Intensive gesundheitspolitische Jahre liegen hinter uns, in denen die Pandemie nicht nur die Stärken und Schwächen unserer Gesundheitsversorgung deutlich gemacht hat. Leider hat Corona so viel politische Aufmerksamkeit erfordert, dass wichtige Strukturfragen weder auf Bundes- noch auf Landesebene vorangetrieben wurden. Natürlich wird eine Landesregierung auch weiterhin stark am erfolgreichen Pandemie- und Endemie-Management gemessen werden. Zugleich wird sie aber auch die Kraft aufbringen müssen, das Gesundheitssystem in Schleswig-Holstein neu auszurichten. Genau das scheint unsere neu gewählte schwarz-grüne Landesregierung erkannt zu haben. 

Sören Schmidt-Boden­stein

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Leiter der TK-Landesvertretung Schleswig-Holstein

Fangen wir zunächst mal mit den Schwächen des Koalitionsvertrags im Bereich Gesundheit an. Natürlich bemängelt die Opposition, die Ziele und Maßnahmen seien teils sehr unkonkret oder unambitioniert. Und ein Zielbild - oder gleich mehrere in den verschiedenen Bereichen - sei noch nichts Bewegendes. Dahinter kann man sich auch super verstecken und muss erstmal nicht etwas Konkretes liefern. 
Die Kritik kann ich nachvollziehen und sie ist auch nicht so ganz einfach von der Hand zu weisen. Trotzdem bin ich ein Freund von dem jetzt gewählten Vorgehen. Bevor man in See sticht, sollte man sich halt gut vorbereiten: Wo soll es hingehen? Welche Ausrüstung brauchen wir? Wie können wir alle mitnehmen? Welche Hindernisse gibt es? Was befördert unsere Mission? Genau diese Grundfragen gründlich zu klären, erfordert ein Stück weit Mut. Mut deshalb, weil man erstmal aushalten muss, dass nicht gleich schon am Anfang eine vermeintlich gute Idee präsentiert wird. (Meine Lebenserfahrung sagt mir übrigens, dass simple, schnelle Lösungen in komplexen Systemen sich häufig als simpel und schnell, aber nicht als Lösungen erweisen).

Die jetzt anstehende grundlegende Debatte über Zielbilder der Versorgung bietet die Chance, dass sich der Norden in eine gute Richtung bewegt.
Sören Schmidt-Bodenstein, Leiter der TK-Landesvertretung Schleswig-Holstein 

Die jetzt anstehende grundlegende Debatte über Zielbilder der Versorgung bietet die Chance, dass sich der Norden in eine gute Richtung bewegt. Es gibt ja bereits genug zu tun im Gesundheitssektor. Jede helfende Hand wird auch zukünftig gebraucht. Nur der Rahmen, in dem wir wirksam werden, muss sich ändern. Wenn wir beispielsweise mehr Operationen ambulant durchführen, führt das zur Entlastung von personellen Kapazitäten. Und die werden dringend gebraucht für die Versorgung derjenigen Menschen im Krankenhaus, die auch weiterhin klassisch stationär behandelt werden müssen.

Wichtig scheint mir dabei, dass die Erarbeitung eines "Zielbildes für die Gesundheitsversorgung 2030" eben nicht ausschließlich die Fahrwasser klassischer Gremien auf Landesebene in tradierter Besetzung ansteuert. Wenn sich die Koalition selbst ins Fahrtenbuch schreibt, dass die Einschätzungen der handelnden Akteurinnen und Akteure, der Betroffenen und externer Expertinnen und Experten eingeschlossen werden soll, dann klingt das nach einem breit angelegten partizipativen Verfahren. Wie gesagt, so ein ambitioniertes Unterfangen muss alle konstruktiven Kräfte mit an Bord nehmen. Es gibt genug zu tun im Gesundheitssystem. Nun gilt es, seitens der Regierung die Segel zu setzen!

Dem Thema Pflege wird viel Bedeutung beigemessen

Um etwa dem drängenden Fachkräftemangel entgegenzusteuern, will unsere Landesregierung zeitnah einen "Pakt für die Gesundheits- und Pflegeberufe" auf den Weg bringen. Mit Blick auf die alternde Gesellschaft halte ich es für richtig, dem Thema Pflege eine so hohe Bedeutung beizumessen. Neben dem Vorhaben, mehr Ausbildungskapazitäten und bessere Rahmenbedingungen in der Pflege zu schaffen, muss der Blickwinkel aber auch auf das Potenzial von neuen Organisationsformen sowie digitaler Unterstützungsangebote in der Pflege gerichtet werden. Hier kommt es darauf an, dass die Landesregierung derartige Modellvorhaben unterstützt und finanziell fördert. 

