Im Interview erläutert uns der Patientensicherheitsbeauftragte der TK, Hardy Müller, wie unerwünschte Ereignisse verhindert werden können und wie sich die TK in Sachen Patientensicherheit einsetzt.

TK: Was ist das TK-Verständnis von Patientensicherheit?

Hardy Müller: "Wir wollen, dass TK-Versicherte mit Sicherheit gut versorgt werden!" lautet der Slogan, mit dem wir das TK-Leitbild zum Themenfeld Patientensicherheit überschrieben haben. Nach unserem Verständnis gehört zur Patientensicherheit nicht nur die Vermeidung unerwünschter Ereignisse und damit eine möglichst geringe Zahl von Behandlungsfehlern: Null vermeidbare Schäden ist das Ziel. Wir verstehen daher Patientensicherheit auch als Haltung. Dazu gehören Anstrengungen, um das Sicherheitsverhalten generell zu fördern ganz unabhängig vom bereits erreichten Niveau. Es geht darum, die Risiken zu beherrschen, Sicherheit als relevantes Ziel in der Gesundheitsversorgung anzuerkennen und konkrete Angebote zur Verbesserung zu unterbreiten.

Wenn dann tatsächlich Fehler passieren - und dies wird eben leider immer der Fall sein, da bekanntlich irren menschlich ist - geht es uns darum, aus diesen zu lernen, damit diese Fehler nicht wieder auftreten. Dies nicht zu tun, wäre unmenschlich. Wir als TK streben dabei an, selbst möglichst wenige Fehler zu machen und ziehen es vor, aus den Erfahrungen anderer zu lernen, um von vornherein eigene Fehler zu vermeiden.

Wir gehen davon aus, dass Patientensicherheit eine Gemeinschaftsaufgabe ist und alle Verantwortlichen im Gesundheitswesen gefordert sind. Patientensicherheit lässt sich nur durch konzertierte Aktionen aller - selbstverständlich und maßgeblich unter Einbezug der Versicherten - erreichen. Wir übernehmen und zeigen als TK Verantwortung in diesem Gemeinschaftsprozess. Die Patientensicherheit in eigenen TK-Versorgungsangeboten ist hoch und wir alle arbeiten und sorgen für gute Patientensicherheit.

Hardy Müller

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Beauftragter für Patientensicherheit der Techniker Krankenkasse

TK: Das Engagement in der Patientensicherheit ist vielfältig. An welchen wesentlichen strukturellen Merkmalen und Kennzahlen kann dies gemessen werden?

Müller: Die Ursachen für Fehler sind in der Regel komplex. Zur Fehlervermeidung bedarf es daher komplexer Interventionen. Dazu kommt, dass diese Interventionen selbst in einem komplexen Umfeld - denken Sie beispielsweise nur an ein Krankenhaus - stattfinden. Die Patientensicherheitsforschung benennt diese Herausforderung als "doppelte Komplexität". Wir werden die Sicherheit in der Versorgung nur mit einem Bündel von Maßnahmen gemeinsam verbessern können. Im Kern geht es um die Gestaltung einer Kultur der Sicherheit in der medizinischen Versorgung.

Für einen ersten aussagekräftigen und einfachen Vergleich der Aktivitäten sind Indikatoren notwendig anhand derer die Bevölkerung heute schon das Engagement beim Ausbau der Patientensicherheit einschätzen kann. Wir haben dazu als TK Vorschläge für Struktur- und Prozessmerkmale entwickelt, die wir dieses Jahr bereits zum zweiten Mal im TK-Transparenzbericht öffentlich darstellen. Anhand dieser Kennzahlen lässt sich mit leicht erhebbaren oder bereits vorhandenen Zahlen ein Überblick über die Aktivitäten zum Ausbau der Patientensicherheit beschreiben.

TK: Welche Angebote hält die TK bereit, um die Patientensicherheit zu erhöhen?

Müller: Die vielfältigen Aktivitäten der TK präsentieren wir jedes Jahr im Bericht des Beauftragten für Patientensicherheit. Dabei orientieren wir uns unter anderem an den sieben Strategien, die die WHO in ihrem Global Patient Safety Action Plan 2021-2030 benannt hat. Besonders wichtig ist für uns dabei die Einbindung und Befähigung der Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen in die Prozesse der Patientensicherheit. 

