Seit 1. Januar 2023 ist Armin Beck neuer stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (KVH). Zum Einstand haben wir ein Interview mit ihm geführt.

TK: Ende des vergangenen Jahres wurden Sie zum neuen stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen gewählt. Welche Schwerpunkte wollen Sie in Ihrer Amtszeit setzen?

Armin Beck: Wir stehen in der ambulanten Versorgung vor vielen Herausforderungen. Eine der schwierigsten Aufgaben wird sein, auch in Zukunft eine möglichst flächendeckende, wohnortnahe Versorgung in Hessen sicherzustellen. In den nächsten Jahren werden die Kolleginnen und Kollegen der Babyboomer-Jahrgänge ins Rentenalter kommen. Diese Sitze nachzubesetzen, wird die vordringliche Aufgabe darstellen. Dazu müssen die Rahmenbedingungen für die Ärztinnen und Ärzte stimmen. Hier gilt es - und das wird eine zentrale Aufgabe sein - sowohl in der Selbstverwaltung wie auch mit der Politik einen gemeinsamen Weg zu finden.

Armin Beck

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Stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen

TK: Wo sehen Sie mit Blick auf die ambulante Versorgung in Hessen die größten Herausforderungen?

Beck: Wie andere Bundesländer auch sehen wir uns in Hessen mit einem Nachfolgeproblem konfrontiert.

Junge Kolleginnen und Kollegen benötigen Verlässlichkeit. Armin Beck

Insbesondere in ländlichen Regionen werden viele Praxen nicht nachbesetzt, sodass die Versorgung dort bereits erheblich krankt. Daran arbeiten wir; alleine meistern können wir diese Herausforderung allerdings nicht. Denn was die jungen Kolleginnen und Kollegen, die zukünftig die Versorgung in Hessen aufrechterhalten sollen, benötigen, ist Verlässlichkeit. Stattdessen erleben wir in Berlin derzeit einen gesundheitspolitischen Zickzackkurs, der sich quasi im Wochenrhythmus verändert und obendrein der ambulanten Versorgung nicht gut gesonnen ist. Das sind keine guten Argumente, um die Ärztinnen und Ärzte von einer Niederlassung zu überzeugen. Ganz im Gegenteil.

TK: Die sektorenübergreifende Versorgung soll Fahrt aufnehmen. Die Bundesregierung hat entschieden, dass für ausgewählte Leistungen eine sektorenunabhängige Vergütung via Hybrid-DRGs kommen soll. Was halten Sie davon?

Beck: Dieses Thema betrifft die gebietsärztliche Versorgung. Wir werden genau darauf achten, dass hier nicht wieder zweierlei Maß angelegt wird.

Die Gleichbehandlung ärztlicher Leistungen ist schon lange überfällig. Armin Beck

Für die betroffenen niedergelassenen Fachkolleginnen und -kollegen wäre dies von existenzieller Bedeutung. Insgesamt ist die Gleichbehandlung ärztlicher Leistungen schon lange überfällig und sehr wünschenswert. Allerdings ist zu befürchten, dass das Ganze eine Chimäre wird. Es wird vermutlich nur für wenige und solche Leistungen Hybrid-DRGs geben, an denen die Krankenkassen interessiert sind. Das hilft aber der ambulanten Versorgung nicht. Das Hauptproblem ist und bleibt, dass weiter Milliardensummen in den Krankenhäusern "verbrannt" werden, während sich die Gesetzliche Krankenversicherung beharrlich weigert, die ambulante Grundversorgung angemessen zu vergüten.

TK: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat eine Klinikreform angekündigt, die - seinen eigenen Aussagen zufolge - einer "Revolution" gleichkommen soll. Welche Auswirkungen könnte eine solche Reform für den ambulanten Bereich haben?

Beck: Ich würde Ihnen diese Frage gerne beantworten, denn auch wir als Kassenärztliche Vereinigung und die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte wüssten gerne, ob und was auf uns zukommt. Dazu müsste Herr Lauterbach jedoch erst einmal darlegen beziehungsweise sich selbst darüber klarwerden, wohin er mit seiner Reform eigentlich möchte. Mit den bisherigen Informationen können wir jedenfalls wenig anfangen, geschweige denn etwaige Auswirkungen einschätzen. Der Gesetzestext und seine Ausführungsbestimmungen werden in diesem Jahr erarbeitet. Dass wir als Körperschaft hier zumindest in Hessen eine Stimme haben, ist als positiv anzuerkennen.

TK: Wie ist der aktuelle Stand beim sektorenübergreifenden Notfallversorgungsprojekt SaN*? Wie geht es weiter?

Beck: Das SaN-Projekt zur sektorenübergreifenden Notfallversorgung wird derzeit in drei hessischen Landkreisen erprobt, mit dem bisherigen Projektverlauf sind wir sehr zufrieden. Natürlich gibt es noch Baustellen, so muss beispielsweise IVENA, das ursprünglich für die Ressourcenplanung im stationären Bereich entwickelt wurde, noch besser an den ambulanten Bereich angepasst werden. Grundsätzlich sind wir aber auf einem wirklich guten Weg, sodass wir von den Krankenkassen fordern, finanzielle Verantwortung im Rahmen des Projekts zu übernehmen. Denn wenn wir, wie geplant, rund 40 Prozent der Akut- oder Notfälle in den ambulanten Strukturen behandeln können, wird dies auf der stationären Seite massive Einsparungen bringen. Auf der ambulanten Seite wird sich der Leistungsbedarf indes steigern. Dieser Entwicklung muss dann auch finanziell adäquat Rechnung getragen werden.

