Kommunale Medizinische Versorgungszentren werden selten Realität
Artikel aus Hessen
Bereits seit 2011 können Kommunen theoretisch eigene Medizinische Versorgungszentren (MVZ) gründen. Die Hürden waren damals allerdings so hoch, dass sie kaum eine Stadt, Gemeinde oder ein Landkreis überwinden konnte. Der Gesetzgeber griff deshalb 2015 erneut ein und lockerte die Voraussetzungen für kommunale MVZ deutlich. Doch auch danach blieb eine Gründungswelle kommunaler MVZ weiter aus.
In Schwarzenborn im Schwalm-Eder-Kreis ist am 1. Oktober 2018 Hessens erstes kommunal geführtes Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) in Betrieb gegangen. Damit gehört die Stadt nicht nur in Hessen zu den Pionieren, denn deutschlandweit gibt es nicht einmal zehn weitere kommunale MVZ.
Bereits seit 2011, mit Inkrafttreten des Versorgungsstrukturgesetzes (GKV-VStG), können Kommunen - also Gemeinden, Städte, Landkreise oder Bezirke - eigene MVZ gründen und selbst Ärzte anstellen. Eine kommunale Trägerschaft war im Gesetz damals explizit als Ausnahme vorgesehen, und zwar in Fällen, in denen die zuständige Kassenärztliche Vereinigung (KV) ihren Sicherstellungsauftrag nicht mehr selbst erfüllen kann.
Den Kommunen sollte mit dem GKV-VStG ermöglicht werden, in akuten Notlagen die Sicherung der ambulanten Versorgung selbst in die Hand zu nehmen. Der Gesetzgeber hatte dabei vor allem ländliche Gebiete im Sinn. Eine Gründungwelle kommunaler MVZ blieb nach 2011 allerdings aus, auch weil kaum eine KV den MVZ-Plänen der Kommunen zustimmte. Schließlich hätten sie so eingestehen müssen, bei der Sicherung der ärztlichen Versorgung versagt zu haben.
Kommunen seit 2015 gleichwertige MVZ-Träger
2015 griff der Gesetzgeber mit dem Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) erneut ein: Seitdem gelten Kommunen als regelhaft zulässige Träger von MVZ - gleichwertig zu Vertragsärzten, Kliniken und Dialyseträgern. Die Gründung eines kommunalen MVZ ist nun nicht mehr auf Ausnahmefälle beschränkt. Eine explizite Zustimmung durch die KVen ist ebenfalls nicht mehr nötig. Trotz dieser gesetzlichen Erleichterungen treten bundesweit bisher nur vereinzelt Kommunen als MVZ-Träger in Erscheinung.
MVZ sind attraktive Arbeitgeber für den ärztlichen Nachwuchs
MVZ gelten als attraktive Arbeitgeber - vor allem für junge Ärztinnen und Ärzte. Die Landesärztekammer Hessen befragt seit 2009 jährlich alle hessischen Absolventinnen und Absolventen eines Medizinstudiums über deren beruflichen Pläne. Die Ergebnisse der Umfragen zeigen, dass eine Anstellung im ambulanten Bereich tendenziell immer beliebter wird. In Anstellung ist beispielsweise eine Teilzeittätigkeit viel leichter möglich als in Selbstständigkeit. Auch tragen Ärztinnen und Ärzte in Anstellung kaum finanzielle Risiken und haben wenig mit administrativen Aufgaben zu tun.
Am Beispiel Niedersachsen wollten Wissenschaftler der Medizinischen Hochschule Hannover 2016 herausfinden, was die Kommunen jetzt noch von einer MVZ-Gründung abhält. Die Forscher haben dazu 411 Bürgermeister und 38 Landräte aus Niedersachsen befragt. Zwei Drittel der Befragten berichteten, zunehmend Probleme zu haben, ärztliche Stellen nachzubesetzen. Die meisten Bürgermeister und Landräte hatten auch bereits Maßnahmen zur Ansiedlungsförderung durchgeführt - z.B. Praxisräume bereitgestellt (17 Prozent), die Niederlassung finanziell gefördert (30 Prozent) oder eine Kooperation mit der zuständigen KV angestrebt (30 Prozent). Die Mehrheit der Befragten (60 Prozent) gab aber an, die Gründung eines eigenen MVZ abzulehnen. Einigen Kommunen fehlte das Geld für eine solche Unternehmung, andere hielten ihre Stadt/ihre Gemeinde für zu klein.
Auch fehlende Kompetenz und die Auffassung, grundsätzlich nicht für die Gründung von MVZ zuständig zu sein, gaben die Befragten als Gründe an. Hinzu kommt, dass die Gründung eines MVZ für eine Kommune mit hohen finanziellen Risiken verbunden ist. Wie jeder Vertragsarzt sind auch sie voll haftbar bei Behandlungsfehlern, Regressen und Insolvenz.
Von der Idee bis zum MVZ in Schwarzenborn
Die nordhessische Stadt Schwarzenborn hat sich von den Risiken jedoch nicht einschüchtern lassen und im Oktober 2018 Hessens erstes kommunales MVZ eingerichtet. Von der Idee bis zur tatsächlichen Gründung des kommunalen MVZ sind allerdings über vier Jahre vergangen. Der erste große Meilenstein war im August 2016 mit dem Spatenstich für den Neubau der geplanten medizinischen Einrichtung erreicht. In einer Übergangspraxis nahm parallel dazu ein Hausarzt - zunächst als Selbstständiger - seine Arbeit in der 1.400-Einwohner-Stadt auf. Der Allgemeinmediziner kam nur nach Schwarzenborn mit der klaren Perspektive, später als Angestellter im MVZ zu praktizieren. Im Herbst 2017 hatte die Stadt auch eine Gynäkologin gefunden, die im MVZ arbeiten wollte. Zuvor musste sich die Medizinerin jedoch erst bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen um einen Arztsitz bemühen.
Im Mai 2017 war der 1,1 Millionen Euro teure Neubau für das MVZ fertiggestellt. Die Übergangspraxis zog in die neuen Räume. Auch ein Pflegedienst und eine physiotherapeutische Praxis eröffneten im Gebäude. Im Mai 2018 entschied sich die Stadt, eine Anstalt des öffentlichen Rechts als Träger für das MVZ zu gründen; drei Monate später erhielt die Stadt nach einem aufwendigen Verfahren schließlich auch die Genehmigung von der KV für den zweiten Arztsitz. Am 1. Oktober ging schließlich Hessens erstes kommunales MVZ in den laufenden Betrieb.