Niedersächsisches Leuchtturmprojekt - Jung hilft Alt: Generationsübergreifende Wege aus der Einsamkeit
Artikel aus Niedersachsen
Ob neues Handy einrichten, Dateien am PC sortieren, Sendersuchlauf beim TV-Gerät programmieren oder Apps installieren: Wenn sich Seniorinnen oder Senioren hilfesuchend bei Julia Meinel im niedersächsischen Winsen melden, lässt die Lösung nicht lange auf sich warten. Denn 40 Jugendliche - sogenannte Web-Coaches - bieten rund um Computer, Tablet und Smartphone älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern in ihrem privaten Umfeld kostenfrei digitale Hilfen an.

"Jung hilft Alt" nennt sich das Winsener Projekt, bei dem es nicht nur um Internetunterstützung und digitale Medien geht, sondern - generationenübergreifend - auch darum, Menschen aus ihrer Einsamkeit zu holen. "Senioren berichten immer häufiger, wie schwierig es ist, mit der Digitalisierung Schritt zu halten. Dabei ist Einsamkeit ein großes Thema. Nicht nur durch den fehlenden Zugang zu digitalen Möglichkeiten, sondern auch durch die Isolation, die daraus resultiert", berichtet Julia Meinel, Organisatorin des Projektes.
Einsamkeit trifft besonders jüngere Menschen
"Aber Einsamkeit ist auch bei jüngeren Menschen immer sichtbarer. Sei es durch fehlende Kontaktmöglichkeiten oder den zunehmenden Fokus auf digitale Kommunikation. Im Projekt erleben wir, dass die Jugendlichen durch ihr Engagement aus dieser Dynamik heraustreten", so Meinel. "Sie knüpfen neue soziale Kontakte, erfahren Wertschätzung, entdecken, wie sinnvoll ihr Wissen und ihre Zeit für andere sein können und berichten, dass sie sich durch diese Tätigkeit weniger isoliert fühlen."
40 Jugendliche in Zweierteams besuchten 82 Seniorenhaushalte
Die Idee für das Projekt ist Julia Meinel - sie ist als Leiterin im Winsener Familienbüro tätig - bei der alltäglichen Arbeit gekommen. Denn die Seniorinnen und Senioren haben immer öfter den Wunsch geäußert, digital nicht gänzlich 'abgehängt' zu werden. So ist die Kommunikation beispielsweise mit Ämtern, Krankenkassen, Pflegekassen oder Apotheken oftmals nur noch digital möglich oder ein Termin bei Ärztinnen oder Ärzten lässt sich nur noch per App buchen. Während der Projektphase haben 40 Jugendliche in Zweierteams bei 82 Seniorenbesuchen ehrenamtlich geholfen und technische Unterstützung geleistet.
Junge Web-Coaches bei der Unterstützing
Erster Platz beim niedersächsischen Ideenwettbewerb gegen Einsamkeit
Der Austausch zwischen beiden Generationen hat - auf beiden Seiten - praktisch und emotional so gut geklappt, so das sich Julia Meinel mit 'Jung hilft Alt' für den landesweiten niedersächsischen Einsamkeits-Ideenwettbewerb des Sozialministeriums beworben und sogar den ersten Platz erzielt hat.
Julia Meinel
Deutschlands erster Einsamkeitsminister kommt aus Niedersachsen
Niedersachsens Sozialminister Dr. Andreas Philippi, der sich 'augenzwinkernd' auch als erster Einsamkeitsminister Deutschlands bezeichnet, ist das Thema wichtig. "Einsamkeit betrifft uns alle - sie kann in jeder Lebensphase auftreten. Doch viele Betroffene sprechen nicht darüber, aus Angst, als schwach oder hilfsbedürftig wahrgenommen zu werden. Dabei hat Einsamkeit viele Gesichter und weitreichende Folgen. Betroffene Menschen leiden seelisch und körperlich", erklärt Philippi sein Engagement für dieses Thema. "Der Ideenwettbewerb war ein wichtiger Schritt, um innovative Lösungen zur Vorbeugung und Bekämpfung von Einsamkeit zu fördern. Die insgesamt 168 Einsendungen zeigen, wie viel Kreativität und Engagement in Niedersachsen steckt. Dieses Miteinander wollen wir weiter fördern, um den Betroffenen einen Ausweg auf der Einsamkeit aufzuzeigen."
TK-Studie: Mehr als die Hälfte der Menschen in Norddeutschland kennt das Gefühl der Einsamkeit
Die zunehmende Einsamkeit in der Gesellschaft zeigt sich auch in der aktuellen bundesweiten repräsentativen Forsa-Befragung im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK) mit Teilergebnissen aus Norddeutschland, also den Bundesländern Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Menschen in Norddeutschland kennt das Gefühl von Einsamkeit. Einsamkeit trifft besonders jüngere Menschen. 68 Prozent der Befragten zwischen 18 und 39 Jahren geben an, häufig, manchmal oder selten einsam zu sein. Bei den 60-jährigen bzw. Älteren treffen diese Empfindungen auf 52 Prozent der Befragten zu.
