TK: Derzeit warten rund 382 Menschen aus Schleswig-Holstein auf ein lebensrettendes Spenderorgan - ob und wann Sie eine Spende erhalten, wissen sie nicht. Wie hat sich die Wartezeit für Sie damals angefühlt und was gab Ihnen am meisten Hoffnung? 

Nathalie Flux: Bevor ich in 2017 die Diagnose Leberzirrhose erhielt, hatte ich bereits viele Arztbesuche mit großen Untersuchungen hinter mir. Mit der Diagnose war mir dann klar, wenn sich kein passendes Organ für mich findet, werde ich nicht überleben. Auch wenn ich in dieser Zeit versucht habe positiv zu bleiben und meinen Alltag zu bewältigen, hatte ich stets den Gedanken: Wieso sollte ausgerechnet ich das Glück einer passenden Spenderleber haben?!  

Mit der Diagnose war mir dann klar, wenn sich kein passendes Organ für mich findet, werde ich nicht überleben.
Nathalie Flux

Nathalie Flux

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TK: Nach 1,5 Jahren Wartezeit erhielten Sie die Nachricht, dass es ein passendes Spenderorgan gibt. Wie haben Sie davon erfahren und was hat das für Sie bedeutet? 

Flux: Ab dem Aufklärungsgespräch zur Transplantation hatte ich stets eine gepackte Krankenhaustasche dabei - immer auf das unwahrscheinliche Eintreten einer Organspende vorbereitet. So habe ich dann 1,5 Jahre lang im Ungewissen gelebt, bis eines Nachts ein Anruf kam. Am Hörer fragte die Koordinatorin dann: "Frau Flux, wir haben ein Organ für Sie, möchten Sie es haben?". Bei dieser Neuigkeit bin ich erstmal aus allen Wolken gefallen. Mein Mann musste sogar für mich antworten, dass ich natürlich das Spenderorgan annehmen möchte. Kurze Zeit später waren wir dann auf dem Weg zum UKSH nach Kiel. Auf der Fahrt musste ich Rotz und Wasser heulen, - aber nicht, weil ich Angst oder Sorgen hatte, sondern weil ich wusste, dass es jetzt in etwas Großes geht. 

TK: Inzwischen ist die Transplantation vier Jahre her. Was waren die größten Meilensteine und wie sieht Ihr Alltag heute aus? 

Flux: Nach der Transplantation habe ich drei Wochen im Krankenhaus verbracht. Den eigenen Körper so geschwächt zu erleben war schon eine Herausforderung. Umso schöner war es dann endlich wieder nach Hause zu dürfen. Dies bedeutete aber auch, dass ich die fordernde Reha bewerkstelligen musste. Zugleich war diese ein wichtiger Meilenstein, um wieder auf Vordermann zu kommen. Bereits nach fünf Monaten Krankschreibung konnte ich in meinen Job als Pflegedienstleiterin starten und mich auf mein Fahrrad schwingen.  
Stand heute kann ich sagen, dass ich meine Lebensqualität vollständig zurückgewonnen habe: Ich mache regelmäßig Sport, arbeite Vollzeit, bin frisch gebackene Oma und fliege demnächst sogar nach Amerika in den Urlaub. 

Ich mache regelmäßig Sport, arbeite Vollzeit, bin frisch gebackene Oma und fliege demnächst sogar nach Amerika in den Urlaub.
Nathalie Flux 

TK: Bei vielen Organempfängern besteht das Bedürfnis, sich bei ihrem Spender oder Spenderin beziehungsweise deren Angehörigen zu bedanken. Jedoch ist es in Deutschland nicht erlaubt, die Identität der Person zu erfahren. Was würden Sie ihrem Spender oder Spenderin sagen wollen? 

Flux: Auch ich hatte ein großes Bedürfnis, Danke zu sagen, weshalb ich in 2019 einen Dankesbrief geschrieben habe. Ehrlich gesagt war es aber schon eine große Überwindung, sinngemäß die Worte zu verfassen "Danke, dass ich leben darf, aber dein Angehöriger ist tot". Schließlich darf man nicht vergessen, dass so ein Brief auch für die Angehörigen sehr belastend sein kann. Mir war es also vor allem wichtig, zu vermitteln, wie dankbar ich für die mutige Entscheidung zur Organspende bin und dass die Familie meines Spenders langfristig akzeptieren kann, dass ich dank der Spende heute leben darf.

TK: Ab 16 Jahren kann man in Deutschland seine Entscheidung zum Thema Organspende festhalten - in Norddeutschland haben allerdings nur 54 Prozent dies auf einem Organspendeausweis dokumentiert. Was würden Sie den Menschen sagen, die sich noch nicht mit dem Thema auseinandergesetzt haben? 

Flux: Ich sensibilisiere immer für die Vorstellung, dass eine engstehende Person verunglückt ist und man plötzlich mit der Entscheidung einer Organspende konfrontiert wird. In diesem Schockzustand wird man auf die Intensivstation geholt mit der Frage: "Ihr geliebter Mensch wird nicht mehr überleben, wollen Sie die Organe spenden?" Und in dieser Situation - wenn man vielleicht wenige Stunden zuvor noch miteinander gelacht hat - fühlt sich eine solche Entscheidung an, als würde man der Ausbeutung dieses Menschen zustimmen. Dass man damit ein anderes Leben retten würde, ist einem dann überhaupt nicht präsent.  
Insofern kann ich nur daran appellieren, sich frühestmöglich selbst zu entscheiden, ob man seine Organe spenden würde und nicht seinen Angehörigen diese Entscheidung zumutet. Wer dazu noch nicht bereit ist, sollte zumindest mit der Familie oder dem Freundeskreis einmal über die Vorstellung zu einer Spendenbereitschaft gesprochen haben, damit eine Entscheidung im Schockzustand guten Gewissens erfolgen kann.

Wir haben auch mit dem Transplantationsbeauftragten Prof. Dr. med. Felix Braun vom UKSH Campus Kiel gesprochen. Im Interview erläutert er, wie die Bereitschaft zur Organspende gesteigert werden kann.