TK: Wie lässt sich das Handeln der verantwortlichen Bremer Akteure in der Versorgung besser abstimmen? Braucht es dazu neue Formate, oder wäre etwa eine Stärkung des Landesgremiums nach § 90a SGB V geeignet, Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungssituation anzustoßen?

Heiko Strohmann: Die Versorgung in Bremen leidet nicht an mangelndem Engagement einzelner Akteure, sondern an einer gesundheitspolitisch bedingten strukturellen Zersplitterung der Zuständigkeiten. Jeder arbeitet für sich - Krankenhausgesellschaft, Kassenärztliche Vereinigung, Krankenkassen, Pflege, Stadt und Land -, und zu selten wird gemeinsam gedacht und gehandelt. Das führt dazu, dass gute Ideen oft in der Bürokratie versanden oder in Konkurrenz zueinanderstehen. Oder dass neue Gesetze aus dem BMG diese Hürden nicht abbauen, sondern im Gegenteil verstärken. 

Wir brauchen verbindliche und praxisnahe Strukturen, in denen die zentralen Akteure regelmäßig gemeinsame Ziele definieren und konkrete Maßnahmen vereinbaren und vor Ort gezielt umsetzen - nicht nur reden. Das setzt voraus, dass sich alle Beteiligten nicht als Einzelkämpfer, sondern als Mitverantwortliche für die Gesamtversorgung verstehen und die bestehende Gesetzeslage dies auch ermöglicht.

Eine Stärkung des Landesgremiums nach § 90a SGB V kann hier ein sinnvoller Ansatz sein - aber nur, wenn dieses Gremium mehr ist als ein beratender Gesprächskreis. Es braucht ein echtes Mandat, um Initiativen anzustoßen, Projekte zu koordinieren und Entscheidungen vorzubereiten, die dann auch umgesetzt werden. Dazu gehören feste Arbeitsstrukturen, klare Verantwortlichkeiten und verbindliche Umsetzungsfristen.

Eine Stärkung des Landesgremiums nach § 90a SGB V kann hier ein sinnvoller Ansatz sein - aber nur, wenn dieses Gremium mehr ist als ein beratender Gesprächskreis.
Heiko Strohmann, Vorsitzender der CDU Bremen und Sprecher der Deputation für Gesundheit, Pflege und Verbraucherschutz

Die Bundes- und die Landespolitik müssen dafür den Rahmen schaffen - aber auch bereit sein, Kompetenzen zu teilen. Das Ziel muss sein, Versorgung nicht von oben zu verordnen, sondern gemeinsam zu gestalten. Wenn Krankenhausplanung, ambulante Versorgung, Pflege und Prävention als Teile eines Gesamtsystems verstanden werden, können wir endlich die Brüche schließen, die derzeit so viele Ressourcen kosten. Kurz gesagt: weniger Zuständigkeitsdebatten, mehr Verantwortung für das Ganze.

TK: Welche Ideen haben Sie, um den stationären und den ambulanten Sektor besser zu verzahnen - zum Beispiel im Bereich der Notfallversorgung? Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Sektoren wird ja oft als ausbaufähig bezeichnet.

Strohmann: Das Nebeneinander von ambulant und stationär ist ein Relikt aus einer Zeit, in der Medizin und Versorgungslogistik noch klar getrennte Welten waren. Heute verschwimmen die Grenzen längst: Viele Behandlungen, die früher stationär notwendig waren, können ambulant erfolgen - und gleichzeitig brauchen komplexe Fälle eine enge Abstimmung mit Kliniken.

Gerade in der Notfallversorgung zeigt sich der Mangel an Verzahnung besonders deutlich: Patientinnen und Patienten erleben lange Wartezeiten, unklare Zuständigkeiten, doppelte Untersuchungen und eine lückenhafte Informationsweitergabe. Das ist ineffizient, teuer und frustrierend - für alle Beteiligten.

Wir brauchen gemeinsame Notfallzentren, in denen ambulante und stationäre Kräfte Hand in Hand arbeiten. Dort sollte es keine Diskussion geben, wer "zuständig" ist, sondern nur die Frage: "Was braucht der Patient jetzt?" Digitale Fallsteuerung kann helfen, den richtigen Behandlungspfad sofort zu identifizieren - ob Hausarztpraxis, Bereitschaftsdienst, Notaufnahme oder Fachklinik.

