"Cybermobbing ist um keinen Deut besser als körperliche Gewalt. Und die nehmen wir ja auch nicht tatenlos hin"
Interview aus Bremen
Mit dem Präventionsprojekt "Stabil gegen Cybermobbing" setzt die Techniker Krankenkasse im Land Bremen ein deutliches Zeichen gegen Cybermobbing. Im Interview erklärt der Schirmherr des Projekts, Bürgermeister Andreas Bovenschulte, warum ein gemeinschaftliches Vorgehen gegen Cybermobbing besonders wichtig ist und welche Rolle Medienkompetenz an Bremer Schulen spielt und verrät, ob auch er bereits Erfahrungen mit Anfeindungen im Internet gemacht hat.
TK: Wir freuen uns sehr, dass Sie die Schirmherrschaft für das Präventionsprojekt "Stabil gegen Cybermobbing" übernommen haben. Warum ist ein gemeinschaftliches Vorgehen der Schülerinnen und Schüler gegen Cybermobbing aus Ihrer Sicht besonders wichtig?
Andreas Bovenschulte: Ganz einfach: Weil wir die Kinder und Jugendlichen nicht einfach so ihrem Los überlassen dürfen. Es ist belegt, dass Mobbing nicht nur für erhebliche psychische, sondern auch für erhebliche körperliche Beschwerden verantwortlich ist. Niemand kann das so einfach wegstecken. Kinder schon gar nicht. Weder im echten Leben noch im virtuellen Raum, also im Internet. Da wegzuschauen und sich damit abzufinden, das ist unverantwortlich. Mit der Schirmherrschaft kann ich einen, wenn auch nur kleinen, Teil zum Gelingen des Projektes beitragen. Das aber ist mir eine Herzensangelegenheit.
Mit der Schirmherrschaft kann ich einen, wenn auch nur kleinen, Teil zum Gelingen des Projektes beitragen. Das aber ist mir eine Herzensangelegenheit.
TK: Welche Rolle spielt das Thema Medienkompetenz mittlerweile gesamtgesellschaftlich und konkret an Bremer Schulen?
Bovenschulte: Seit vielen Jahren wird an allen Stellen immer wieder darauf hingewiesen, dass der Umgang mit den Medien gelernt werden muss. Völlig zu Recht. Schon zu meiner Schulzeit - und die liegt bekanntlich ein wenig zurück - haben wir im Unterricht über den Umgang mit Medien gesprochen. Aber damals gab es drei Fernsehprogramme und die Tageszeitung. Mehr nicht. Das war eine ganz andere Zeit, heute ist die Situation viel, viel komplexer. Mit dem Internet kamen die sozialen Netzwerke, die Messenger-Dienste, Künstliche Intelligenz, Bots, Fake News und und und. An unseren Schulen wird den Schülerinnen und Schülern bereits Medienkompetenz vermittelt, aber wir müssen uns natürlich immer fragen, ob wir mit der technischen Entwicklung noch Schritt halten und den wachsenden Anforderungen auch gerecht werden. In Bremen gibt es zum Glück mittlerweile zudem eine Vielzahl an Kooperationen zwischen schulischen und außerschulischen Lernorten, die gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen an den Themen arbeiten. Und hilfreich ist sicher auch, dass Bremen seit 2020 flächendeckend iPads an die Schülerinnen und Schüler ausgibt. Da wird der bewusste und gekonnte Umgang mit Medien und Quellen zum ständigen Unterrichtsinhalt.
An unseren Schulen wird den Schülerinnen und Schülern bereits Medienkompetenz vermittelt, aber wir müssen uns natürlich immer fragen, ob wir mit der technischen Entwicklung noch Schritt halten und den wachsenden Anforderungen auch gerecht werden.
Andreas Bovenschulte
TK: Wie sehen Sie die Verantwortung der Gesellschaft insgesamt im Umgang mit Cybermobbing - in einer zunehmend digitalisierten Welt, in der soziale Medien eine zentrale Rolle im Alltag spielen?
