"Brandenburg packt die Reform beherzter an."
Interview aus Berlin/Brandenburg
Zu viele Änderungswünsche, zu wenig Geld: Vivantes-Chef Dr. Johannes Danckert fürchtet Halbherzigkeiten bei der Klinikreform. Im TK-Interview verrät er, welche Erwartungen er an die Berliner Gesundheitsverwaltung hat.
TK: Herr Dr. Danckert, wie bewerten Sie die Krankenhausreform des Bundes und welche Veränderungen erwarten Sie für die Gesundheitsversorgung in Berlin?
Dr. Johannes Danckert: Die Ziele der Reform sind nach wie vor richtig: Bessere Qualität und effizienteren Ressourceneinsatz durch Zentralisierung und Spezialisierung sowie mehr Transparenz über die Qualität der Behandlung für Patienten. Das brauchen wir auch in Berlin. Die Sicherung der Versorgung in der Fläche ist für Berlin als gut ausgestattete Großstadt auch bei einer Verringerung der Klinikdichte dagegen kein vorrangiges Thema. Auch wenn Klinika fusionieren oder sich aus dem Markt verabschieden, werden die Berliner immer noch ein Krankenhaus in der Nähe ihres Wohnorts vorfinden.
Meine anfängliche Hoffnung ist einer deutlichen Skepsis gewichen.
Die anfängliche Hoffnung auf eine grundlegende Reform ist bei mir allerdings inzwischen einer deutlichen Skepsis gewichen. Denn die Reform der Reform durch die neue Bundesregierung verwässert das Vorhaben erheblich und aktuell beobachten wir, dass die ohnehin schon überbordende Bürokratielast eher noch anwächst, als dass sie weniger wird.
Auch in Berlin sind strukturelle Veränderungen nötig. Auch wir Krankenhäuser müssen unsere Komfortzone verlassen und uns einer öffentlichen Überprüfung der Behandlungsergebnisse stellen. Was die Strukturen angeht, haben wir bei Vivantes in den vergangenen Jahren schon einiges vorweggenommen: Wir haben klinikübergreifende Zentren gebildet, und Standorte fusioniert, um Expertise zu bündeln.
Dieser Trend gilt für ganz Berlin. Ich würde mir hier eine stärker gestaltende Rolle der Gesundheitsverwaltung wünschen. Unser Nachbarland Brandenburg packt die Reform beherzter an, hat als dünn besiedeltes Flächenland allerdings auch größere Herausforderungen, was die Versorgung der Bevölkerung angeht.
TK: Sie haben ein Neuausrichtungs- und Sanierungskonzept bis 2029 angekündigt. Welche Maßnahmen planen Sie konkret und wie wurde dies von Ihrer Belegschaft aufgenommen?
Dr. Danckert: Wir haben vor etwas mehr als einem Jahr ein ehrgeiziges Programm aufgelegt, um unser jährliches Defizit bis 2029 in zwei Stufen um 110 Millionen Euro zu senken. Betriebsbedingte Kündigungen oder Einschnitte bei der Vergütung sind nicht vorgesehen. Außerdem werden wir alle Klinikstandorte erhalten. Das setzen wir gemeinsam mit der Belegschaft um.
Wir werden alle Klinikstandorte erhalten.
Ich spüre im gesamten Unternehmen, über alle Standorte hinweg eine große Bereitschaft für den Wandel. Wir wollen unsere Leistung steigern, also mehr Patienten behandeln und unsere Kosten reduzieren - unter anderem durch Standardisierung von Prozessen und im Einkauf. Im Zuge der Klinikreform wollen wir in einer zweiten Stufe unser Leistungsportfolio straffen und ambulante Angebote ausbauen. Nach aktuellen Hochrechnungen liegen wir mit unserer wirtschaftlichen Entwicklung gut in diesem Sanierungsplan.
TK: Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Haushaltspolitik des Berliner Senats?
Dr. Danckert: Wenn man die Reform ernst nimmt und gestalten will, braucht es öffentliche Förderung. Denn eine solch tiefgreifende Transformation erfordert erhebliche Investitionen.
Leider verpasst Berlin gerade eine große Chance, sich hierfür die bereitstehenden Gelder aus dem Bundeshaushalt über den Transformationsfonds zu sichern. Im aktuellen Haushaltsentwurf für die Jahre 2026/27 ist nur eine verschwindend geringe Kofinanzierung des Landes eingestellt. So wird alleine in den kommenden beiden Jahren voraussichtlich fast eine halbe Milliarde an Investitionszuschüssen ungenutzt bleiben.
Der Bedarf dafür wäre da: Die Berliner Krankenhäuser haben Investitionsprojekte von insgesamt 1,5 Milliarden Euro an die Senatsverwaltung für Gesundheit gemeldet, die sofort begonnen werden könnten.
Dr. Johannes Danckert
Wir müssen die richtigen Angebote am richtigen Ort machen.
TK: Welche Ansätze sehen Sie für eine bessere Patientensteuerung, um Überlastungen zu vermeiden und die Versorgung zielgerichteter zur gestalten?
Dr. Danckert: Ich habe ein Problem mit dem Begriff "Patientensteuerung". Der suggeriert, dass Patienten eine Verfügungsmasse wären. Das sehe ich nicht so. Wir müssen vielmehr die richtigen Angebote am richtigen Ort machen, um den Patienten den bestmöglichen Zugang zur Gesundheitsversorgung zu bieten. Das ist eine Bringschuld der Versorger, keine Holschuld der Patienten.
Wer sich krank fühlt, hat Anspruch auf Hilfe. Und die sollten wir dort anbieten, wo die Patienten sie suchen. Wir müssen endlich das lange vorliegende Konzept der Integrierten Notfallzentren umsetzen, statt den Patienten die Schuld dafür zu geben, dass sie Hilfe in unseren Zentralen Notaufnahmen suchen, wenn Arztpraxen geschlossen sind.
Ein weiterer Schritt sind mehr und engere Kooperationen mit niedergelassenen Ärzten, wie wir sie zum Beispiel in unserer Ambulanten Spezialärztlichen Versorgung (ASV) anbieten.
TK: Welche digitalen Innovationen haben aus ihrer Sicht das größte Potenzial für Effizienzgewinne und eine patientenorientierte Versorgung? Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen bei der Umsetzung?
Dr. Danckert: Hier sehe ich an erster Stelle die elektronische Patientenakte. Sie hilft, Doppelbehandlungen und -diagnosen zu vermeiden. Leider nutzen derzeit erst wenige Versicherte dieses Instrument. Das liegt weniger an Vorbehalten gegenüber der Digitalisierung der Daten als vielmehr einer umständlichen Bedienung. Hier können auch die Krankenkassen einen Beitrag durch bessere Aufklärung leisten.
Im klinischen Alltag sind wir bereits weitgehend digitalisiert. Mit diesen Daten befüllen wir mit Einverständnis unserer Patienten unser klinisches Datenzentrum, das wiederum wertvolles Forschungsmaterial liefern kann. KI-gestützte Systeme erkennen Risiken für Komplikationen wie Sepsis, Delir oder Nierenversagen und unterstützen radiologische Diagnosen.
Zur Person
Dr. Johannes Danckert arbeitet seit 2010 in geschäftsführenden Positionen in Krankenhäusern, seit 2012 für die Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH. Seit März 2020 ist er Geschäftsführer Klinikmanagement bei Vivantes. Im Juli 2021 wurde er Vorsitzender der Geschäftsführung. Er verantwortet die Bereiche Klinikmanagement und Finanzen. Außerdem ist er stellvertretender Vorsitzender der Berliner Krankenhausgesellschaft.