Im Jahr 2024 erreichten die schleswig-holsteinischen Krankenhäuser durchschnittlich 37,8 von 100 möglichen Punkten. Gemeinsam mit Rheinland-Pfalz bildet Schleswig-Holstein damit das Schlusslicht. Der Bundesschnitt liegt bei rund 43 Punkten. Erhoben wird der sogenannte digitale Reifegrad der Krankenhäuser unter anderem anhand von Kriterien wie IT-Sicherheit, digitalen klinischen Abläufen, telemedizinischen Angeboten und der Einbindung von Patientinnen und Patienten. 

TK: Frau Martens‑Petersen, wie bewerten Sie den aktuellen Stand der Digitalisierung in Schleswig-Holsteins Krankenhäusern mit Blick auf das Ergebnis im DigitalRadar? 

Hilke Martens-Petersen: Zunächst sind wir dankbar, dass es überhaupt die Messungen des DigitalRadars gibt und sich alle Kliniken daran beteiligen. Die vollständige Transparenz, wo jedes Krankenhaus in der digitalen Welt steht, hat nur jede Klinik selbst und nun zusammengefasst schwarz auf weiß evaluiert. Insofern ist unsere Sicht auf die Ergebnisse eine Sicht von außen, allerdings durchaus mit der intensiven Erfahrung aus eigenen unternehmerischen Digitalisierungsschritten. Jetzt zum Kern Ihrer Frage, der Bewertung: Das Ergebnis ist in seiner Deutlichkeit überraschend. Denn auch andere Bundesländer sind wie Schleswig-Holstein Flächenländer mit ländlichen und urbanen Regionen- und schneiden im Ergebnis signifikant besser ab. Daher stellt sich die Frage, ob in Schleswig-Holstein das Aufholtempo in der Digitalisierung zu langsam ist oder ob die Strecke in die moderne Versorgung wesentlich länger ist.

Hilke Martens-Petersen

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Expertin für stationäre Versorgung in der TK-Landesvertretung Schleswig-Holstein

TK: Was sind denn Ihrer Meinung nach die Gründe für dieses Ergebnis und welche besonderen Herausforderungen bestehen gerade für ein Flächenland wie Schleswig-Holstein? 

Martens-Petersen: Der Bericht zeigt zwar den Status quo, geht aber nicht auf die Ursachen ein. Betrachtet man jedoch die Strukturen, lassen sich einige Gründe gut nachvollziehen. Wie in allen Bundesländern ist die Krankenhauslandschaft historisch gewachsen - die Versorgungslandschaft wiederum beeinflusst durchaus die digitale Entwicklung in den Krankenhäusern. Schleswig-Holstein ist ein Flächenland mit vergleichsweise vielen kleinen Krankenhäusern. Die IT-Systeme sind sehr unterschiedlich, oft veraltet und bestehen aus vielen Insellösungen, weil immer wieder für einen neu hinzugekommenen fachlichen Bedarf eine technische Lösung kreiert wurde. Das geht so weit, dass selbst innerhalb eines Hauses nicht immer überhaupt klar ist, welche dezentralen Systeme wie im Einsatz sind und wie sie voneinander abhängen.  

Das hat weitreichende Folgen: Die so relevante Vernetzung innerhalb des eigenen Krankenhauses und der Datenaustausch mit anderen Kliniken oder Arztpraxen kann so nicht optimal funktionieren. Best-Practice-Austausch in Sachen Digitalisierung zwischen den Kliniken wird dadurch ebenfalls erschwert. Daraus kann man den Schluss ziehen, dass je zergliederter die Krankenhauslandschaft ist, desto fragmentierter ist auch die IT-Landschaft und desto aufwendiger ist es, digitale Anwendungen in die Patientenversorgung zu integrieren. Diese These bestätigt sich in Berlin, das deutlicher Spitzenreiter im DigitalRadar ist: Mit Charité und Vivantes ist die Krankenhauslandschaft dort deutlich konzentrierter und setzt digitale Maßstäbe.

Je zergliederter die Krankenhauslandschaft ist, desto fragmentierter ist auch die IT-Landschaft und desto aufwendiger ist es, digitale Anwendungen in die Patientenversorgung zu integrieren. Hilke Martens-Petersen, Krankenhausexpertin der TK-Landesvertretung Schleswig-Holstein

Hinzu kommt, dass die Ressourcen knapp sind, sowohl finanziell als auch personell. Gerade IT-Fachkräfte sind in der Fläche schwer zu gewinnen. Häufig werden Arbeitsbedingungen und Bezahlung in anderen Branchen als attraktiver empfunden, so dass IT-Stellen in Kliniken unbesetzt bleiben. Selbst wenn der Wille zur Digitalisierung da ist, fehlt oft das nötige Know-how vor Ort.

