Ministerpräsidentin sieht das Saarland für den Strukturwandel gut aufgestellt
Interview aus Saarland
Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger weiß um die großen Herausforderungen des laufenden Strukturwandels. Im Interview geht sie unter anderem auf die Rolle der Digitalisierung und der Gesundheitswirtschaft in diesem Prozess ein.
TK: Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin, das Saarland befindet sich derzeit mitten in einem Strukturwandel. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?
Ministerpräsidentin Anke Rehlinger: Sagen wir mal so: Die Herausforderungen sind riesig und das Geld nicht zahlreicher geworden. Wir Saarländerinnen und Saarländer kennen uns ja aus mit dem Strukturwandel, denn er gehört zum Saarland wie der Baum zum Wald. Und doch stehen wir aktuell vor der größten Herausforderung unserer Geschichte, weil sich der Strukturwandel heute anders als früher in vielen Bereichen gleichzeitig vollzieht und von vielen verschiedenen Faktoren gleichzeitig abhängt. Digitalisierung, Industrie 4.0, Mobilitätswende, Energiewende, Klimaschutz, demografischer Wandel, globale Krisen, Umbrüche und Verwerfungen, Fachkräftemangel: All das stellt unsere Wirtschaft und uns als Industrieland vor immense Belastungsproben.
Transformation und Wandel sind aber immer auch eine Chance. Diese zu nutzen, liegt in der DNA unseres Landes. Wir haben in der Vergangenheit nicht nur alle Krisen gemeistert, sondern jede hat uns erfahrener, mutiger und stärker gemacht. Unsere saarländische Geschichte hat uns zu Strukturwandel-Weltmeistern gemacht. Auch jetzt können wir die Herausforderungen meistern, wenn wir den Strukturwandel nicht einfach geschehen lassen, sondern früh Antworten auf Veränderungsprozesse geben. Eine solche Antwort ist der Transformationsfonds, den wir im vergangenen Jahr verabschiedet haben. Er ist der Möglich-Macher für eine Dekade der Leitinvestitionen in Industrie, Infrastruktur und Innovation. Wir können dadurch am Ende Milliardeninvestitionen auslösen und Arbeitsplätze schaffen und sichern. Wir haben die saarländische SPD-Landesregierung auf "Arbeitsplätze erhalten und neue schaffen" als übergreifendes Ziel ausgerichtet und mit der Ansiedlung von Wolfspeed oder den Investitionsentscheidungen der Stahlindustrie ist so etwas wie ein Aufbruch sichtbar.
TK: Welche bereits vorhandenen Standortfaktoren können im Saarland zum Gelingen des Strukturwandels beitragen?
Rehlinger: Erfolge und Niederlagen gehen in einem Strukturwandel Hand in Hand. Das haben wir positiv wie negativ erlebt. Der größten Enttäuschung der vergangenen Jahre, Fords Entscheidung gegen das Saarland, stehen eine Reihe von ersten Erfolgen entgegen: Wir bekommen die modernste Halbleiterfabrik Europas. Der US-Konzern Wolfspeed will in Ensdorf ein Werk für Siliziumkarbid-Halbleiter für mehrere Milliarden Euro bauen. Unsere Stahlindustrie wird 3,5 Milliarden Euro investieren, um den Ausstoß von CO² zu reduzieren. Das Saarbrücker Werk des Getriebeherstellers ZF wird Leitwerk für Elektro-Mobilität.
Wir haben im Saarland ein Bewusstsein über die Größe der vor uns stehenden Aufgabe, aber auch das Selbstbewusstsein, dass wir das erfolgreich gestalten können.
Der CEO von Wolfspeed, Gregg Lowe, hat gesagt, er habe sich in das Saarland verliebt. Wir sind ein attraktiver Standort, wir haben gute Fachkräfte, die nach Weiterbildung und Qualifizierung in solchen Zukunftstechnologien kompetente Mitarbeiter sein werden. Und als Land bieten wir kurze Wege und schnelle Entscheidungen. Es ist auch ein Vorteil, dass wir uns in dieser schwierigen Phase des Strukturwandels auf unsere Alleinregierung stützen können - es gibt keinen Streit, sondern schnelle Entscheidungen, klare Linie und Orientierung. Wir haben im Saarland ein Bewusstsein über die Größe der vor uns stehenden Aufgabe, aber auch das Selbstbewusstsein, dass wir das erfolgreich gestalten können.
TK: Glauben Sie, dass die Digitalisierung bei dem Strukturwandel eine wichtige Rolle spielen wird?
Die Digitalisierung ist untrennbar mit dem Strukturwandel verbunden und spielt mittlerweile in allen Lebens- und Arbeitsbereichen eine Rolle.
Rehlinger: Natürlich. Die Digitalisierung ist untrennbar mit dem Strukturwandel verbunden und spielt mittlerweile in allen Lebens- und Arbeitsbereichen eine Rolle. Auch in der Gesundheitsversorgung. Die Gesundheitswirtschaft ist eine Zukunftsbranche, die in hohem Maße von der digitalen Transformation betroffen ist. Der verstärkte Einsatz von Digitalisierung im medizinischen Bereich macht vieles leichter, beispielsweise durch Telemedizin, Videosprechstunden oder das elektronische Rezept. Auch die digitale Patientenakte wird als wichtige Informationsplattform einen echten Mehrwert für beide Seiten bieten und für größere Qualitätssicherheit sorgen. Nicht zuletzt kann die Digitalisierung dafür sorgen, dass mehr Zeit für die Versorgung und Pflege bleibt.
Ganz grundsätzlich kann uns Digitalisierung an vielen Stellen helfen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Digitalisierung kein Allheilmittel ist, mit dem wir alle Probleme lösen können. Erstens bringt sie selbst die eine oder andere Schwierigkeit mit sich und zweitens kann das Digitale nie das Menschliche ersetzen. Schon gar nicht im pflegerischen Bereich.
