereits zubereiteten als auch bei frisch gekauften Lebensmitteln. Ist das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen, besagt dies nicht, dass das Produkt ab diesem Datum nicht mehr verzehrt werden darf. Wer selbst die Produkte auf Genießbarkeit prüft und feststellt, dass sie "normal" aussehen, riechen und schmecken, kann sie bedenkenlos verzehren! 

TK: Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK) legen über 40-Jährige mehr Wert auf Nachhaltigkeit bei ihrem Einkauf - bezogen auf regionale und saisonale Lebensmittel - als jüngere Befragte. Womit hängt das Ihrer Meinung nach zusammen? 

Schulze-Lohmann: Mit zunehmendem Alter steigen in der Regel auch die finanziellen Möglichkeiten. Einkäufe zum Beispiel in Bioläden oder auf dem Wochenmarkt sind somit leichter möglich. Gleichzeitig befinden sich viele Menschen diesen Alters in der Familienphase. Bezüglich der Ernährung der Kinder bestehen oft hohe Ansprüche, um diesen ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen. Auch die eigene Gesundheit bzw. unter Umständen erste gesundheitliche Probleme lassen das Interesse an einer ausgewogenen Ernährung deutlich steigen. Die Menschen spüren die Auswirkungen einer für die Gesundheit ungünstigen Ernährung und orientieren sich neu.

Dr. Petra Schulze-Lohmann

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Leiterin der DGE e.V. – Sektion Schleswig-Holstein

TK: 60 Prozent der Befragten gaben weiterhin an, dass es häufig schwierig ist, zu erkennen, welche Produkte nachhaltig sind. Das hält sie davon ab, nachhaltige Lebensmittel zu kaufen. Was denken Sie: Wie können nachhaltige Produkte für Verbraucherinnen und Verbraucher deutlicher erkennbar werden? Woran kann man sich aktuell schon orientieren? 

Schulze-Lohmann: Wünschenswert ist ein Siegel, das nicht einzelne Aspekte wie zum Beispiel "Tierwohl", "gentechnikfrei" oder "fair gehandelt" aufgreift, sondern allen Aspekten der Nachhaltigkeit gerecht wird. Das Autorenteam des WBAE-Gutachtens zur "Nachhaltigeren Ernährung" fordert deshalb ein gemeinsames Siegel für die vier Dimensionen, die die Nachhaltigkeit charakterisieren: Gesundheit, Klima, Umwelt und Soziales.

Aktuell hilft eine Orientierung am EU-Bio-Siegel. Dieses Siegel ist für alle verpackten und in der EU produzierten Bio-Lebensmittel eine Pflicht-Kennzeichnung, Lebensmittel, die aus Drittländern in die EU eingeführt werden sowie unverpackte Produkte können das EU-Bio-Logo freiwillig tragen. Hier stammen die Zutaten zu mindestens zu 95 % aus ökologischem Landbau, es wird keine Gentechnik genutzt, Tiere werden artgerechter gehalten, es werden keine organisch-synthetischen Pflanzenschutz- und chemisch-synthetischen Düngemittel verwendet. Zudem dürfen verarbeitete Bio-Lebensmittel nur eine Auswahl von Zusatzstoffen beinhalten. Gleiche Anforderungen gelten für die freiwillige Kennzeichnung mit dem Deutschen Bio-Siegel.

TK: Welche Maßnahmen bedarf es Ihrer Meinung nach noch, um das Bewusstsein für eine nachhaltige Ernährung zu steigern? 

Schulze-Lohmann: Geplante Maßnahmen des Bundes wie der Modellregionenwettbewerb "Ernährungswende in der Region" unterstützen innovative Konzepte für eine gesunde und nachhaltige Ernährung. Auch Maßnahmen in Schleswig-Holstein, wie die Bildungsoffensive "Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz", die mit außerschulischen Lernorten Schülerinnen und Schülern die Herstellung und Zubereitung von landwirtschaftlichen Produkten näherbringen möchte, unterstützen das Bewusstsein für eine nachhaltige Ernährung und bringen das Thema stärker in die Öffentlichkeit.

Um Menschen in ihrer individuellen Umgebung besser zu erreichen, sollten verstärkt bereits vorhandene regionale Wertschöpfungsketten bekannt gemacht sowie neue initiiert werden. Die Einführung eines "Nachhaltigkeits-TÜV-Zertifikats" für Restaurants und Imbisse kann die Entscheidung für ein nachhaltiges Angebot erleichtern. Zudem gilt es für die Gastronomen, mehr vegetarische Speisen anzubieten und diese besonders attraktiv zu präsentieren.

Eine regelmäßige Ernährungsbildung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit theoretischen und praktischen Inputs schafft bei der nachwachsenden Generation mehr Bewusstsein für eine nachhaltige Ernährung.