TK: Die Hitze-Belastung wird in den kommenden Jahren dramatisch ansteigen. Mit welchen weiteren gesundheitlichen Belastungen müssen wir rechnen?
 
Dr. Christian Schulz: Wir haben jetzt schon bis zu 10.000 vorzeitige Todesfälle aufgrund von Hitze. Hitze ist das Naturereignis mit den größten gesundheitlichen Folgen und damit mit Auswirkungen in vielen medizinischen Bereichen. Aber es geht ja nicht nur um Hitze, sondern es geht um die Verluste an Biodiversität, es geht um die Verschmutzung von Böden, Wasser und der Luft. Sie stehen allesamt im Zusammenhang mit negativen Gesundheitsauswirkungen. Das ist bereits heute so und wird weiterhin zunehmen.

TK: Haben Sie konkrete Vorschläge oder Forderungen, mit denen Sie an die Politik herantreten?

Dr. Schulz: Statt Forderungen zu stellen, geht es uns darum, Entscheidungsträger in der Politik und natürlich auch die Bevölkerung zu gewinnen. Einiges hängt dabei mit der Frage der Finanzierung zusammen. Subventionen mit gesundheitlichen Folgeschäden müssen beendet werden. Neben der Ausgabenseite muss man auch auf die Einnahmenseite schauen. Eine angepasste Steuerpolitik oder die Lockerung der Schuldenbremse sind mögliche Hebel. Grundsätzlich müssen wir ein Verständnis dafür erzeugen, dass wir uns viel Geld sparen und sehr viel Gesundheit gewinnen, wenn wir jetzt in die Transformation investieren.

Dr. Chris­tian Schulz

Dr. Christian Schulz, Geschäftsführer der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Geschäftsführer der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit e. V.

TK: Wie schafft man sich Gehör in Sachen Nachhaltigkeit?

Dr. Schulz: Es ist ganz wichtig, über die Gesundheitszusammenhänge mit der Klimakrise zu sprechen und zu erklären, wie die Gesundheit des Planeten beziehungsweise der Ökosysteme mit der Gesundheit der Menschen verknüpft ist. Das ist der erste Schritt, der auch zur Gründung von KLUG geführt hat. Der zweite war, das Ganze auch in die Fläche zu tragen - Health for Future als Bewegung hat dabei eine entscheidende Rolle gespielt. In der Folge ist die Allianz der Akteure im Gesundheitssektor, die sich ambitioniert für die Transformation einsetzen, immer größer geworden.

TK: Neben den Aktionen ist KLUG vor allem auch beratend aktiv. Wie unterstützen Sie und Ihr Team beispielsweise Kliniken , die klimaneutral werden wollen?

Dr. Schulz: Gesundheitseinrichtungen haben verschiedene Handlungsfelder, in denen sie Emissionen und Ressourcenverbrauch reduzieren können. Dabei geht allerdings längst nicht mehr um Begriffe wie Nachhaltigkeit, sondern eher darum, wie Gesundheitseinrichtungen im Kontext der Klimakrise resilient werden können. Da geht es zum Beispiel um Ernährung, Mobilität, Einkauf und natürlich um die Bausubstanz. Aber es geht eben auch darum, wie sich eine Gesundheitseinrichtung beispielsweise auf Hitzewellen vorbereiten kann, die länger und intensiver werden und die zu einer entsprechenden Zahl von Hitzeverletzten führen. KliMeG, das Kompetenzzentrum für Klimaresiliente Medizin und Gesundheitseinrichtungen, unterstützt bei der Umsetzung.

TK: Sie haben als geschäftsführender Oberarzt am Klinikum rechts der Isar gearbeitet und diese Position aufgegeben, um sich bei KLUG zu engagieren. Was hat Sie dazu bewegt?

Dr. Schulz: Ich habe mich vor einigen Jahren gefragt: Wie arbeitet eigentlich mein Geld? Wie ist mein Geld angelegt, schützt es das Klima und arbeitet es in Einklang mit ärztlicher Ethik? Ich habe damals von der Bayerischen Ärzteversorgung keine für mich zufriedenstellende Antwort bekommen. Daraufhin habe ich nach Partnern gesucht, um alle Versorgungswerke in Deutschland mit einem standardisierten Fragebogen zu befragen und zu diesem Thema zu publizieren. Die Antworten waren sehr heterogen. Die einen sagten, wir investieren schon in Windkraft. Die anderen meinten, wir haben schon Ökopapier im Drucker. Und wieder andere antworteten, Nachhaltigkeit bedeutet für uns, dass unsere Mitglieder eine möglichst hohe Rente kriegen. Und im Zuge dieser Publikation habe ich die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit kennengelernt. Und dann war für mich klar: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um mich mehr auf diesem Feld zu engagieren.

