Die gesetzlichen Krankenkassen haben 2025 die Zusatzbeiträge auf ein Rekordniveau angehoben. Die Ausgaben für Gesundheitsleistungen steigen weiterhin stärker als die Einnahmen. Ohne Reformen und Gegenmaßnahmen, wird dies zu weiteren Beitragssteigerungen für die gesetzlich Versicherten und Arbeitgeber führen. 

TK: Frau Mussa, das Thema GKV-Finanzen ist in der öffentlichen Diskussion angekommen. Wie optimistisch sind Sie, dass diese Diskussion nun auch zu Lösungen führt?

Nadia Mussa: Bundesgesundheitsministerin Nina Warken hat eine "FinanzKommission Gesundheit" eingesetzt. Diese Kommission soll Maßnahmen für eine dauerhafte Stabilisierung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung erarbeiten. Kurzfristig sollen Maßnahmen bis Ende März 2026 vorliegen. Das sind dann aber erst die Vorschläge der Expertinnen und Experten. Die politische Umsetzung kann noch andauern.

Ohne Maßnahmen wird für die GKV ein Defizit von rund acht Milliarden Euro erwartet. Nadia Mussa

Nadia Mussa

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Leiterin der TK Landesvertretung Baden-Württemberg

TK: Wie kann bei diesem Tempo zum 1. Januar 2026 die Beitragsspirale gestoppt werden? 

Mussa: Die TK hat sich mit eigenen Vorschlägen in die Diskussion eingebracht. Ohne Maßnahmen wird für die GKV ein Defizit von rund acht Milliarden Euro erwartet - das entspricht 0,4 Prozentpunkten.

Wir können uns eine gute Gesundheitsversorgung in Deutschland leisten, ohne die Menschen mit immer höheren Beiträgen zu belasten. Es ist wichtig, dass dies nun auch alle gesetzlich Versicherten erleben können und sich keine Sorgen über steigende Zusatzbeiträge machen müssen.

TK: Mit welchen Maßnahmen könnten die Ausgaben deutlich reduziert werden?

Mussa: Rund vier Milliarden Euro könnten allein im Bereich Arzneimittel eingespart werden. Die Ausgaben für patentgeschützte Arzneimittel sind in den letzten Jahren enorm gestiegen. Die Preispolitik der pharmazeutischen Unternehmen ist undurchsichtig. Teilweise bezahlen wir bereits für die Einmalgabe eines Arzneimittels Preise in Millionenhöhe. Allein in Baden-Württemberg ist der Wert der insgesamt verordneten Arzneimittel pro Versicherten um 7,2 Prozent auf knapp 800 Euro im Jahr 2024 angestiegen.  

 Die Preispolitik der pharmazeutischen Unternehmen ist undurchsichtig. Nadia Mussa

Wir gehen davon aus, dass mit einer veränderten Preispolitik die Unternehmen weiterhin Innovationen in Deutschland anbieten könnten und die Ausgabendynamik gebremst würde. Kurzfristig schlagen wir vor, dass der Herstellerabschlag für patentgeschützte Arzneimittel von 7 auf 17 Prozent angehoben wird.

Eine weitere Besonderheit im patentgeschützten Arzneimittelmarkt liegt darin, dass in den letzten Jahren viele vergleichbare Arzneimittel eingeführt wurden. Der Patentschutz führt aber dazu, dass es keinen Preiswettbewerb bei diesen vergleichbaren Therapien gibt. Wir fordern deshalb die Einführung sogenannter Fokuslisten. Dann könnten Krankenkassen innerhalb vergleichbarer Gruppen einzelne Arzneimittel zur bevorzugten Versorgung ihrer Versicherten auswählen. Das würde für mehr Wettbewerb und Preisdruck sorgen. Wir gehen von einem Einsparpotential von jährlich ca. einer Milliarde Euro aus.

TK: Schlägt die TK auch Maßnahmen in der Krankenhausversorgung vor?

Mussa: In der Krankenhausversorgung fordern wir schon lange strukturelle Veränderungen. Frau Warkens Vorgänger, Professor Lauterbach, hat sich an einer umfassenden Krankenhausreform versucht, die nun bereits wieder an wesentlichen Punkten aufgeweicht werden soll. Ich bin sehr gespannt, wie viel Spielraum den Ländern nun tatsächlich gegeben wird, von bundeseinheitlichen Qualitätsvorgaben abzuweichen.

In der Krankenhausfinanzierung sollte insbesondere das vor wenigen Jahren eingeführte Selbstkostendeckungsprinzip bei den Personalkosten für Pflegekräfte korrigiert werden. Dieses Pflegebudget hat zu sehr hohen Kostensteigerungen geführt, ohne die Situation der Pflegekräfte wesentlich zu verbessern.

TK: Können Veränderungen in der ambulanten Versorgung auch einen Beitrag leisten?

Mussa: Ja, allein die einmalige Aussetzung der jährlichen Erhöhung der vertragsärztlichen Honorare würde knapp zwei Milliarden Euro bringen. Das ist angesichts der durchschnittlichen Reinerträge je Inhaber bzw. Inhaberin einer Vertragsarztpraxis in den vergangenen Jahren zumutbar. Das gilt auch für die Begrenzung von Zuschlägen in der Psychotherapie auf dringende Fälle.  

Die Landeskrankenhausplanung muss mit der Zielrichtung "Qualität vor Wohnortnähe" realisiert werden. Nadia Mussa

Hinzu kommen Maßnahmen bei den Heil- und Hilfsmitteln wie etwa die Rückkehr zur Grundlohnsummenanbindung für Heilmittelerbringer wie z.B. Physiotherapiepraxen und die Wiedereinführung von Ausschreibungen von Hilfsmittelverträgen.

TK: Spüren Sie Rückendeckung für den 10-Punkte-Plan in Baden-Württemberg?

Mussa: Den Beitrag Baden-Württembergs wie der anderen Bundesländer sehe ich in erster Linie darin, mittel- und langfristig wirkende strukturelle Reformen umzusetzen. Für Baden-Württemberg bedeutet das konkret, die Landeskrankenhausplanung mit der Zielrichtung "Qualität vor Wohnortnähe" zu realisieren, die notwendigen Investitionen in Kliniken und Pflegeheime zu finanzieren sowie bei der Digitalisierung nicht nur Vorzeigeprojekte im Auge zu haben, sondern die digitale Vernetzung des gesamten Gesundheitswesens voranzubringen.