TK: Bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens - und damit auch der Arztpraxen - geht es in Deutschland nach wie vor nur schleppend voran. Woran liegt das in Ihren Augen? Wie können Hessens niedergelassene Ärztinnen und Ärzte zu Treibern werden?

Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte können nicht zu Treibern der Digitalisierung werden. Armin Beck

Beck: Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte können nicht zu Treibern der Digitalisierung werden. Ganz im Gegenteil: Sie sind Getriebene, die immer und immer wieder mit nicht praxistauglichen, weil nicht funktionierenden Anwendungen konfrontiert werden. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Kolleginnen und Kollegen blockieren die Digitalisierung des Gesundheitswesens keinesfalls. Um die Digitalisierung voranzutreiben, braucht es aber Anwendungen, die die Praxisabläufe vereinfachen und einen Mehrwert bieten für die Praxen und die Patientinnen und Patienten. Stattdessen bremst die verantwortliche gematik die Praxen jedoch mit Anwendungen aus, die nicht für Erleichterung, sondern größtenteils zu zeitlichem und finanziellem Mehraufwand führen und damit nicht für Akzeptanz in der Ärzteschaft sorgen. Noch dazu stellen sich das Bundesgesundheitsministerium und die gematik seit Jahren schützend vor das Oligopol der PVS (Praxis-Verwaltungs-Software)-Anbieter.

TK: Das Hessische Kompetenzzentrum für Telemedizin und E-Health (KTE) hat es sich zur Aufgabe gemacht, die hessischen Arztpraxen in Sachen Digitalisierung zu beraten. Wäre das nicht eigentlich eine ur-eigene Aufgabe der KV?

Beck: Wie kommen Sie darauf, dass wir das nicht machen? Wir sind an dieser Stelle durchaus aktiv. Die Arbeit des KTE, das ja eine universitäre Einrichtung und an der Technischen Hochschule Mittelhessen und der Universität Gießen angesiedelt ist, kann niedergelassene Ärztinnen und Ärzte natürlich unterstützen. Eine führende Rolle kann es jedoch schon deshalb nicht übernehmen, weil die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) nicht lokalen, sondern bundesweiten Regelungen unterliegen.

Bei der gematik gibt es große Defizite und Versäumnisse. Armin Beck

Und obwohl die KVen und wir als Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (KVH) die Prozesse innerhalb der Kassenärztlichen Bundesvereinigung mit Rat und Tat unterstützen, ist unser Einfluss auf das Bundesgesundheitsministerium und somit auch auf die gematik nur sehr gering. Und dort gibt es definitiv die größten Defizite und Versäumnisse.

TK: Sie sind nicht nur stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KV Hessen, sondern nach wie vor auch Vorsitzender des Hessischen Hausärzteverbands. Ihre Work-Life-Balance ist daher sicherlich nicht immer ganz ausgewogen. Wie sorgen Sie in Ihrem Alltag für Ausgleich?

Beck: Ich bin mir natürlich darüber bewusst, dass das Amt des stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der KVH eine große und auch zeitaufwendige Herausforderung ist. Dass ich dieses nun - zumindest übergangsweise - parallel zu meiner Aufgabe als Vorsitzender des Hessischen Hausärzteverbands bekleide, sehe ich aber grundsätzlich entspannt. Das Geheimnis ist, dass ich meine Aufgaben mit Freude angehe und die Arbeit nicht als Belastung empfinde.

Zur Person 

Armin Beck ist Facharzt für Allgemeinmedizin. Seine Hausarztpraxis liegt in Hofheim am Taunus. Seit 1998 ist Beck im Hessischen Hausärzteverband (HÄV) aktiv. Von 2013 bis 2015 war er als Schatzmeister im Vorstand des HÄV; seit 2015 ist dessen Vorsitzender. Von 2011 bis 2022 war Beck Mitglied der Vertreterversammlung der KV Hessen; zuletzt dort als stellvertretender Vorsitzender. Ende 2022 wählte ihn die KV-Vertreterversammlung zum neuen stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der KV Hessen. Zum 1. Januar 2023 hat Beck das Amt angetreten.

*SaN: Bei der "Sektorenübergreifende ambulante Notfallversorgung" (kurz SaN) handelt es sich um ein gemeinsames Projekt der KV Hessen, der Hessischen Krankenhausgesellschaft, des Rettungsdienstes, dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration und der Krankenkassen in Hessen. Ziel ist eine sektorenübergreifende Zusammenarbeit und eine ressourcengerechte Steuerung der Notfall-Patientinnen und -Patienten. Schwerpunkte bilden dabei die Vernetzung der Notfall-Rufnummern 116 117 sowie 112, die Nutzung der Software "SmED" für eine medizinische Ersteinschätzung und der Ausbau des IVENA-Systems für die Zuweisung der Patientinnen und Patienten. Im Rahmen von SaN werden Patientinnen und Patienten, die ambulant behandelt werden können, vom Rettungsdienst beispielsweise nicht mehr in eine Klinik-Notaufnahme transportiert, sondern in eine Arztpraxis. Die Rettungssanitäterinnen und -sanitäter können über das digitale IVENA-System im Krankenwagen einsehen, welche Arztpraxen Kapazitäten freihaben. In den drei Pilotregionen - Landkreis Gießen, Main-Taunus-Kreis und Main-Kinzig-Kreis - pflegen sogenannte Partnerpraxen, die sich freiwillig am Projekt beteiligen, ihre freien Behandlungsslots in IVENA ein. Durch das Projekt sollen die Anzahl vermeidbarer Einsätze des Rettungsdienstes reduziert und die Notaufnahmen der Krankenhäuser entlastet werden.