Nun zu den finanziellen Ressourcen: Auf der einen Seite stehen die Mittel für die Telematikinfrastruktur von der Gematik, die den Kliniken von den Kostenträgern zur Verfügung gestellt werden. Hier sind alle Krankenhäuser in Deutschland gleichgestellt.  Auf der anderen Seite spielen Fördermöglichkeiten im Land eine Rolle. Mit dem Krankenhauszukunftsfonds wurde ein Instrument geschaffen, um die Digitalisierung voranzutreiben. Hieraus sind rund 145 Millionen Euro an Fördermitteln an die schleswig-holsteinischen Kliniken geflossen. Hier galt es sich dann zu entscheiden, welche Bereiche zuerst angepackt werden. Denn für eine vollständige, umfassende Digitalisierung der Häuser reichte das Geld nicht aus. Daher gibt es an vielen Stellen noch weiterhin deutlichen Nachholbedarf. Letztlich führt eine Investitionsschwäche zu einer Digitalisierungsschwäche. Selbst wenn nach dem Landeskrankenhausgesetz in Schleswig-Holstein bestimmte IT-Maßnahmen in den Krankenhäusern förderfähig sind, ist die finanzielle Decke zu kurz und werden dringlich erforderliche Bauprojekte priorisiert.

TK: Inwiefern kann die Umsetzung der Krankenhausreform dazu beitragen, die digitale Infrastruktur in Schleswig-Holstein zu stärken? 

Martens-Petersen: Die Krankenhausreform ist ein ganz entscheidender Hebel, vorausgesetzt, sie wird konsequent umgesetzt. Unsere Position ist klar: Wir sehen eine zukunftsfeste Versorgung darin, dass die Versorgungsrolle jedes Krankenhauses deutlich konkreter als heute definiert wird. Das führt dann dazu, dass bestimmte Krankenhäuser sich auf komplexere Leistungen spezialisieren und zugleich flächendeckend eine breite medizinische Grundversorgung gewährleistet ist. Diese Grundversorgung wäre wesentlich stärker ambulant-stationär verzahnt als heute. Das bedeutet zum einen größere Einheiten, in denen sich digitale Strukturen einfacher implementieren und standardisieren lassen. Und zum anderen eine intensivere Vernetzung, in der Krankenhäuser für die - wie wir es nennen - Patientenreise zusammenarbeiten müssen, auch wenn sie sich heute teilweise aus dem Konkurrenzgedanken heraus lieber aus dem Weg gehen. Beide Effekte - Effizienz größerer Einheiten und noch stärkerer Digitalisierungsdruck infolge Vernetzung- bringen aus unserer Sicht in Schleswig-Holstein die digitale Transformation enorm voran.  

TK: Was muss jetzt konkret passieren, damit die Krankenhäuser digital aufholen können?

Martens-Petersen: Der Weg ist lang und für uns in Schleswig-Holstein angesichts des Rückstands besonders weit. Wir müssen schneller sprinten als andere, die digitale Aufholjagd muss jetzt beginnen. Ein zentrales Element bleibt dabei die konsequente Umsetzung der Krankenhausreform. Die Spezialisierung und Zentralisierung der Kliniklandschaft wird nicht nur medizinisch, sondern auch digital neue Standards ermöglichen - etwa durch effizientere IT-Strukturen und eine bessere Verteilung von Ressourcen. Wir fordern hier eine zügige und verbindliche Umsetzung, damit die Digitalisierung nicht erneut ins Stocken gerät.

Die Krankenhausreform betrifft zu unserem Bedauern ausschließlich die somatischen Krankenhäuser. Daher ist es sehr gut, dass in Schleswig-Holstein die Krankenhausplanung sowohl in der Somatik als auch in der Psychiatrie auf neue Füße gestellt werden soll. Gerade beim Thema Vernetzung denken wir, dass die Psychiatrie hier zugunsten der Patientinnen und Patienten noch viel gewinnen kann- sei es in Richtung der Kliniken untereinander oder im Zusammenspiel mit der ambulanten Struktur. Dies sollte der neue Krankenhausplan unbedingt einfordern, damit auch Digitalisierungsstrategien nach diesen neuen Grundlinien entwickelt werden.  

TK: Der nächste Bericht erscheint 2026. Können Sie eine Prognose für Schleswig-Holstein wagen?

Martens-Petersen: Mit Blick in die Zukunft ist der 1. Oktober 2025 ein entscheidendes Datum. Ab dann sind alle Leistungserbringer und somit auch die Krankenhäuser verpflichtet, Daten in die elektronische Patientenakte (ePA) einzupflegen. Bis dahin, um es bildlich zu sagen, müssen in den Kliniken erst noch etliche IT-Stecker zusammengesteckt werden, damit das technisch überhaupt funktioniert. Die ePA wird dabei ein wichtiger Hebel sein: Sie befähigt nicht nur die Patientinnen und Patienten, ihre eigene Gesundheit im Blick zu behalten, sondern sorgt für eine sinnvolle Vernetzung und Transparenz zwischen Versicherten, ambulanten Praxen, den Kliniken sowie weiteren Leistungserbringern. Ich bin mir sicher, dass dieser wichtige Schritt dem digitalen Reifegrad der Häuser spürbar zugutekommen kann - und wir im nächsten Bericht 2026 ganz andere Werte erzielen werden.

Weitere Informationen

Weitere Informationen zum Digitalradar gibt es unter www.digitalradar-krankenhaus.de.