Aus der Selbsthilfe sind digitale Projekte spätestens seit der Coronapandemie nicht mehr wegzudenken. Menschen mit chronischen oder lebensverändernden Erkrankungen können besonders von der technischen Entwicklung in der Medizin profitieren. Denn die Digitalisierung eröffnet Betroffenen viele Chancen, deutlich selbstbestimmter am sozialen, kulturellen und beruflichen Leben teilzunehmen, sie erleichtert die Kontaktaufnahme mit anderen Betroffenen und medizinischem Personal.

Ein Beispiel für ein digitales Selbsthilfe-Projekt sind die Webinare, die Frau Prof. Dr. Jutta Hübner und der Thüringer Landesverband der Kehlkopfoperierten gemeinsam organisieren. Patientinnen und Patienten mit Krebserkrankungen und deren Angehörige erhalten per Videokonferenz Tipps zum Umgang mit der Krankheit und zu Behandlungsmöglichkeiten.

Videomitschnitte der Vorträge sind langfristig für Interessierte verfügbar. Die Techniker Krankenkasse hat das Projekt in den Jahren 2019 bis 2021 finanziell im Rahmen der gesetzlich vorgegebenen Selbsthilfeförderung durch die Krankenkassen gefördert.

Im Interview berichtet Dr. Jutta Hübner, Professorin für Integrative Onkologie und Fachärztin am Jenaer Universitätsklinikum, von ihren Erfahrungen aus den Online-Videokonferenzen.

TK: Frau Prof. Dr. Hübner, Sie arbeiten und forschen bereits seit über 30 Jahren im Bereich der Onkologie - wie kamen Sie auf die Idee, ein Selbsthilfe-Webinar für Betroffene anzubieten?

Prof. Dr. Jutta Hübner: Ich beobachte schon seit Jahren, dass der Bedarf nach Selbsthilfe bei allen Patientengruppen sehr groß ist. Zudem weiß ich aus der Vortrags- und Gesprächsreihe ONKO-KREIS (Anmerkung der Redaktion: Die Reihe wird gemeinsam von der Thüringischen Krebsgesellschaft e. V. und dem Universitätsklinikum Jena angeboten), dass Patienten mit Krebs und ihre Angehörigen zwar einen hohen Informationsbedarf haben, aber teilweise nicht zu den Treffen kommen können beziehungsweise es für sie mit zusätzlichen Belastungen verbunden ist.

Auf Menschen mit Kehlkopfkrebserkrankung trifft das besonders zu. Sie leiden oft stark unter der Angst, sich nicht verständlich machen zu können und möchten in dieser Situation nur ungern in die Öffentlichkeit gehen.

Deshalb freut es mich sehr, dass sich der Thüringer Landesverband der Kehlkopfoperierten besonders engagiert und wir die Webinar-Reihe gemeinsam organisieren. So ermöglichen wir allen Betroffenen auch von Zuhause aus, Informationen und Hilfe zu bekommen. 

So ermöglichen wir allen Betroffenen auch von Zuhause aus, Informationen und Hilfe zu bekommen.
Prof. Dr. Jutta Hübner

Prof. Dr. Jutta Hübner

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Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft

TK: Wie zufrieden sind Sie mit den Webinaren und haben Sie bereits Feedback von den Teilnehmenden erhalten?

Hübner: Ich bin außerordentlich zufrieden, es hat alles super funktioniert. Dafür war allerdings auch eine recht lange Vorbereitungszeit nötig. Etwa vier Monate haben wir gemeinsam Termine und Inhalte geplant und uns Gedanken über die technische Umsetzung gemacht. Hierbei war mir einerseits besonders wichtig, dass der Datenschutz geregelt ist - zum Beispiel kamen Server im Ausland auf keinen Fall in Frage. Zum anderen spielte auch der möglichst nutzerfreundliche Zugang, also ohne komplizierte Installation, eine wichtige Rolle. Bereits nach den ersten Webinaren, konnte ich sagen: Der Aufwand hat sich gelohnt - die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind mit der Technik gut zurechtgekommen. Dieses Feedback habe ich per Mail erhalten. Auch inhaltlich sind die Webinare gut angekommen; also rundum eine prima Sache.

