Hallo Frau Meinel, erst einmal herzlichen Glückwunsch zum ersten Platz beim Ideenwettbewerb gegen Einsamkeit!

TK: Was war Ihre Initialzündung, das Projekt "Jung hilft Alt", bei dem es schwerpunktmäßig  um Einsamkeit geht, an den Start zu bringen?

Julia Meinel: Die Initialzündung kam aus der alltäglichen Arbeit im Familienbüro. Senioren berichteten immer häufiger, wie schwierig es ist, mit der fortschreitenden Digitalisierung Schritt zu halten. Dabei wurde Einsamkeit ein großes Thema: Nicht nur durch den fehlenden Zugang zu digitalen Möglichkeiten, sondern auch durch die Isolation, die daraus resultiert. Bei unserer monatlichen Handysprechstunde, bei der Jugendliche Senioren Hilfe im Umgang mit ihren Handys geben, wurden die Jugendlichen häufig gefragt, ob diese auch bei technischen Problemen nach Hause kommen würden. Somit war die Idee zur Basis des Projektes geboren und entwickelte sich nach und nach zu dem Gesamtprojekt "Jung hilft Alt".  

Projekt "Jung hilft Alt" gewinnt den Ideen­wett­be­werb des Nieder­säch­si­schen Sozi­al­mi­nis­te­riums

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(v.l.) Dr. Andreas Philippi (Niedersächsischer Sozialminister), Julia Meinel (Initiatorin und Gewinnerin des Ideenwettbewerbs) und Charlotte Bahlmann (Web-Coachin). 

TK: Einsamkeit kommt - so das Ergebnis unserer aktuellen TK-Forsa-Befragung - besonders häufig bei Jüngeren, unter 40-jährigen vor. In Ihrem Projekt engagieren sich viele junge Menschen. Was sind Ihre Erfahrungen zum Thema Einsamkeit bei Jüngeren?

Meinel: Einsamkeit ist tatsächlich ein Thema, das auch bei jüngeren Menschen immer sichtbarer wird, sei es durch fehlende Kontaktmöglichkeiten oder den zunehmenden Fokus auf digitale Kommunikation. Im Projekt erleben wir jedoch, dass die Jugendlichen durch ihr Engagement aus dieser Dynamik heraustreten. Sie knüpfen neue soziale Kontakte, erfahren Wertschätzung und entdecken, wie sinnvoll ihr Wissen und ihre Zeit für andere sein können. Viele berichten, dass sie sich durch diese Tätigkeit selbst weniger isoliert fühlen. Auf diese Erfahrung aufbauend machen wir uns schon Gedanken, dass die Gesellschaft dem Thema Einsamkeit bei jungen Menschen mehr Aufmerksamkeit geben sollte und es mehr Informationen darüber bedarf. Ob wir ein eigenes Projekt gegen die Einsamkeit in dieser Altersklasse entwickeln können, wird sich noch zeigen.

Jüngere Menschen fühlen sich einsam

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Besonders jüngere Menschen sind von Einsamkeit betroffen. Dies zeigen die Ergebnisse des TK-Einsamkeitsreports 2024.

TK: Die jungen Web-Coaches machen in Ihrem Projekt freiwillig mit. Was sind die Beweggründe?

Meinel: Die Jugendlichen sind vor allem motiviert durch die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten sinnvoll einzusetzen und gleichzeitig etwas Neues zu lernen. Viele möchten soziale Verantwortung übernehmen und erleben, wie erfüllend es ist, anderen zu helfen. Einige sehen es auch als Chance, Erfahrungen zu sammeln, die später in Bewerbungen oder für ihr eigenes Leben nützlich sind. Außerdem erhalten sie direkte Dankbarkeit von den Senioren - das ist ein großer Anreiz.

Julia Meinel

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Initiatorin und Organisatorin des Projekts "Jung hilft Alt".

TK: Das Projekt unterstützt Seniorinnen und Senioren, sich in der digitalen Welt besser zurecht zu finden. Wie erreichen Sie diese Zielgruppe, damit Ihr Angebot überhaupt angenommen werden kann?

Meinel: Wir setzen auf verschiedene Kanäle: persönliche Gespräche im Familienbüro und bei der handysprechstunde, Presseartikel, Flyer, Veranstaltungen wie die Seniorenausfahrt oder den Uhu-Treff und auch den Kontakt über Vereine und Organisationen. 

TK: Mit welchen Fragen beziehungsweise Problemen kommen die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger auf die Jugendlichen zu?

Meinel: Die Fragen reichen von technischen Problemen wie "Wie richte ich WLAN ein?" oder "Wie lösche ich einen Fernsehsender?" bis hin zu alltäglicher Nutzung wie "Wie installiere ich WhatsApp?" oder "Wie sortiere ich Dateien am PC?". Oft sind es Kleinigkeiten, die für die Senioren eine große Hürde darstellen.

