Wie kommen die Thüringerinnen und Thüringer in angemessener Zeit in die richtige Praxis?
Position aus Thüringen
In Thüringen ist es besonders wichtig, dass wir Patientinnen und Patienten viel konsequenter nach dem Motto "zur richtigen Zeit zur richtigen Versorgung" navigieren. Warum und wie das funktionieren kann, erklärt Guido Dressel.

"Ich nehme einen starken oder sogar sehr starken Mangel an Fachärztinnen und Fachärzten wahr." Das sagten bereits vor knapp einem Jahr 70 Prozent der befragten Thüringerinnen und Thüringer in einer Forsa-Befragung im Auftrag der TK. Über die Hälfte der befragten Menschen in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt gaben zum TK-Meinungspuls an, mit dem Angebot an Facharztpraxen in ihrer Umgebung weniger zufrieden oder unzufrieden zu sein.
Es liegt nahe, dass die Wartezeiten auf einen Facharzttermin ein Grund für Unzufriedenheit sind. Fast zwei von drei Befragten aus den drei Bundesländern gaben an, weniger zufrieden oder unzufrieden damit zu sein.
Deswegen ist eine der drängendsten Fragen der Gesundheitsversorgung derzeit, wie sich das Thema Arzttermine beziehungsweise Zugang zu einer am Bedarf orientierten, medizinischer Versorgung insgesamt verbessern lässt.
Also: Wie kommen die Patientinnen und Patienten in angemessener Zeit zum passenden Arzt oder der passenden Ärztin. Und auch: Wie kann denjenigen weitergeholfen werden, die zwar ein medizinisches Anliegen haben, das aber nicht unbedingt von ärztlichem Personal behandelt werden muss?
Von historischen Mustern und Zufallsprinzip zu zielgenauer Unterstützung
Die Versorgungslandschaft im Gesundheitswesen ist oft von historisch gewachsenen Strukturen geprägt. Behandlungspfade folgen nicht konsequent dem Motto "zur richtigen Zeit zum richtigen Arzt", sondern historischen Mustern, Vergütungsanreizen oder dem Zufallsprinzip. Nicht selten entscheiden auch die persönliche Hartnäckigkeit, Beziehungen oder Gewohnheiten der Versicherten mit, wie und wann sie zum Arzt gehen beziehungsweise einen Termin bekommen.
Guido Dressel
Digital vor ambulant vor stationär
Es gibt bereits Ideen , das zu ändern. Auch wir haben ein Konzept entwickelt. Die TK wirbt zum einen dafür, dass vor jedem neuen Behandlungsanlass, einfach ausgedrückt: jedem neuen Problem, das einen veranlasst zum Arzt oder der Ärztin zu gehen, eine standardisierte, digitalgestützte Ersteinschätzung erfolgt. Die kann man entweder selbst durchführen, sich also durch eine digitale Abfrage klicken, oder sich von qualifizierten, nicht ärztlichen Fachkräften unterstützen lassen. Wichtig ist, dass die gleiche Ersteinschätzung vor jedem Arztkontakt durchlaufen wird, egal, ob man zu Hause auf dem Sofa sitzt, in die Sprechstunde des niedergelassenen Arztes geht oder an die Anmeldung in der Notaufnahme beim Krankenhaus.
Die möglichen Ergebnisse dieser Ersteinschätzung reichen von selbstgesteuerter Gesundheitsfürsorge, über Chats mit Ärztinnen oder Ärzten und Videosprechstunde, Behandlung durch Ärztinnen und Ärzte oder qualifiziertes medizinisches Personal bis zum direkten Auslösen des Notrufs. Im ersten Fall können Krankenkassen die Versicherten gut beim Gesundwerden unterstützen.
Das Angebot soll außerdem eine digitale Terminvermittlung umfassen. Wer direkt und zügig einen Termin vermittelt bekommt, muss bei der Suche nach einer Behandlung nicht länger mühsam mehrere Praxen parallel anfragen.
Primärarzt ist nicht zwingend Facharzt für Allgemeinmedizin
Ist für die Behandlung ein Arztkontakt nötig, schlägt das System einen passenden Arzt beziehungsweise Ärztin vor. Das muss je nach Beschwerden nicht zwingend die Hausärztin oder der Hausarzt, in den meisten Fällen also ein Facharzt für Allgemeinmedizin, sein. Primärarzt wird, wer für das aktuelle Anliegen der richtige Arzt oder die richtige Ärztin ist. Er oder sie koordiniert eventuelle weitere Behandlungsschritte.
Medizinischer Bedarf bestimmt Arztkontakt, nicht die Abrechnungssystematik
Auch indem die Kooperation zwischen verschiedenen Fachgruppen verbessert wird und andere Gesundheitsberufe noch mehr Versorgungsaufgaben übernehmen, müssen Ärztinnen und Ärzte weiter entlastet werden.
Hinzu kommt, dass Versicherte so bei ihren Beschwerden unterstützt werden müssen, wie es aus medizinischer Sicht sinnvoll ist. Das schließt eine Prüfung und Anpassung der aktuellen Vergütungssystematik zwingend ein. Wieso ist es zum Beispiel nötig, dass chronisch kranke Menschen jedes Quartal zu ihrem Facharzt müssen, um ein neues Rezept für ein Medikament zu bekommen? Der Turnus für Kontrollen sollte sich am medizinischen Bedarf orientieren - und nicht an der Auslösung eines Quartalsfalls in der aktuellen Honorarabrechnungssystematik.
Demografie macht Koordination in Thüringen besonders drängend
Aufgrund der demografischen Veränderungen stehen wir in Thüringen schneller als anderswo vor der Herausforderung, ein Gesundheitswesen mit weniger versorgenden Menschen zu organisieren. Dadurch ist es besonders im Interesse des Freistaats und der Menschen hier, den Zugang zur medizinischen Versorgung zeitnah klug zu steuern.