Der Koalitionsvertrag - ein Kompendium des Ungefähren
Artikel aus Baden-Württemberg
Ein Gastbeitrag von Dr. Florian Staeck zu den gesundheitspolitischen Inhalten des Koalitionsvertrags.
Koalitionsverträge enthalten die Summe politischer Absichten, auf die sich Koalitionspartner in vergleichsweise kurzer Zeit einigen können. Weder definieren sie ein umfassendes Arbeitsprogramm, noch stellen sie einen Kompass für (gesundheits-)politisches Handeln dar - wie ambitioniert die Überschrift des Endprodukts auch immer daherkommen mag.
Dr. Florian Staeck
Die achtseitige Vereinbarung zu Gesundheit und Pflege, die Union und SPD vorgelegt haben, stellt keine Ausnahme von dieser Regel dar. Und doch lassen die Absprachen der potenziell künftigen Koalitionäre viele Beobachter verwundert zurück. Angesichts eines Defizits der Gesetzlichen Krankenversicherung von zuletzt über sechs Milliarden Euro und des drängenden Reformbedarfs in der Sozialen Pflegeversicherung waren zumindest Rahmenvorgaben für eine Konsolidierung erwartet worden. Stattdessen sind lediglich Kommissionen vorgesehen, die im Fall der GKV erst in zwei Jahren ihre Ergebnisse vorlegen soll.
Die immer weiter aufgehende Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben, die steigenden Beitragssätze und die ungebremste Ausgabendynamik werden klar benannt - ein Erkenntnisproblem gibt es also nicht. Bereits jetzt sind für 2026 weitere Beitragssatzsteigerungen absehbar. Es gilt als ausgemacht, dass Union und SPD nicht zwei Jahre zuwarten können, um die prekäre Finanzlage der GKV zu stabilisieren. Eine klare Festlegung enthält der Koalitionsvertrag dann aber doch: Dass die anteiligen Ausgaben für den Klinik-Transformationsfonds, die ursprünglich die GKV schultern sollte, nun über das Sondervermögen Infrastruktur finanziert werden sollen, ist ein finanzpolitischer Lichtblick.
Kaum besser sieht es bei der Pflegereform aus. Nur der Zeithorizont ist kürzer - noch in diesem Jahr soll eine weitere Kommission Antworten hierfür vorlegen. Doch für die diesem Gremium aufgetragenen Aufgaben - wie beispielsweise Begrenzung der Eigenanteile, Finanzierung versicherungsfremder Leistungen oder Stärkung der sektorübergreifenden Versorgung - sind von Fachleuten seit Jahren Lösungsoptionen formuliert worden. Auch hier bleibt unklar, welchen Mehrwert die Auslagerung der politischen Willensbildung in Kommissionen bringen soll. Sicher ist nur, dass sich in der Zwischenzeit die mitunter beängstigend prekäre Finanzlage einiger Pflegekassen nicht bessern wird.
Bei der Transformation der stationären Versorgung setzen die Koalitionäre auf eine pragmatische Weiterentwicklung der Krankenhausreform, die den Ländern mehr Ausnahmeregeln und Kooperationsmöglichkeiten an die Hand geben soll. Eine positive Entwicklung - wenn sie denn dazu beitragen kann, das im Gesetzgebungsverfahren zerschlagene Porzellan zwischen Bund und Ländern zu kitten. Positiv ist auch, dass die bisher praxisuntauglichen Fristen bei der Umsetzung bis 2027 angepasst werden sollen. Wichtig bleibt in dem ganzen Prozess, dass die Kernziele der Reform wie Bedarfsorientierung und mehr Qualität nicht aus dem Fokus geraten.
Einer der absehbar strittigsten Vorhaben der Koalition ist die Etablierung eines verbindlichen Primärarztsystems, bei dem die freie Arztwahl von Haus- und Kinderärzten erhalten bleiben soll. Die Ausgestaltung - ob nun im Rahmen einer Hausarztzentrierten Versorgung oder eines anderen Steuerungsmodells - dürfte die Debatten in den kommenden Monaten prägen. Um Punkte wie die Verbindlichkeit der Patientensteuerung, Ausnahmeklauseln oder Sanktionsmöglichkeiten dürfte zwischen den Stakeholdern intensiv gerungen werden. Eine digitalaffine Lösung, die die Bedarfe der Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt stellt, muss am Ende des Verhandlungsprozesses stehen. Klar sollte allen Beteiligten sein: Schnelle Einsparziele werden mit einer solch weitreichenden Strukturreform der ambulanten Versorgung nicht zu realisieren sein.
Zur Person:
Dr. Florian Staeck ist Redakteur bei der "Ärzte Zeitung" im Ressort Gesundheitspolitik/Wirtschaft. Er ist dort zuständig für die gesundheitspolitische Berichterstattung aus Baden-Württemberg.