TK: Welche persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen haben die jungen Web-Coaches gemacht? Denn ggf. stellt der digitale Besuch den einzigen sozialen Kontakt dar, den die älteren Menschen haben, so dass die Jugendlichen mit der Einsamkeit alter Menschen konfrontiert werden?

Meinel: Viele Jugendliche berichten, dass sie anfangs nicht erwartet hätten, wie herzlich sie empfangen werden und wie dankbar die Senioren sind. Einige waren überrascht, dass die Treffen oft länger dauerten, weil es auch Gespräche über persönliche Geschichten oder Interessen gab. Diese Einblicke in ein anderes Lebensalter haben die Jugendlichen tief berührt und ihre Perspektive erweitert.

TK: Was berichten die Jugendlichen, aber auch die Seniorinnen und Senioren über den Austausch miteinander? Was sind Themen, die beide Seiten beschäftigen, verbinden, aber auch wo es unterschiedliche Meinungen gibt?

Meinel: Jugendliche berichten, dass sie durch den Austausch viel über das Leben und die Erfahrungen der älteren Generation lernen. Senioren schätzen die Geduld und Offenheit der Jugendlichen und sind zum Teil regelrecht gerührt über diese Erfahrung. Unterschiedliche Meinungen gibt es oft bei der Nutzung digitaler Medien, da die ältere Generation die Risiken stärker betont, während Jugendliche diese selbstverständlich nutzen. Gemeinsame Themen sind jedoch oft Hobbys, Familiengeschichten oder Zukunftspläne.

TK: Warum ist die Verbindung von Generationen so wichtig und wieso gerade über den Weg der Unterstützung bei technischen Problemen?

Meinel: Die Verbindung der Generationen ist wichtig, weil sie gegenseitiges Verständnis und Respekt fördert. Die technische Unterstützung ist dabei ein idealer Einstieg, weil sie konkret und praxisnah ist. Jugendliche bringen ihre Expertise ein, Senioren profitieren direkt davon, und es entsteht ein Austausch, der Vertrauen schafft und Vorurteile abbaut.

TK: Wie viele Jugendliche machen bei dem Projekt mit und wie viele Besuche bei Älteren wurden durchgeführt?

Meinel: Insgesamt haben 40 Jugendliche in Zweierteams bei 82 Seniorenbesuchen geholfen. Vorab nahmen sie an zwei Schulungseinheiten teil. Zusätzlich nahmen knapp 50 Senioren an Technikschulungen teil, die auf das Projekt abgestimmt waren.

TK: Das Projekt "Jung hilft Alt" steckt noch in den Kinderschuhen. Wie geht es weiter? Gibt es langfristige Ziele, die verfolgt werden?

Meinel: Langfristig möchten wir das Angebot in Winsen etablieren und auch neue Jugendliche sowie Senioren erreichen. Wir hoffen, die Generationenverbindung weiter zu stärken und langfristig eine Kultur der gegenseitigen Unterstützung zu schaffen. Direkt nach Abschluss dieser ersten Projektphase haben sich 12 Jugendliche bereit erklärt, ihr Angebot weiterhin aufrecht zu erhalten. So konnten wir "Jung hilft Alt" früher als gedacht in unser dauerhaftes Angebot der Seniorenhilfe überführen. Das finde ich natürlich grandios!

TK: Was nehmen Sie persönlich - als Federführerin und Organisatorin - aus diesem Projekt mit?

Meinel: Für mich war es unglaublich bereichernd, zu sehen, wie viel Positives ein solches Projekt bewirken kann. Es hat gezeigt, wie viel Potenzial in der Zusammenarbeit von Generationen steckt. Besonders bewegend war die Dankbarkeit, die aus beiden Richtungen kam. Ich nehme mit, dass wir mit Herz und guter Planung im Detail wirklich viel bewirken können. dass ein Austausch zwischen den Generationen beiden Seiten hilft - praktisch und emotional.

TK: Was sollte sich Ihrer Meinung nach gesellschaftlich ändern? Was sind Ihre Wünsche und Visionen?

Meinel: Ich wünsche mir, dass sich die Grundstimmung in der Gesellschaft durch solche sozialen Projekte positiv anstecken lässt. Und dass wir alle die Einsamkeit als Problem sehen, das durch die Krisen der vergangenen Jahre befeuert wurde und sich durch die Entwicklung der Digitalisierung noch verstärken kann. Digitalisierung sollte als Chance verstanden werden, aber immer auch einen Blick auf soziale Verbindungen behalten. Es sollte viel mehr Infos zur Einsamkeit geben und darauf hingewiesen werden, dass das kein Thema nur für das Alter ist. Auch wünsche ich mir mehr generationenübergreifende, soziale Ideen und mutige Leute, die wirklich mal was ausprobieren. Mehr Kindergärten in Seniorenheimen, mehr Senioren an Schulen und Studenten im betreuten Wohnen. Die Gesellschaft sollte mehr Räume schaffen, in denen Menschen aller Altersgruppen voneinander lernen und profitieren können.