Heiko Stroh­mann

Heiko Strohmann, Vorsitzender der CDU Bremen und Sprecher der Deputation für Gesundheit, Pflege und Verbraucherschutz Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Vorsitzender der CDU Bremen und Sprecher der Deputation für Gesundheit, Pflege und Verbraucherschutz

Dafür müssen die Strukturen und Finanzierungslogiken angepasst werden. Solange jedes System sein eigenes Budget verteidigt, wird sich nichts ändern. Gemeinsame Budgets, die sich an den tatsächlichen Behandlungsbedarfen orientieren, können die richtigen Anreize schaffen. Das wäre ein echter Schritt zu einer patientenzentrierten Versorgung, bei der nicht mehr die Sektorengrenze, sondern der Versorgungsbedarf entscheidet.

Zudem sollten telemedizinische Angebote stärker in die Notfallversorgung integriert werden - insbesondere in der Triage und Erstberatung. So lassen sich unnötige Fahrten in die Notaufnahme vermeiden und Kapazitäten gezielter einsetzen. Bremen hat die Größe, um ein solches Modellprojekt umzusetzen - klein genug für kurze Wege, groß genug für relevante Erfahrungen.

TK: Als TK setzen wir uns für die Etablierung einer digitalgestützten Ersteinschätzung des medizinischen Bedarfs ein, bevor überhaupt ein Arzttermin vereinbart wird - diese soll sowohl am Handy zu Hause als auch per Tablet am Praxistresen stets nach dem gleichen Muster ablaufen und den Patientinnen und Patienten mehr Einfachheit und Orientierung in der Versorgung bieten. Wie schätzen Sie das Thema des Zugangs zur Versorgung ein und wo sollte die zukünftige Gestaltung der ambulanten Versorgung aus Ihrer Sicht ansetzen?

Strohmann: Die Idee einer digital gestützten Ersteinschätzung ist grundsätzlich richtig und überfällig. Sie entlastet Praxen, vermeidet unnötige Arztbesuche und hilft, medizinische Dringlichkeit objektiv einzuschätzen. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels kann das helfen, Ressourcen effizienter einzusetzen und Wartezeiten zu reduzieren.

Die Idee einer digital gestützten Ersteinschätzung ist grundsätzlich richtig und überfällig. Sie entlastet Praxen, vermeidet unnötige Arztbesuche und hilft, medizinische Dringlichkeit objektiv einzuschätzen.
Heiko Strohmann, Vorsitzender der CDU Bremen und Sprecher der Deputation für Gesundheit, Pflege und Verbraucherschutz

Allerdings darf diese Digitalisierung nicht zu einer weiteren Hürde für Patientinnen und Patienten werden. Entscheidend ist, dass solche Systeme intuitiv, barrierefrei und wirklich integriert sind - in den Praxisalltag, in die elektronische Patientenakte und in die Terminvergabe. Ein Flickenteppich aus 16 Landeslösungen wäre fatal. Wir brauchen bundesweite Standards und eine zentrale Plattform, die überall funktioniert.

In Bremen besteht zusätzlich ein strukturelles Problem: In vielen Stadtteilen fehlt es schlicht an Hausärzten. Digitale Tools können unterstützen, aber sie ersetzen keine wohnortnahe ärztliche Versorgung. Wenn jemand in Gröpelingen oder in der Vahr keinen Hausarzt findet, hilft auch die beste App wenig. Wir müssen daher an beiden Stellschrauben drehen: Digitalisierung ja - aber gleichzeitig Anreize für junge Ärztinnen und Ärzte schaffen, sich in unterversorgten Gebieten niederzulassen.

Das kann über gezielte Förderprogramme, unbürokratische Niederlassungshilfen oder über kommunale Gesundheitszentren geschehen, die ambulante und soziale Leistungen bündeln. Digitalisierung sollte dabei als Werkzeug verstanden werden, nicht als Ersatz für ärztliche Zuwendung. Am Ende bleibt Medizin eine Vertrauensbeziehung - von Mensch zu Mensch.

TK: Ein weiteres Thema, das in der Gesundheitspolitik bewegt, ist die Digitalisierung. Digitale Angebote in der Versorgung werden von immer mehr Menschen nachgefragt. Was kann Bremen aus Ihrer Sicht tun, um Gesundheit digitaler zu gestalten?

Strohmann: Bremen kann und sollte mutiger Vorreiter werden. Wir sind ein überschaubares Bundesland mit kurzen Entscheidungswegen und vielen engagierten Akteuren - das sind ideale Voraussetzungen für Pilotprojekte, die bundesweit Vorbildcharakter haben könnten. Konkret heißt das: Wir sollten endlich eine digitale Pflegeakte einführen, die mit der elektronischen Patientenakte kompatibel ist. Pflege, Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser und Apotheken müssen in Echtzeit auf relevante Informationen zugreifen können. Nur so vermeiden wir Doppeluntersuchungen und Informationsverluste.

