TK: Aus Ihrem persönlichen Blickwinkel: Wie erleben Sie unser Gesundheitssystem?

Kaweh Mansoori: Unser Gesundheitssystem ist eine der größten zivilisatorischen Errungenschaften, die wir in Deutschland haben. Seit Jahrzehnten bietet es Sicherheit - unabhängig von Einkommen, Herkunft oder Lebenssituation. Das ist nicht selbstverständlich und genau dieser solidarische Charakter unterscheidet uns positiv von vielen anderen Ländern. Zugleich sehen wir: Die Herausforderungen wachsen. Fachkräftemangel, steigende Kosten, wachsende Erwartungen an Qualität und digitale Angebote fordern das System heraus. Ich erlebe aber auch: Bürgerinnen und Bürger vertrauen weiterhin in die Verlässlichkeit des Systems - und dieses Vertrauen zu bewahren und zu stärken, ist unsere gemeinsame Aufgabe in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. 

Kaweh Mansoori

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Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlichen Raum in Hessen und stellvertretener Ministerpräsident, SPD.

TK: Warum findet die Gesundheitsbranche trotz ihrer hohen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Relevanz kaum öffentliche Beachtung als Wirtschaftsfaktor und größter Arbeitgeber?

Mansoori: Das ist tatsächlich eine bemerkenswerte Diskrepanz. Die Gesundheitsbranche ist nicht nur die größte Arbeitgeberin, sondern auch einer der innovativsten Wirtschaftszweige unseres Landes - gerade hier in Hessen. Von Merck in Darmstadt über B. Braun in Melsungen bis zu BioNTech in Marburg: In kaum einem anderen Bundesland ist die Dichte an forschenden und produzierenden Unternehmen so hoch. Gleichzeitig erleben wir, dass die öffentliche Wahrnehmung stärker von Industrie- oder Finanzthemen geprägt ist. 

Gesundheit ist auch ein zentraler Standortfaktor und ein Innovationsmotor. Kaweh Mansoori

Das liegt vielleicht daran, dass Gesundheit häufig als reine Daseinsvorsorge verstanden wird. Aber: Sie ist auch ein zentraler Standortfaktor, ein Innovationsmotor und ein Exportzweig mit globaler Bedeutung. Es ist höchste Zeit, dass wir diesen Beitrag stärker ins Bewusstsein der Menschen rücken und die Branche auch als wirtschaftliche Zukunftsbranche behandeln.

TK: Wie blicken hessische Unternehmen auf die Finanzentwicklung der GKV? Wie nehmen Sie die Diskussion wahr?

Mansoori: Die Unternehmen verfolgen die Diskussion sehr aufmerksam, denn die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge entscheidet über die Wettbewerbsfähigkeit unseres Standortes. Steigende Beiträge bedeuten steigende Lohnnebenkosten - und das betrifft Arbeitgeber wie Arbeitnehmer gleichermaßen. Viele Betriebe nehmen wahr, dass die aktuelle Kostenentwicklung nicht dauerhaft tragfähig ist. Deshalb sind die Erwartungen groß, dass wir strukturell gegensteuern. 

Das heißt: Wir brauchen Reformen, die sowohl die Effizienz im System erhöhen als auch die Einnahmeseite stabilisieren. Es reicht nicht, nur kurzfristige Löcher zu stopfen. Das Ziel muss sein, die Finanzierung langfristig auf solide Beine zu stellen. Dann entlasten wir Unternehmen und Beschäftigte und sichern zugleich die Zukunftsfähigkeit der Gesundheitsversorgung.

TK: In Deutschland konnte sich die Bevölkerung in den vergangenen Jahrzehnten auf das solidarisch finanzierte Gesundheitssystem verlassen. Welche Bedeutung hat diese Sicherheit für die wirtschaftliche Stabilität in Deutschland und ist sie gefährdet?

Die Sicherheit, im Krankheitsfall abgesichert zu sein, ist eine enorme Errungenschaft für die Menschen in Deutschland. Kaweh Mansoori

Mansoori: Die Sicherheit, im Krankheitsfall abgesichert zu sein, ist eine enorme Errungenschaft für die Menschen in Deutschland. Und sie ist ein Standortvorteil. Sie schafft sozialen Frieden, sie stärkt das Vertrauen der Menschen in den Staat und sie gibt Beschäftigten die Freiheit, Risiken einzugehen - sei es in ihrer Karriere oder bei einer Unternehmensgründung. Aber klar ist: Dieses Versprechen steht unter Druck. Wenn wir nicht gegensteuern, drohen steigende Beiträge und ein Fachkräftemangel, der die Versorgungsqualität gefährdet. 

Deswegen ist es so wichtig, dass wir dieses Sicherheitsversprechen erneuern - durch Digitalisierung, durch bessere Struktursteuerung und durch nachhaltige Finanzierung. Nur dann bleibt es das starke Fundament, das es immer war.

