TK: Wie versorgen wir zukünftig Land und Inseln? Welche Maßnahmen möchten Sie auf den Weg bringen, um die medizinische und pflegerische Versorgung insbesondere in den strukturschwachen Regionen unseres Landes nachhaltig zu sichern? Welche strukturellen Synergieeffekte lassen sich aus Ihrer Sicht heben? Und wie kommen wir zu neuen Lösungen?

Aminata Touré: Wir wollen, dass Menschen im ganzen Land gut und verlässlich versorgt werden. Für uns ist Gesundheit Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Deshalb sollten Kliniken nicht mehr nur nach Fallzahlen, sondern auch nach ihrem gesellschaftlichen Auftrag finanziert werden. Dafür braucht es aber ein neues Finanzierungssystem. 

Außerdem müssen wir mehr Nachwuchsfachkräfte gewinnen, damit die Qualität der medizinischen Versorgung flächendeckend gesichert und verbessert wird. Dafür wollen wir die Medizinstudiengänge an den Standorten Kiel und Lübeck mit Bundesmitteln stärken. Außerdem wollen wir noch im Jahr 2022 einen Pakt für Gesundheits- und Pflegeberufe auf den Weg bringen, um die Kapazitäten der Ausbildungs- und Studienplätze zu erhöhen. Uns ist aber auch klar: besonders die Arbeitsbedingungen in der medizinischen und pflegerischen Versorgung müssen verbessert werden. So können mehr Menschen in diesem Arbeitsbereich gehalten und neue gewonnen werden.

Um eine flächendeckend gute Versorgung sicherzustellen, werden wir Anreize schaffen, um Medizinstudierende für die Arbeit in den ländlichen Räumen zu begeistern und die Nachfolgesituation in den Hausarztpraxen zu verbessern.

Aminata Touré

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Gemeinsam mit Monika Heinold Teil des Spitzenteams von BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN in Schleswig-Holstein

TK: Muss es denn immer die Notaufnahme sein? Wer ein akutes medizinisches Problem außerhalb der Öffnungszeiten der Arztpraxen hat, ist oft gar kein Notfall. Dennoch steigen die Patientenzahlen in Notaufnahmen und bei den Rettungsdiensten rasant, ohne dass mehr Menschen stationär aufgenommen werden. Welche Veränderungen sind nötig, um diese Aufwärtsspirale zu stoppen?

Touré: Patient:innenzahlen in Notaufnahmen zeigen, dass es ein großes Vertrauen in die Kompetenz von Ärzt:innen gibt. Sie zeigen aber auch, dass es Ausweichbewegungen gibt, wenn Menschen viel zu lange auf einen Termin in der Praxis warten muss. Es ist gut und richtig, dass frühzeitig Hilfe geholt wird. Problematisch ist, dass es sich bei einem steigenden Anteil der Patient:innen in der Notaufnahme, um weniger schlimme Fälle handelt und somit Kapazitäten für Notfälle fehlen. 

Es braucht zur Entlastung der Notaufnahmen mehrere Instrumente: Aufklärungskampagnen und Informationen darüber, bei welchen Notfällen die Notaufnahme aufzusuchen ist und an wen man sich 24/7 und außerhalb der Sprechstundenzeiten wenden kann. Das sind die zentrale Nummer der ärztlichen Bereitschaftsdienstes 116 117 und die Rettungsleitstellen unter 112. Dort werden durch gezielte Fragen Notfälle und weniger schlimme Fälle getrennt. Man erhält entsprechende Hilfe und Informationen. Sehr gut funktionieren gemeinsame Anlauftresen in den Kliniken, an denen direkt vor Ort geklärt wird, wer schnell in die Notaufnahme kommt. Dort wird auch festgestellt, wer in der Bereitschaftspraxis am Krankenhaus oder bei den niedergelassenen Kolleg:innen am nächsten Tag gut aufgehoben ist. Dieses Modell hat sich bewährt und sollte in die Fläche gehen.

Der ökonomische Druck geht zu Lasten der Versorgung von Patient:innen und zu einer verstärkten Belastung des Personals.
Aminata Touré, neben Monika Heinold Teil des Spitzenteams BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

TK: Welche Krankenhäuser brauchen wir in Zukunft? Hand aufs Herz - welches ist für Sie das "richtige" Krankenhaus - das nächste oder das beste? Welche strukturellen Veränderungen der Krankenhauslandschaft müssen aus Ihrer Sicht vom Land konkret angestoßen werden, um den Spagat zwischen Wohnortnähe und Spezialisierung gelingen zu lassen?

