TK: Professor Wichelhaus, Sie sind Arzt und Professor für BWL. Wie bewerten Sie die Pläne der Bundesregierung zur Entökonomisierung der Krankenhäuser z.B. durch die Einführung von Vorhaltepauschalen?

Prof. Daniel Wichelhaus: Die Reformbemühung der Bundesregierung zur Krankenhausfinanzierung begrüße ich. Noch mehr würde es mich freuen, wenn dabei nicht nur die Ausgabenseite im Fokus stände, sondern auch die Einnahmenseite. Es stimmt, dass der Anteil des Gesundheitswesens am Bruttoinlandprodukt kontinuierlich gestiegen ist, von 6,3 Prozent im Jahr 1970 auf 11,8 Prozent im Jahr 2019 (vor Covid), also um 5,5 Prozent. Allerdings sind im selben Zeitraum die Abgaben für Kranken- und Pflegeversicherung von 8,2 Prozent im Jahr 1970 auf 18,5 Prozent in 2019 angewachsen, ein doppelt so hoher Anstieg. Die Finanzierung des Gesundheitswesens rein über Lohnabhängige Arbeit war zu Bismarcks Zeiten, als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu über 95 Prozent aus Lohnabhängiger Arbeit entstand, richtig. Heute entsteht unser BIP allerdings nur noch zu weniger als der Hälfte aus Lohnabhängiger Arbeit. Hier hat jedoch bislang keine Adaption an diese "neuen" Verhältnisse stattgefunden. Meines Erachtens ist es Zeit über zusätzliche Finanzierungsquellen nachzudenken wie beispielsweise Steuern.

Konkret zur Entökonomisierung: Grundsätzlich muss jedes Unternehmen wirtschaftlich geführt werden. Ein Unternehmen muss einen Gewinn erwirtschaften, damit es seine Anlagen instandhalten, seine Mitarbeitende weiterbilden und am Fortschritt teilnehmen kann. Eine schwarze Null als Jahresergebnis bedeutet, dass alles, was kaputt geht, nicht ersetzt werden kann, keiner auf eine Fortbildung geschickt werden kann und sich das Unternehmen nicht weiterentwickelt. Ein solches Verhalten wäre "unökonomisch", weil es die Substanz des Unternehmens zerstört. Auch wenn ich glaube zu verstehen, was mit dem Begriff "Entökonomisierung" angedeutet werden soll, so halte ich den Begriff für nicht hilfreich. Persönlich bin ich der Meinung, dass ein Krankenhaus wirtschaftlich geführt werden muss. Ob es renditeorientiert geführt sein muss, ist strittig.

Konkret zur den Vorhaltepauschalen: Im jetzigen dualen Finanzierungssystem, in dem einerseits die Krankenkassen die Betriebskosten erstatten, d.h. es werden pauschal die durchschnittlichen Personal- und Sachkosten, die das "Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus" (InEK) für die einzelnen aG-DRG berechnet, erstattet, und andererseits die Länder die Investitionskosten begleichen sollten, was sie aber nicht ausreichend tun, nehmen Vorhaltepauschalen nur kurzfristig etwas den finanziellen Druck weg. Allerdings ändert es nichts daran, dass die Krankenhäuser auf Grund der mangelnden Investitionskostenzuschüsse der Länder, diese fehlenden Gelder aus den DRG-Erlösen finanzieren müssen. Dafür sind die DRG-Pauschalen jedoch nicht gedacht, und der Mechanismus der Berechnung sieht in den Kostenkalkulationstabellen auch keine Gewinnmarge vor. Augenmerk bei den Vorhaltepauschalen sollte auch auf den Zeitpunkt der Einführung gelegt werden. Die Reform der Bundesregierung ist eine Strukturreform, die darauf abzielt, verschiedene Leistungslevel zu etablieren. Es sollte darauf geachtet werden, dass nicht der zweite Schritt vor dem ersten gemacht wird und die finanzielle Entlastung durch die Vorhaltepauschalen den Fortschritt der Strukturanpassung erschwert.