TK: Sie haben den ONKO-KREIS in Jena bereits erwähnt, er bietet Beratungsangebote für Krebspatienten und Angehörige vor Ort. Welche Vor- und Nachteile sehen Sie bei einem Webinar im Vergleich zu solchen persönlichen Treffen?

Hübner: Es kostet Zeit und häufig auch Kraft, zu einem persönlichen Treffen zu gelangen. Neben den Patienten wollen auch berufstätige Angehörige gerne teilnehmen, oft lässt sich das allerdings schlecht im Arbeitsalltag unterbringen. Beim digitalen Angebot hingegen kann man sich bequem von Zuhause aus einschalten - ein deutlich geringerer Aufwand.

Neben der örtlichen Unabhängigkeit wollen wir mit dem Webinar auch eine zeitliche Flexibilität herstellen: Die Webinare werden in ein digitales Archiv geladen und sind dort dann jederzeit abrufbar.

Ein weiterer grundlegender Unterschied zwischen Webinar und Treffen vor Ort ist die Art der Interaktion. Zwar können sich die Webinarteilnehmenden über das Mikrofon oder auch schriftlich per Chat-Funktion austauschen und Fragen stellen. Diese Form der Kommunikation ist natürlich deutlich distanzierter als das persönliche Gespräch. Aus meiner Erfahrung als Referentin empfinde ich das als Nachteil. Ich weiß, wie hilfreich es ist, eine direkte Rückmeldung zu bekommen und zu sehen, wie die Teilnehmer das Gesagte aufnehmen.

Andererseits kann die viel unpersönlichere Kommunikation im Webinar auch positive Aspekte haben. Zum Beispiel ist es für Teilnehmer auch möglich, völlig anonym zu bleiben - dadurch ist die Hemmschwelle, am Webinar teilzunehmen, deutlich geringer als beim Treffen vor Ort.

TK: Zuletzt noch eine allgemeinere Frage: Wie schätzen Sie die Möglichkeiten der Digitalisierung für das Gesundheitswesen und insbesondere für die Onkologie ein?

Hübner: In der Digitalisierung sehe ich extreme Chancen, vor allem für die Versorgung von Patienten in strukturschwachen Regionen. Ich bin überzeugt, dass Telemedizin Gerechtigkeit bringen kann, eine gleich gute Versorgung für alle, unabhängig vom Wohnort. Das trifft für die Onkologie ebenso zu wie für viele andere Bereiche, denn durch die Digitalisierung ist eine schnelle Vernetzung und damit eine vereinfachte Zusammenarbeit aller Beteiligten im Gesundheitswesen möglich.

Ich bin überzeugt, dass Telemedizin Gerechtigkeit bringen kann, eine gleich gute Versorgung für alle, unabhängig vom Wohnort.
Prof. Dr. Jutta Hübner

Gleichzeitig mit diesen Potenzialen sehe ich aber auch das Risiko, dass die Menschlichkeit verloren geht, denn Bits und Bytes zwischen Menschen bedeuten immer auch Distanz.  

Zur Person

Prof. Dr. med. Jutta Hübner hat am Universitätsklinikum Jena die Stiftungsprofessur der Deutschen Krebshilfe für das Fach Integrative Onkologie inne. Außerdem ist sie Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Prävention und Integrative Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft mit den Schwerpunkten Prävention, Ernährung, körperliche Aktivität und komplementäre Onkologie. Als Onkologin beschäftigt sie sich mit der Komplementärmedizin, dem Informationsbedarf von Patienten und der Arzt-Patienten-Kommunikation. 

Info

Die Webinar-Reihe richtet sich an Krebserkrankte und deren Angehörige. Eine Übersicht zu den einzelnen Terminen und die aufgezeichneten Vorträge gibt es unter folgender Adresse: kehlkopfoperierte-th.de/webinar.htm