Frankfurt am Main, 7. Dezember 2023. Pornografie ist im Internet mit wenigen Klicks verfügbar. Mit Smartphone, Tablet oder Computer kann jederzeit und von jedem Ort darauf zugegriffen werden. Während viele Menschen pornografisches Material für die eigene Sexualität als bereichernd erleben, entwickeln andere einen exzessiven Konsum und schaffen es nicht, diesen zu reduzieren oder zu beenden. Sie sind von einer Pornografie-Nutzungsstörung (PNS) - kurz Pornosucht - betroffen. Dabei handelt es sich um eine psychische Erkrankung, die Betroffene immer wieder dazu führt, erneut pornografisches Material zu konsumieren. Für die Suchterkrankung gibt es bislang kaum wissenschaftlich etablierte Behandlungskonzepte. Ein besonderes Versorgungsprojekt möchte diese Lücke schließen und Betroffene in einem speziellen Behandlungsprogramm besser versorgen. Es startet zum 1. Januar 2024 in den Bundesländern Hessen, Rheinland-Pfalz und im Saarland. Aktuell können noch Patienten in das Projekt aufgenommen werden. 

Eindeutige Krankheitsanzeichen

Für eine Pornosucht gibt es laut Professor Dr. Rudolf Stark von der Justus-Liebig-Universität in Gießen eindeutige Krankheitsanzeichen. Dabei spiele die Häufigkeit oder Dauer des Pornografie-Konsums nicht die zentrale Rolle. "Ein Symptom der Erkrankung ist beispielsweise der Kontrollverlust, wenn es Betroffenen nicht gelingt, ihren Konsum zu reduzieren, obwohl er ihnen nicht guttut. Ein weiteres Anzeichen ist der hohe Leidensdruck, da familiäre, partnerschaftliche, freundschaftliche und berufliche Verpflichtungen vernachlässigt werden. Dies kann bis zum Kontaktabbruch und zu sozialer Isolation führen. Bleibt die Suchterkrankung unbehandelt, verläuft sie chronisch und kann weitere psychische Krankheiten wie Depressionen oder substanzbezogene Süchte auslösen", so Professor Stark.  

Drei Prozent der Männer und knapp ein Prozent der Frauen sind betroffen

Da es bislang kaum Anlaufstellen im ambulanten oder stationären Bereich gibt, an die sich Menschen mit dem tabuisierten Störungsbild der Pornografie-Nutzungsstörung wenden können, unterstützt die Techniker Krankenkasse (TK) das Projekt als Konsortialpartnerin. Studien zeigen, dass knapp 90 Prozent der Männer und 60 Prozent der Frauen zwischen 18 und 30 Jahren Pornografie nutzen. Experten gehen davon aus, dass etwa drei Prozent der Männer und knapp ein Prozent der Frauen von einer Pornografie-Nutzungsstörung betroffen sind. Schätzungsweise leiden bundesweit rund eine Million Menschen darunter.  

Unterstützung in Frankfurt, Marburg, Gießen und Kassel

Mit dem Versorgungsprojekt wird eine neue psychotherapeutische Versorgung für Betroffene zunächst in den drei Bundesländern Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland erprobt. Rund 320 Patienten und Patientinnen ab 18 Jahren können sich ab dem kommenden Jahr im Rahmen der Studie von niedergelassenen Psychotherapeutinnen und -therapeuten professionell behandeln lassen. Diese werden von Mitarbeiterteams aus speziell geschaffenen psychotherapeutischen Koordinationszentren in Diagnostik und Therapie unterstützt. In Hessen finden Betroffene in Frankfurt, Marburg, Gießen und Kassel Unterstützung. 

Therapieziele "Abstinenz" und "reduzierte Nutzung"

Die am Behandlungsprogramm teilnehmenden Patientinnen und Patienten werden per Zufall auf vier Therapiepfade verteilt. Ein Behandlungsprogramm verfolgt das Therapieziel "Abstinenz", in dem auf Pornografie komplett verzichtet wird; ein zweites Therapieziel strebt eine reduzierte Nutzung von pornografischem Material an. In diesen beiden Programmen werden Psychotherapie, Gruppentherapie und Psychoedukation kombiniert. In zwei Kontrollgruppen erhalten die Betroffenen ausschließlich eine psychotherapeutische Begleitung. 

App hilft, Rückfälle zu vermeiden

Zur verbesserten Versorgung der Betroffenen trägt auch eine speziell für das Projekt entwickelte App bei. Mit ihrer Hilfe können die Patientinnen und Patienten lernen, Risikosituationen besser einzuschätzen und Rückfälle zu reduzieren. Sie können sich zudem auch in Paarberatungen helfen lassen. Sollte die wissenschaftliche Auswertung zeigen, dass die beiden neuen Therapieansätze der bisherigen Therapie überlegen sind, könnte das Behandlungsprogramm in die Regelversorgung der Gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden. 

Anonymer Selbsttest

Menschen, die pornografisches Material nutzen und sich fragen, ob ihr Konsum kritisch ist, können auf den Internetseiten des PornLoS-Projekts einen anonymen Selbsttest durchführen. Er hilft, das eigene Nutzungsverhalten besser einzuschätzen. Am Projekt können Versicherte aller gesetzlichen Krankenkassen teilnehmen und sich direkt auf der Projektseite für eine Teilnahme anmelden. 

Hinweis für die Redaktion:

Die Schätzung von bundesweit ca. einer Million an einer Pornografie-Nutzungsstörung Erkrankten bezieht sich auf die Zahl von ca. 51 Millionen erwachsenen Männern und Frauen in Deutschland in der Altersgruppe von 18 bis 65 Jahren. Bei einer Betroffenheit von ca. drei Prozent der Männer und einem Prozent der Frauen ergeben sich die Zahlen von ca. 750.000 männlichen und ca. 250.000 weiblichen Personen mit einer PNS.
Quellen zu den genannten Studien zur Pornografie-Nutzung von Erwachsenen und zur Häufigkeit der Pornografie-Nutzungsstörung sind auf www.pornlos.de veröffentlicht. 

Federführender Konsortialpartner des Innovationsfondsprojekts "PornLoS" ist die Justus-Liebig-Universität (JLU) Gießen. Geleitet wird das auf dreieinhalb Jahre angelegte Forschungsprojekt von Professor Dr. Rudolf Stark von der JLU Gießen. Weitere Konsortialpartner des Projekts sind u.a. die Techniker Krankenkasse (TK), die DAK-Gesundheit sowie eine Reihe von Hochschulen und Hochschulambulanzen. Zudem wird das Projekt von weiteren Krankenkassen unterstützt. Es wird mit 5,4 Millionen Euro aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses gefördert. Das Akronym PornLoS steht für "Pornografie-Nutzungsstörung effektiv behandeln - Leben ohne Suchtdruck".