TK: Die Fakten liegen ja auf der Hand. Und trotzdem gibt es immer wieder Menschen, die das Thema Klimawandel schönreden. Wie begegnen Sie diesen Menschen?

Dr. Schulz: Wir möchten Menschen für die Transformation gewinnen. Und das hat ganz viel mit Sprache zu tun. Verzichten wir auf Fleisch und das dicke Auto oder verzichten wir nicht eigentlich im Gegenzug auf Gesundheit, Glück und Wohlbefinden? Wir müssen also die Perspektive verschieben. Die Vorstellungen davon, wie acht Milliarden Menschen gesund auf einem gesunden Planeten leben können, werden immer klarer.

TK: Was würden Sie der TK in Sachen Nachhaltigkeit raten?

Dr. Schulz: Die Krankenkassen sitzen an einer zentralen Stelle, wenn es um die Transformation geht. Sie haben große Hebel und Zugang zu Millionen von Versicherten. Gleichzeitig sind sie auch besonders betroffen von den Gesundheitsfolgen durch die Klima- und Umweltkrise. Wichtig ist, dass die Krankenkassen alle ihre Hebel identifizieren und nutzen, zum Beispiel beim Thema Prävention.

Derzeit existieren gefährliche Fehlanreize in der Art und Weise, wie Ernährungssysteme aufgebaut sind, wie Subventionen stattfinden, wie Geschäftsmodelle aufgesetzt sind. Sie sind alle mit hohen Krankheitskosten assoziiert. Die ökonomischen Schäden durch unsere derzeitigen Ernährungssysteme sind größer als das, was sie zur Wertschöpfung im Allgemeinen beitragen. Das ist eine der Kernaussagen der Food System Economics Commission. Deshalb müssen wir den Druck von den Gesundheitssystemen nehmen. Das gelingt, indem wir beispielsweise die überwiegend pflanzenbasierte Ernährung als die einfachere, natürlichere Wahl sehen - auch im Hinblick auf die Gemeinschaftsverpflegung in den verschiedenen Lebenswelten.

TK: In welchen Bereichen sind wir Ihrer Meinung nach in Deutschland schon auf einem guten Weg was Klimaschutz und Nachhaltigkeit angeht?

Dr. Schulz: Wir sind auf dem Weg, aber es gibt immer noch an vielen Stellen Verzögerungstaktiken, gerade sobald fossile Geschäftsmodelle gefährdet sind. Aber insbesondere im Gesundheitssektor gelingt gerade ganz viel. Letztes Jahr gab es einen erfolgreichen Hitze-Aktionstag. Dieses Jahr wird es wieder einen Aktionstag geben. Bereits jetzt entstehen Bündnisse, die das Ganze eher noch größer und noch wirksamer machen als letztes Jahr. Es gibt über 50 Organisationen im Gesundheitssektor, die die Forderung nach Nichtverbreitung des Abkommens für fossile Energieträger unterstützen. Es gibt haufenweise Beispiele und dazu zählen nicht zuletzt auch die Demonstrationen, die derzeit stattfinden, um der Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Wenn es gelingt, diese integrative Kraft lebendig zu halten und zu stärken, gibt es genügend Anlass zur Freude und zum Optimismus. Was nicht heißt, dass wir naiv sein dürfen.

Zur Person

Dr. Christian Schulz ist seit 2021 Geschäftsführer der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG).  Er publiziert zu Divestment, klimaresilienter Gesundheitsversorgung und ist Mitherausgeber von "Planetary Health - Klima, Umwelt und Gesundheit im Anthropozän", des ersten Fachbuchs, das die medizinischen Auswirkungen unserer Wirtschaftsweise zusammenfasst. Von Dezember 2022 bis Oktober 2023 hielt er eine Vertretungsprofessur für Planetary Heath und Public Health an der Universität Bayreuth.