Es sollte darauf geachtet werden, dass nicht der zweite Schritt vor dem ersten gemacht wird und die finanzielle Entlastung durch die Vorhaltepauschalen den Fortschritt der Strukturanpassung erschwert. Daniel Wichelhaus, BWL-Professor Hochschule Hannover

Prof. Dr. Dr. Daniel Wichel­haus

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Professor für BWL an der Hochschule Hannover

TK: Die Finanzsituation vieler niedersächsischer Krankenhäuser ist schwierig. Laut Niedersächsischer Krankenhausgesellschaft (NKG) erwartet in diesem Jahr kein Krankenhaus in Niedersachsen eine positive wirtschaftliche Entwicklung. Eine zukunftsfeste Umgestaltung der Krankenhauslandschaft wird angemahnt. Was denken Sie? Wie sieht für Sie eine gelungene Strukturreform in Niedersachsen aus und was sind deren Chancen?

Prof. Wichelhaus: Gelungen wäre die Strukturreform aus meiner Sicht, wenn durch die Zusammenlegung von kleinen Standorten (Krankenhäuser der Grundversorgung mit weniger als 150 Betten) größere Einheiten mit um die 500 Betten entstehen. Solche Einheiten sind besser, weil sie wirtschaftlicher mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen an Mitarbeitende und auch technischer Ausstattung planen und umgehen können, was durch den Krankenhaus Rating Report Jahr für Jahr belegt wird. Dabei sollte allerdings berücksichtigt werden, dass es in manchen geographischen Regionen aus Versorgungssicht sinnvoll ist, auch kleine Einheiten zu erhalten. In Ballungsgebieten hingegen finden sich häufig Überkapazitäten. Die Chancen für Veränderungen sehen im Rahmen der aktuellen Reformbestrebungen gut aus. Allerdings ziehen Bund, Land, Kommune, Krankenhausträger und die lokale Bevölkerung selten am selben Strang. Unter Umständen scheitert eine wirtschaftlich sinnvolle und aus Sicht der Versorgung vertretbare Schließung eines Standortes am Widerstand der Einwohnerinnen und Einwohner und/oder der lokalen Politikerinnen und Politiker. Darüber hinaus ist eine wirtschaftliche Zusammenführung von Standorten mit Investitionskosten verbunden, die das Land bewilligen muss. Die Kosten können schnell im dreistelligen Millionen Bereich liegen. Wenn seitens des Landeshaushalts diese Summen nicht eingeplant sind, dann scheitert es an der Finanzierung. Dann kommt die nächste Landtagswahl, und unter Umständen beginnt der ganze Planungsprozess wieder von vorne. Von daher rechne ich mit einem langsamen Reformprozess.

Die Chancen für Veränderungen sehen im Rahmen der aktuellen Reformbestrebungen gut aus. Daniel Wichelhaus, BWL-Professor Hochschule Hannover

TK: Wenn man an die deutsche Krankenhauslandschaft denkt, verbindet man diese in Deutschland zunächst häufig mit hohen Kosten, einer verbesserungsfähigen Qualität und vielem mehr … Sie waren selbst lange Zeit im Krankenhaus tätig, welche positiven Aspekte können Sie nennen?

Prof. Wichelhaus: Positiv ist, dass wir in Deutschland in unseren Krankenhäusern wohnortnah eine Medizin und Pflege anbieten, die auf hohem Niveau sind, auf die man nicht warten muss, wie das z.B. in Großbritannien der Fall ist, sondern die jedem und jeder im Notfall sofort und im Bedarfsfall zügig und zeitnah zur Verfügung steht. Darüber hinaus muss hierzulande in unserem Solidarsystem niemand befürchten, durch Krankheit in die Armut oder in die Insolvenz zu rutschen, wie das in den USA der Fall ist.

Die Arbeit im Krankenhaus an Patientinnen und Patienten, ob in der Pflege, der Medizin oder anderen Gesundheitsberufen ist per se schon sinnstiftend und erfüllend. Ich unterstelle, dass jede Person, die direkt oder unmittelbar mit Patientinnen und Patienten arbeitet, erlebt, dass diese kranken Mitmenschen professionelle Hilfe brauchen. Aus diesem "Sinnvollen-Gebraucht-Werden" ziehen die meisten eine große Befriedigung. Es ist etwas sehr schönes, für jemanden da zu sein und das Ergebnis seiner eigenen Arbeit unmittelbar mitzuerleben und Feedback dazu zu bekommen. Allerdings erleben viele die Rahmenbedingungen, unter denen sie diese Arbeit erbringen, aus ihrer Sicht als kontraproduktiv. Wenn man sich die Anzahl der Ärztinnen und Ärzte (über 400.000) und Pflegekräfte (über 1,3 Millionen) in diesem Land anschaut, dann haben wir keinen Mangel an Fachkräften, weder bei Ärztinnen und Ärzten noch bei Pflege. Schaut man sich hingegen an, wie viele Personen in Teilzeit arbeiten, erklärt sich woran der von den Arbeitgebern konstatierte Mangel besteht: An der schwindenden Bereitschaft in diesem System in Vollzeit zu arbeiten.