Touré: Das wohnortnahe Krankenhaus mit einer guten Fachexpertise für das spezifische gesundheitliche Problem ist das "richtige" Krankenhaus für mich. Dabei kommt es mir insbesondere darauf an, dass das Krankenhaus auch mit dem ÖPNV gut zu erreichen ist. Überlange Fahrtwege können den Menschen nicht zugemutet werden, wenn es um die grundlegende Gesundheitsversorgung geht. Auch sollte bei Modernisierungen oder Neubauten darauf geachtet werden, dass die Krankenhäuser barrierearm gebaut werden.

Gesundheit ist für uns Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Falsche politische Weichenstellungen in der Vergangenheit haben zu Fehlanreizen geführt. Der ökonomische Druck geht zu Lasten der Versorgung von Patient:innen und zu einer verstärkten Belastung des Personals. Kliniken sollen deshalb in Zukunft nicht mehr nur nach Fallzahl, sondern auch nach ihrem gesellschaftlichen Auftrag finanziert werden. Dafür braucht es ein neues Finanzierungssystem. Weitere Privatisierungen im Gesundheitssektor lehnen wir ab. Wir haben in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass die Investitionen in Krankenhäuser massiv erhöht wurden, damit der Sanierungsstau abgebaut wird. Diesen Weg wollen wir fortsetzen und den Bund an den Investitionskosten beteiligen.

TK: Wie lösen Sie den Pflegenotstand? Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Schleswig-Holstein steigt. Damit Fachkräfte nicht aus der Pflege aussteigen und sich wieder mehr Menschen für den Pflegeberuf entscheiden gilt es - neben einer angemessenen Entlohnung - attraktive Rahmenbedingungen zu schaffen. Wie wollen Sie das als Teil der Landesregierung erreichen?  

Touré: In der kommenden Legislaturperiode setzen wir Grüne uns dafür ein, das Berufsbild so zu gestalten, dass Beruf und Alltag gut miteinander vereinbar sind. Dafür braucht es jetzt eine "Stabsstelle Pflege" innerhalb der Landesregierung, die eine klare Strategie zur Fachkräftegewinnung in der Pflege entwickelt.

Relevant ist dabei aus meiner Sicht, dass gute Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten, Angebote zur Weiterqualifizierung und Aufstiegschancen geschaffen werden. Und natürlich braucht es eine gute und faire Bezahlung! 

Wir fordern in unserem Programm eine Steigerung des Lohnniveaus in der Pflege und die Angleichung der Löhne in der Alten- und Krankenpflege. Langfristig wollen wir eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Pflegekräfte brauchen mehr Zeit für die Patient:innen - ohne wirtschaftlichen Druck. Denn das ist es, was diesen Job zu einem bereichernden, sinnstiftenden Job macht! 

Um die Ausbildungssituation und Nachwuchskräftegewinnung zu verbessern, wollen wir eine Bedarfsanalyse durchführen und die Ausbildungs- und Studienkapazitäten in den Gesundheitsfachberufen und der Pflege entsprechend anpassen. Auch setzen wir Grüne uns dafür ein, dass es vielfältigere Wege in den Pflegeberuf gibt.

Allen Menschen wird es unabhängig von ihren Papieren möglich sein die medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen, die sie brauchen.
Aminata Touré, zusammen mit Monika Heinold Spitzenkandidatin von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

TK: Dafür stehe ich beim Thema Gesundheitspolitik! Woran erkennen wir am Ende der neuen Legislatur - also im Jahr 2027 - die erfolgreiche Handschrift der GRÜNEN in der Gesundheitspolitik in Schleswig-Holstein? 

Touré: Die Grüne Handschrift wird sich in der breitgefächerten Verbesserung der Gesundheitspolitik zeigen! Allen Menschen wird es unabhängig von ihren Papieren möglich sein die medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen, die sie brauchen.

Im ganzen Land wird es psychosoziale Beratungsstellen geben, wo Menschen schnell und niedrigschwellig Hilfe erhalten. Es wird mehr ambulante und stationäre Psychotherapieplätze geben und Allgemeinmediziner:innen werden psychiatrische Grundkenntnisse haben.

Die "Stabstelle Pflege" wird ihre Strategie zur Fachkräftegewinnung implementiert haben, wodurch die Arbeitsbedingungen deutlich verbessert und das Lohnniveau erhöht wurden. Die Pflegekräfte haben mehr Zeit für die Patient:innen und mehr junge Menschen machen eine Pflegeausbildung.

Der etablierte Präventionsrat wird sich u.a. mit der Vermeidung von chronischen Erkrankungen befassen. 

Die Schleswig-Holsteiner:innen werden mehr über regionale, gesunde Ernährung und Bewegung wissen und dies in ihren Alltag integrieren können.

Es werden Krankenhäuser weiter saniert und modernisiert und Gesundheitsämter personell und sächlich gestärkt. Die Digitalisierung wird im medizinischen Bereich effektiv zum Vorteil der Patient:innen und Ärzt:innen eingesetzt.

Eine qualitativ gute Geburtshilfe wird flächendeckend sichergestellt sein.