TK: Die Gesundheitswirtschaft ist eine der größten Branchen im Saarland. Wie wird sich diese im Zuge des Strukturwandels verändern und welche Rolle wird sie bei diesem spielen?
Rehlinger: Als krisenresistenter Wachstumsmotor für die regionale Wirtschaft hat die Gesundheitsbranche einen hohen Stellenwert im Saarland und trägt hier im Ländervergleich überdurchschnittlich zu Arbeit und Wertschöpfung bei. Was mir persönlich aber auch ganz wichtig ist: wir dürfen dabei die menschliche Komponente nicht vergessen. Die medizinische Behandlung darf nie nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgen, sondern muss der Leitfrage folgen, was das Beste für die Patientin oder den Patienten ist.
Auch die Gesundheitsbranche steht unter einem großen Transformationsdruck. Stichwort Arbeitsmarkt: Hier ist die Gesundheitswirtschaft in besonderer Weise vom demografischen Wandel betroffen. Einerseits stehen künftig weniger Arbeitskräfte zur Verfügung, andererseits steigen Nachfrage und Bedarf nach Gesundheitsdienstleistungen, weil unsere Gesellschaft immer älter wird. Nicht zuletzt dadurch droht das Ungleichgewicht zwischen den hohen qualitativen Anforderungen an die Pflege und den aktuellen Arbeitsbedingungen immer belastender zu werden. Als Landesregierung haben wir deshalb im letzten Jahr die Konzertierte Aktion Pflege Saar ins Leben gerufen. Ziel ist es, die Pflege insgesamt besser aufzustellen, unter anderem weil bis zum Jahr 2030 zusätzlich 4.000 Pflegekräfte im Saarland gebraucht werden.
Der Gesundheitssektor hat mit seiner Innovationskraft aber auch die große Chance, den Strukturwandel erfolgreich zu gestalten.
Der Gesundheitssektor hat mit seiner Innovationskraft aber auch die große Chance, den Strukturwandel erfolgreich zu gestalten. Ich denke da zum Beispiel an unsere herausragenden und international renommierten Forschungseinrichtungen im Bereich Life Science und Neue Materialien. Zu den saarländischen Cross-Innovation-Potenzialen zählt neben Biowissenschaften, Medizin, Pharmazie mit den Bereichen Materialwissenschaft und Nanotechnologie insbesondere auch die Informatik. An der Schnittstelle zwischen Gesundheits- und Digitalwirtschaft hat das Saarland weitreichendes Entwicklungspotential.
TK: Ist die Gesundheitsversorgung als Standortfaktor bei Ansiedlungen wichtig? Wie sind wir im Saarland da aufgestellt und wo gibt es noch Verbesserungspotenzial?
Eine gute gesundheitliche Versorgung, ambulant wie stationär, ist natürlich auch ein absolut wichtiger Standortfaktor bei Ansiedlungen.
Rehlinger: Gesundheit ist mit das wichtigste im Leben. Wir alle wünschen uns doch, möglichst lange gesund leben und arbeiten zu können. Das Wirtschaftsministerium hat schon vor knapp vier Jahren eine Studie zur Gesundheitswirtschaft im Saarland in Auftrag gegeben. Eine gute gesundheitliche Versorgung, ambulant wie stationär, ist natürlich auch ein absolut wichtiger Standortfaktor bei Ansiedlungen. Wenn wir Menschen von außerhalb ins Saarland holen wollen, damit sie hier arbeiten und leben, dann wollen diese Menschen sicher sein, dass sie hier im Falle eines Falles optimal versorgt sind. Neben den Arztpraxen, Apotheken und Pflegeeinrichtungen spielen dabei die Krankenhäuser eine tragende Rolle. Hier sind wir im Saarland mit unseren Kliniken, die zum Teil mit ihren hochspezialisierten Fachbereichen überregional bekannt sind, sehr gut aufgestellt und punkten dank des Kooperationsvertrages MOSAR auch bei der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung. Auch mit seiner Apothekendichte sticht das Saarland im Bundesvergleich positiv hervor.
Leider ist aber noch lange nicht alles Gold, was glänzt und auch im Saarland kämpfen wir bei der Gesundheitsversorgung mit den gleichen Problemen wie der Rest der Republik. Durch die Entscheidung einiger Träger, den Betrieb in mehreren kleinen Krankenhäusern einzustellen, ist die Herausforderung, allen Saarländerinnen und Saarländern eine wohnortnahe stationäre Versorgung zu bieten, nicht kleiner geworden. Auch die aktuellen Lieferengpässe bei versorgungsrelevanten Arzneimitteln - vor allem für Kinder - bereiten uns Bauchschmerzen. Wir haben im Saarland zwar im ersten Schritt schnell und unbürokratisch gehandelt und den hiesigen Apotheken und Großhandlungen den Bezug und die Abgabe importierter Antibiotikasäfte für Kinder erleichtert, aber das ist keine Dauerlösung. Hier müssen der vom Bundeskabinett kürzlich beschlossene Gesetzesentwurf zur Stärkung der Versorgungssicherheit sowie das von der EU-Kommission vorgestellte Pharma-Reformpaket zügig umgesetzt werden.
In der Gesundheitsversorgung ist und bleibt der Schlüssel das Personal. Eine unserer zentralen Aufgaben ist es daher, mehr Menschen für den Beruf im medizinischen und pflegerischen Bereich zu begeistern - durch bessere Arbeitsbedingungen und eine anständige Bezahlung. Im Saarland haben wir dazu die eben bereits angesprochene Konzertierte Aktion Pflege ins Leben gerufen. Gemeinsam können wir vieles bewegen.