Einsam sein kann krank machen - Für TK wichtiges Thema, um Lösungsansätze zu skizzieren
"Noch nie war es so einfach, durch Social Media mit anderen in Kontakt zu treten und sich auszutauschen. Trotzdem ist Einsamkeit in unserer Gesellschaft ein Thema - über alle Altersgrenzen hinweg. Dauerhaftes Einsam sein kann krank machen und auch die Forschung zeigt: Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselstörungen und Demenz ist erhöht und auch psychische Beschwerden treten häufiger auf. Für uns als Krankenkasse ist das Grund genug, dieses wichtige Thema genauer anzuschauen und Lösungsansätze zu skizzieren", berichtet Sabrina Jacob, kommissarische Leiterin der TK-Landesvertretung Niedersachsen. "Das Winsener Projekt 'Jung hilft Alt' verbindet auf beeindruckende Weise junge Erwachsene und ältere Menschen."
Um die Generationenverbindung weiterhin zu stärken und Akzente gegen Einsamkeit zu setzen, steht Jung hilft Alt zwischenzeitlich nicht mehr nur als temporäres Projekt, sondern als dauerhaftes Angebot der Seniorenhilfe in Winsen zur Verfügung.
Dankbare Rentnerin: Beate Buhr aus Winsen freut sich über die digitale Unterstützung
Darüber freut sich insbesondere die 72-jährige Beate Buhr aus Winsen, die digital gerne 'am Ball bleiben möchte'. Gestern erst hatte sie zwei Jugendliche für eine Stunde bei sich zu Hause, die ihr erklärt haben, wie ihr neues Handy einzurichten ist und wie die Daten vom alten Handy aufs neue transferiert werden. "Ich schreibe dann für mich immer alles genau mit", so die rüstige Rentnerin. "Die jungen Menschen erklären mir die einzelnen Schritte ganz langsam, geduldig und in Ruhe. Das ist toll und ich bin sehr sehr dankbar für dieses Angebot".
Positiv überrascht wiederum sind auch die Jugendlichen, da die Besuche vor Ort oft über die technischen Fragestellungen der Seniorinnen und Senioren hinausgehen und in persönlichen Einblicken von Lebensgeschichten älterer Menschen münden. Das - so berichtet Julia Meinel - hat die Jugendlichen tief berührt und ihre Perspektive erweitert. Einige sehen diese Besuche, verbunden mit dem anschließenden Austausch auch als Chance, Erfahrungen zu sammeln, die für ihr eigenes Leben nützlich sind.
Mit Blick auf die Gesellschaft wünscht sich Meinel, dass sich die Grundstimmung durch Projekte wie 'Jung hilft Alt' positiv verändert und dass alle Menschen Einsamkeit als ein Problem sehen, das durch die Krisen der vergangenen Jahre befeuert wurde und sich durch die Entwicklung der Digitalisierung noch verstärken kann. Digitalisierung sollte als Chance verstanden werden, aber immer auch einen Blick auf soziale Verbindungen behalten. Es wäre wünschenswert, wenn die Gesellschaft mehr Räume schaffen würde, in denen Menschen aller Altersgruppen voneinander lernen und profitieren können.
Wir wünschen dem erstplatzierten Leuchtturmprojekt 'Jung hilft Alt' weiterhin viel Freude und Erfolg und hoffen, dass es in Niedersachsen eine Strahlkraft entfaltet, damit sich weitere Projekte entwickeln können, um Menschen vor Einsamkeit zu bewahren und um Möglichkeiten interessanter Begegnungen zu schaffen.
Weitere Informationen
Für die bevölkerungsrepräsentative, telefonische Umfrage im Auftrag der TK befragte das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Mai 2024 bundesweit insgesamt 1.403 Personen ab 18 Jahren (mindestens 200 Personen pro Ländergebiet) mit anschließender Proportionalisierung der Gesamtergebnisse.
Die hier ausgewiesenen Teilergebnisse der bundesweiten Studie beziehen sich auf Norddeutschland: Also die nördlichen Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen, wo 202 Personen befragt wurden.
Den kompletten Einsamkeitsreport 2024 gibt es auf dem Presseportal der TK.
Definition: Was ist Einsamkeit?
Das Gefühl der Einsamkeit ist subjektiv. Laut wissenschaftlicher Definition versteht man darunter das unangenehme Gefühl, das entsteht, wenn die Qualität oder Quantität von persönlichen Beziehungen nicht den persönlichen Bedürfnissen entspricht. Jemand, der nur wenig Kontakte pflegt, muss sich nicht zwangsläufig einsam fühlen. Umgekehrt kann sich auch jemand einsam fühlen, der von außen betrachtet viele soziale Kontakte hat.