TK: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen unseres Gesundheitssystems?

Mansoori: Ich sehe drei zentrale Herausforderungen: Erstens den Fachkräftemangel. Ohne genügend Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte sowie qualifiziertes Personal in allen Gesundheitsberufen nützt uns die beste Technik nichts. Zweitens die Finanzierung: Wir müssen es schaffen, steigende Kosten im Griff zu behalten, ohne dass die Belastung für Beitragszahlende unzumutbar wird. Drittens die Digitalisierung: Sie ist nicht Selbstzweck, sondern Voraussetzung für Effizienz. Hinzu kommt die Krankenhausreform, die Chancen bietet, Versorgung zu spezialisieren und Qualität zu sichern - die aber auch Mut zu Veränderungen verlangt. Diese Themen zu lösen, wird darüber entscheiden, ob unser System zukunftsfähig bleibt.

TK: Inwiefern spiegelt die Debatte um die Krankenhausreform und das Anpassungsgesetz aus Ihrer Sicht grundlegende Transformationsprozesse in der Wirtschaft wider?

Mansoori: Wir erleben hier in konzentrierter Form, was viele Branchen durchlaufen: die Notwendigkeit der Effizienzsteigerung und Spezialisierung und die Herausforderung, mit begrenzten Ressourcen eine hohe Qualität sicherzustellen. Die Krankenhausreform zeigt, dass wir uns von Strukturen verabschieden müssen, die historisch gewachsen, aber nicht mehr zukunftsfähig sind. Das ist schmerzhaft, aber notwendig. 

Qualität und Zukunftsfähigkeit entstehen nicht durch immer mehr vom Gleichen. Kaweh Mansoori

Genau wie in anderen Industrien gilt: Qualität und Zukunftsfähigkeit entstehen nicht durch immer mehr vom Gleichen, sondern durch bessere Strukturen und Vernetzung. Die Transformation der Gesundheitswirtschaft ist damit Teil einer gesamtwirtschaftlichen Modernisierung - und Hessen will hier Vorreiter sein.

TK: Sie sind Schirmherr des Hessischen Gründerpreises. Welche politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind aus Ihrer Sicht entscheidend, damit Start-ups in Hessen bleiben oder sich hier erfolgreich ansiedeln?

Mansoori: Start-ups brauchen drei Dinge: Kapital, Köpfe und Kooperation. Kapital heißt: ausreichende Finanzierungsmöglichkeiten, gerade in kapitalintensiven Bereichen wie der Gesundheitswirtschaft. Hier setzen wir mit dem Hessenfonds an, um zusätzliche Mittel bereitzustellen. Köpfe heißt: Fachkräfte, die ihre Ideen umsetzen können. Deshalb investieren wir massiv in Bildung, Forschung und die Attraktivität Hessens als Arbeits- und Lebensstandort. Kooperation schließlich meint: Vernetzung mit etablierten Unternehmen, Wissenschaftseinrichtungen und Investoren. Plattformen wie die Initiative Gesundheitsindustrie Hessen oder das House of Pharma & Healthcare leisten hier wertvolle Dienste. Mein Ziel ist es, dass Hessen nicht nur ein Gründungsort, sondern auch ein Wachstumsort für Start-ups ist.

TK: Darf man mit Gesundheit Geld verdienen? Wie rechtfertigen sich hohe Medikamentenpreise und wo beginnt Profit auf Kosten der Gemeinschaft?

Mansoori: Natürlich braucht es Gewinne - ohne Renditen gäbe es keine Investitionen in Forschung, keine Innovationen und keine neuen Medikamente. Aber klar ist auch: Wo es um die Gesundheit der Menschen geht, gelten andere Maßstäbe. Profit muss immer im Dienst der Patientensicherheit und des medizinischen Fortschritts stehen. Wenn Preise allein durch Gewinnmaximierung bestimmt werden, dann gerät das Solidarprinzip ins Wanken. Deshalb brauchen wir faire Preise, Transparenz über Kostenstrukturen und Anreize, auch in Bereiche mit hohem medizinischem Bedarf zu investieren. Die Frage ist also nicht, ob man mit Gesundheit Geld verdienen darf - sondern wie wir sicherstellen, dass Gewinne fair verteilt sind und am Ende den Patientinnen und Patienten zugutekommen.

Zur Person:

Kaweh Mansoori ist seit 2024 Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlichen Raum in Hessen und stellvertretener Ministerpräsident. Er ist stellvertretender Landesvorsitzender der hessischen SPD. Mansoori, Jahrgang 1988, studierte Rechtswissenschaften an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Von 2021 bis 2024 war er Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Zuvor arbeitete er als Rechtsanwalt in Frankfurt am Main.