Bovenschulte: Da, wo wir Zeugen von Cybermobbing werden, da sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, den eigenen Möglichkeiten entsprechend einzuschreiten. Wenn jemand auf offener Straße verprügelt würde, würden wir das ja auch tun. Die eine geht direkt dazwischen, der andere ruft die Polizei. Da gibt es nichts Schlechtes oder Falsches - außer nichts zu tun und einfach wegzusehen. Stattdessen: An der Seite der oder des Angegriffenen stehen, Screenshots machen, Chatverläufe speichern und anbieten, dieses Material zur Verfügung zu stellen.
Da, wo wir Zeugen von Cybermobbing werden, da sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, den eigenen Möglichkeiten entsprechend einzuschreiten.
TK: Was können die Akteure aus Politik, Bildung, Gesundheit und Medien gemeinschaftlich tun, um Kinder und Jugendliche vor Gefahren im Internet zu schützen und sie gleichzeitig präventiv stark im Umgang mit diesen Gefahren zu machen?
Bovenschulte: Zunächst einmal aufklären und helfen. Insofern freue ich mich auch sehr über das Projekt "Stabil gegen Cybermobbing" der Techniker Krankenkasse. Das ist eine wertvolle Unterstützung. Das Landesinstitut für Schule ist seit Jahren mit verschiedenen Angeboten aktiv und hat so schon mehrere Tausend Personen geschult und informiert. Schülerinnen und Schüler ebenso wie Eltern, Lehrkräfte und sonstiges Personal an den Schulen. Auch die Jugendhilfe und die Jugendämter bieten Hilfe, in erster Linie natürlich für die Opfer. Die Polizei ist mit dem Programm "Nicht mit mir!" für 5. und 6. Klassen am Start. Das soll die Opfer stärken und die Gemeinschaft sensibilisieren, damit sie genau hinschauen und richtig reagieren. Und im besten Fall erreichen wir auch potenzielle Täterinnen und Täter und halten sie noch rechtzeitig von ihren Taten ab.
TK: Welche langfristigen Auswirkungen sehen Sie für die Gesellschaft, wenn Cybermobbing nicht wirksam bekämpft wird, und wie kann die Prävention dazu beitragen, diese zu verhindern?
Bovenschulte: Nochmal: Cybermobbing ist um keinen Deut besser als körperliche Gewalt. Und die nehmen wir ja auch nicht tatenlos hin. Cybermobbing geht bei den Betroffenen richtig an die Substanz und entsprechend verheerend wäre es, wenn wir kollektiv die Schultern zucken und sagen würden: "Ist schwierig. Da kann man nichts machen." Nein, eine Gesellschaft, in der Cybermobbing irgendwie unter der Rubrik "nicht schön, aber nicht zu verhindern" abgelegt würde, würde eher kurz- als mittelfristig richtig Schaden nehmen. Wir sind alle gefordert - persönlich wie institutionell - den Opfern beizustehen und alles in unserer Macht Stehende zu tun, um Cybermobbing zu verhindern.
Cybermobbing ist um keinen Deut besser als körperliche Gewalt. Und die nehmen wir ja auch nicht tatenlos hin.
TK: Haben Sie persönlich bereits Erfahrungen mit Anfeindungen im Internet gemacht, und wie gehen Sie gegebenenfalls damit um?
Bovenschulte: Nicht als Schüler, damals gab es ja noch kein Internet, aber in meiner Zeit als stellvertretender Bürgermeister von Weyhe. Vor 12 Jahren ist ein Schüler nach einem Diskobesuch ums Leben gekommen. Als Rechtsextremisten diesen Todesfall für ihre Propaganda ausnutzen wollten und die Gemeinde zwei geplante Mahnwachen untersagt hatte, brach ein regelrechter Shitstorm über Bürgermeister Frank Lemmermann und mich herein, wie ich ihn noch nicht erlebt hatte. Als erwachsener Mann kann man das natürlich aushalten, aber das ging schon an die Nieren. Seitdem habe ich eine Ahnung davon, was das mit jungen Menschen macht.