Potenziale der Digitalisierung erkannt - nun liegt es an der Umsetzung

Auch die Potenziale der Digitalisierung, Telemedizin oder der Nutzung von Künstlicher Intelligenz finden im Koalitionsvertrag Beachtung. Insbesondere ein Flächenland wie Schleswig-Holstein wird von der digitalen Transformation profitieren können - Stichwort vernetzte Versorgung von Land und Inseln. Eine Herausforderung bleibt jedoch, dass viele Beteiligte im Gesundheitswesen das gesamte Thema eher als Belastung einstufen. Damit uns die digitale Transformation bis auf die Halligen gelingt, brauchen wir das Zusammenwirken aller Beteiligten! Ein entscheidender Schritt wäre, eine Austauschplattform zu etablieren, um ein übergeordnetes Zielbild für Schleswig-Holstein zu erarbeiten und gemeinsame Projekte anzustoßen. Denkbar ist, den bisherigen Telepakt zu einer solchen Plattform weiterzuentwickeln. 

Zukunftsfähige Krankenhauslandschaft durch Finanzierungs- und Strukturreform

Dicke Bretter gilt es im Bereich der stationären Versorgung zu bohren. Hier plant die Landesregierung nach den Kriterien von Bedarfsorientierung, Qualitätssteigerung und Erreichbarkeit die Krankenhausstrukturpolitik umzusetzen. Dringend notwendig ist in dem Zuge eine klare Zuordnung der Aufgaben für die einzelnen Kliniken im Land zu definieren - und zwar nach dem Motto: spezialisierte Medizin in Zentren bündeln und Grundversorgung in der Fläche sicherstellen. Für kleinere Krankenhäuser würde sich dann die Perspektive als regionale Gesundheitszentren bieten. Dieser Ansatz findet erfreulicherweise auch Unterstützung seitens unserer Landesregierung. Wenn es in der neuen Legislaturperiode auch noch gelingt, sich auf Bundesebene für eine deutschlandweite Finanzierungsreform hin zu einem Mix aus Fallpauschalen, Vorhaltekosten und Qualitätszuschlägen einzusetzen, sind wir einer zukunftsfähigen Krankenhauslandschaft in Schleswig-Holstein einem großen Schritt näher.

Zukunftsfeste Versorgung kann nur gelingen, wenn die einzelnen Zielbilder sinnvoll miteinander verknüpft werden.
Sören Schmidt-Bodenstein, Leiter der TK-Landesvertretung Schleswig-Holstein

Das gehört außerdem ins Zielbild einer erfolgreichen Gesundheitsversorgung

Zukunftsfeste Versorgung kann nur gelingen, wenn die einzelnen Zielbilder sinnvoll miteinander verknüpft werden. Wenn wir also über Krankenhausstrukturen sprechen, müssen wir auch an die Koordination von Notfall- und Akutversorgung ran. Hier ist es zu kurz gedacht, die Kooperation der Rettungsdienste am Boden, zu Wasser und in der Luft auszubauen. Aufgrund der steigenden Einsatzzahlen muss im Mittelpunkt die Frage stehen: Wie steuern wir Patientinnen und Patienten im Akutfall gezielt an das passende Versorgungsangebot? Hierfür braucht es ein landesweites Zielbild, in dem der Rettungsdienst nicht nur Krankenhäuser, sondern je nach Schweregrad der Erkrankung auch regionale Gesundheitszentren ansteuert. Die Koordination könnte eine virtuelle zentrale Leitstelle übernehmen, die von den Rettungsdienstträgern und der Kassenärztlichen Vereinigung betrieben wird. Um ein solches Konzept umzusetzen, liegt es jedoch an der Regierung, entsprechende rechtliche Voraussetzungen zu schaffen.

Weiterführende Forderungen zur Ausrichtung der Gesundheitspolitik in Schleswig-Holstein

Welche grundsätzliche Ausrichtung und welche Schwerpunkte die Gesundheitspolitik in Schleswig-Holstein in den kommenden fünf Jahren prägen sollen, hat die TK in ihrem Positionspapier beschrieben.