Zweitens: Sektorenübergreifende Telekonsile sollten Standard werden - nicht Ausnahme. Fachärzte, Hausärzte und Kliniken können über digitale Plattformen schnell und sicher miteinander kommunizieren, Befunde austauschen und Behandlungsschritte abstimmen. Das spart Zeit, Wege und Kosten - und erhöht die Behandlungsqualität.

Drittens: Gesundheitsdaten müssen besser nutzbar werden - für Forschung, Prävention und Versorgungssteuerung. Natürlich unter hohen Datenschutzstandards. Aber Datenschutz darf nicht als Vorwand dienen, um Innovation zu verhindern. Bremen könnte hier Modellregion für datensichere Gesundheitsforschung werden, in enger Kooperation mit Hochschulen und Krankenkassen.

Gesundheitsdaten müssen besser nutzbar werden - für Forschung, Prävention und Versorgungssteuerung. Natürlich unter hohen Datenschutzstandards.
Heiko Strohmann, Vorsitzender der CDU Bremen und Sprecher der Deputation für Gesundheit, Pflege und Verbraucherschutz

Viertens: Die öffentliche Verwaltung muss ihre eigenen Strukturen digitalisieren. Solange Gesundheitsämter, Kliniken und Kassenärztliche Vereinigungen mit inkompatiblen Systemen arbeiten, bleibt Digitalisierung ein Schlagwort. Wir brauchen interoperable Systeme, offene Schnittstellen und eine zentrale Datenstrategie für das Land Bremen und darüber hinaus.

Digitalisierung darf nicht bedeuten, analoge Prozesse einfach in PDF-Form zu gießen. Sie muss Abläufe neu denken - mit dem Ziel, Versorgung schneller, transparenter und patientenfreundlicher zu machen.

TK: Haben Sie selbst Ihre eigenen Gesundheitsdaten tagtäglich im Blick? Also zählen Sie Ihre Schritte, messen Ihre Herzfrequenz oder protokollieren Ihren Schlaf mit Hilfe von Wearables?

Strohmann: Ich nutze digitale Angebote mit Augenmaß. Natürlich ist es interessant, Schritte zu zählen oder den Puls zu messen - und solche Informationen können helfen, das eigene Verhalten bewusster zu gestalten. Aber sie ersetzen keine ärztliche Kontrolle und keine medizinische Diagnostik.

Wichtiger als die Technik ist für mich die Frage der Selbstbestimmung: Menschen müssen entscheiden können, welche Daten sie teilen, mit wem und zu welchem Zweck. Diese Freiheit ist Teil der persönlichen Integrität. Niemand sollte sich genötigt fühlen, seine Gesundheitsdaten preiszugeben, um bestimmte Leistungen zu erhalten.

Gleichzeitig sehe ich die Chancen: Wenn Menschen freiwillig Gesundheitsdaten teilen, können sie zur Früherkennung beitragen und die Prävention verbessern. Wearables können Trends sichtbar machen - etwa Bewegungsmangel, Schlafstörungen oder Stressbelastung - und so helfen, rechtzeitig gegenzusteuern.

Technologie darf den Menschen nicht bevormunden. Sie soll unterstützen, nicht kontrollieren. Ich wünsche mir eine digitale Gesundheitswelt, in der Menschen souverän entscheiden, wie viel Technik sie in ihr Leben lassen.
Heiko Strohmann, Vorsitzender der CDU Bremen und Sprecher der Deputation für Gesundheit, Pflege und Verbraucherschutz

Aber Technologie darf den Menschen nicht bevormunden. Sie soll unterstützen, nicht kontrollieren. Ich wünsche mir eine digitale Gesundheitswelt, in der Menschen souverän entscheiden, wie viel Technik sie in ihr Leben lassen - und in der Vertrauen und Transparenz selbstverständlich sind.

Ein Schlussgedanke: Bremen steht im Gesundheitswesen an einem Scheideweg: Entweder wir verharren in alten Strukturen und verlieren weiter Fachkräfte, Zeit und Vertrauen - oder wir nutzen die Chancen der Digitalisierung und Kooperation, um eine moderne, vernetzte und menschliche Versorgung aufzubauen.

Dafür braucht es Mut, Pragmatismus und den Willen zur Zusammenarbeit. Keine neuen Papiere, sondern konkrete Umsetzung. Denn am Ende zählt nicht, wer zuständig ist, sondern dass die Menschen in Bremen die Versorgung bekommen, die sie brauchen.