TK: Sie bieten Seminare für medizinisches Personal in Krankenhäusern an. Wie hat sich der Bereich vom Krankenhausmanagement in den letzten Jahren weiterentwickelt beispielsweise im Hinblick auf Organisations- und Führungsstrukturen sowie Aufgabenverteilung?

Prof. Wichelhaus: An der Spitze vieler Krankenhäuser, insbesondere, wenn sie sich in privater Trägerschaft befinden, stehen heute Kaufleute. Das frühere Triumvirat aus kaufmännischen und medizinischen Direktorinnen und Direktoren sowie Pflegedirektorinnen und -direktoren besteht in dieser Form nur noch selten, und wenn, dann findet man diese Aufgabenteilung fast nur noch bei Not-for-Profit Krankenhäuser, die sich in frei-/gemeinnütziger Trägerschaft befinden. Die deutschen Krankenhäuser sind seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert sehr hierarchisch geführt. In Preußen waren die Chefärzte (sowie große Teile der Ärzteschaft) der Charité häufig auch Sanitätsoffiziere in dem militärmedizinischen Pendant der Pépinière, die es heute nicht mehr gibt. Dieser männlich dominierte hierarchische Führungsstil wirkt in vielen Bereichen, vor allem den chirurgischen Disziplinen, bis heute nach. Jedoch muss man konstatieren, dass die heute in die Arbeitswelt drängende Generation mit dieser Art von Führung nichts mehr anfangen kann und will. Im Ergebnis sehen sich viele Krankenhäuser jetzt vor der Schwierigkeit die Position von freiwerdenden Chefärztinnen und -ärzten nachzubesetzen. Viele Oberärztinnen und- ärzte sehen unter welchem wirtschaftlich-administrativen Druck ihre Chefs und Chefinnen stehen und wollen das für sich gar nicht. In Zeiten der Ärzteschwemme, den 1980/90er Jahren musste sich ein Chefarzt nicht benehmen, wenn er sich irgendwie verhielt, war das bereits ausreichend. Für die Generation der damaligen jungen Ärztinnen und Ärzte hieß das 70 Stunden Wochen als "Arzt im Praktikum" oder Assistenzärztin oder -arzt auf halben oder gedrittelten BAT2a (Bundesangestelltentarif) Stellen, mit auf zwei Jahre befristeten Verträgen. Aus dieser Generation kommen jetzt die Chefs oder Chefinnen, die sich nun selbst ausbeuten, um den wirtschaftlichen Zielen des Krankenhauses einerseits und den Work/Life Anforderung der jungen Ärzteschaft anderseits nachzukommen.

Jedoch muss man konstatieren, dass die heute in die Arbeitswelt drängende Generation mit dieser Art von Führung nichts mehr anfangen kann und will. Daniel Wichelhaus, BWL-Professor Hochschule Hannover

TK: Zuletzt noch eine persönliche Frage: Sie sind beruflich in sehr vielfältigen Themenbereichen aufgestellt. Sind Ihre Interessen und Hobbys im Privaten aus so breit gefächert?

Prof. Wichelhaus: Nein. Ich lese gerne, höre gerne Musik, und fliege gerne.

Zur Person

Prof. Dr. Dr. Daniel Wichelhaus ist Arzt und Professor für BWL an der Hochschule Hannover. Von 2005 bis 2016 war er Geschäftsführer der Hannover School of Health Management GmbH. Zuvor war er sechs Jahre lang als Unternehmensberater tätig. Davor hat er zehn Jahre in der medizinischen Grundlagenforschung, klinisch pharmazeutischen Forschung und als Uniklinikarzt gearbeitet.

Sein Spezialgebiet ist "BWL for People who hate BWL". Seit 2002 bietet er Krankenhausmitarbeitenden aus dem ärztlichen sowie Pflege-, Funktions- und Verwaltungsdienst Seminare zu den Themen wie Führung, Kommunikation und Grundlagen der Krankenhaus-BWL an.