In diesem Themenfeld der Partizipation haben wir uns als TK für die Beteiligung der Versicherten an sogenannten Melde- und Lernsystemen eingesetzt. Mit Partnern haben wir eine Plattform entwickelt, in der erstmals die Bevölkerung die Möglichkeit bekommt, über sicherheitsrelevante Erlebnisse strukturiert zu berichten. Diese Meldungen werden von einem Team von Expertinnen und Experten analysiert und die Ergebnisse dokumentiert. Alle Ergebnisse sind frei zugänglich für alle Interessierten verfügbar. Aus auffälligen Fragestellungen haben wir spezielle Tipps für die Versicherten entwickelt. Dieses System wird noch in diesem Jahr über den Verband der Ersatzkassen (vdek) allen Ersatzkassenversicherten angeboten werden. Wir sehen auch in dieser Entwicklung eine große Bestätigung unseres Ansatzes.

Die Bearbeitung von Behandlungsfehlervorwürfen unserer Versicherten wurde durch Kooperationen mit Fachleuten aus dem klinischen Risikomanagement komplettiert und optimiert. Nach dem erfolgreichen Abschluss eines einjährigen Pilotprojektes ist diese Form eines Fachaustausches zwischen dem kasseninternen Behandlungsfehlermanagement und dem externen klinischen Management nun als Standard etabliert. Ausgewählte Ergebnisse dieser Arbeit veröffentlichen wir als TK-Patientensicherheitsinformationen für den Adressatenkreis der Fachorganisationen. 

Außerdem werden wir mit Förderung durch das BMG ein Projekt zur Standardisierung der Meldungen durchführen, um besser daraus lernen zu können. Ergänzend wollen wir neue einfachere Meldemöglichkeiten zum Beispiel über Chat-Roboter und das Angebot von Hotlines für die Beschäftigten im Gesundheitswesen weiter erproben. Die Beschäftigten sind bei Behandlungsfehlern die "zweiten Opfer" (second victims). Alle Ärztinnen und Ärzte genauso wie die Pflegekräfte wollen sicher versorgen. Der Ausbau der Patientensicherheit dient auch ihnen. 

TK: Sie haben kürzlich am Global Ministerial Patient Safety Summit 2023 in Montreux teilgenommen? Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich und was können wir von anderen Ländern lernen?

Müller: Unter der Leitung des Schweizer Bundespräsidenten haben sich Delegationen aus 80 Ländern Ende Februar 2023 zum Thema ausgetauscht und die Montreux Charta der Patientensicherheit verabschiedet. Das Format eines weltweiten Ministertreffens illustriert die Bedeutung, die viele Länder der Patientensicherheit beimessen.

Auf dem Gipfel kursierte der Begriff der "Stillen Pandemie" von unerwünschten vermeidbaren Ereignissen. Diese Ereignisse gehören zu den zehn häufigsten Todesursachen. Weltweit sollen sich jeden Tag 500.000 Menschen eine Infektion im Krankenhaus zuziehen, dies führt zu 16 Millionen Todesfällen jährlich. Das sind unglaubliche Zahlen, die die Dimension des Problems verdeutlichen. Die WHO rechnet damit, dass eine von zehn Behandlungen im Krankenhaus zu einem Schaden für die Patientin oder den Patienten führt, der eigentlich vermeidbar ist. Diese Größenordnung gilt für die Gesundheitssysteme in allen entwickelten Ländern (high income countries).

Die Herausforderungen und Verbesserungspotentiale einer sicheren Versorgung gelten auch für Deutschland. Nicht zuletzt auch die Verpflichtung, in der medizinischen Versorgung "zuallererst nicht zu schaden" und damit das Ziel "Null vermeidbare Behandlungsfehler" anzustreben. Mein persönlicher Eindruck ist, dass andere Länder dem Thema mehr Beachtung schenken und eine elaborierte Sicherheitskultur leben. Die Verfahren, z.B. des Infektionsschutzes, sind nicht länderspezifisch sondern gelten global.

Als eine der Lehren aus den internationalen Erfahrungen können wir heute sagen: In Deutschland benötigen wir ein Register schwerster Zwischenfälle, wir benötigen Transparenz bei allen Verantwortlichen über deren Aktivitäten im Themenfeld und wir benötigen eben auch Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartner in allen Organisationen zum Thema Patientensicherheit. Im internationalen Austausch lernen wir von anderen und wir können uns mit unseren Ergebnissen in die globalen Zielsetzungen zum Ausbau der Patientensicherheit einbringen. Patientensicherheit rettet Leben, Kooperationen sind hierfür unverzichtbar.