"Gründen fühlt sich an wie das Brettspiel 'Spiel des Lebens'"
Interview aus Niedersachsen
Die Landesvertretung Niedersachsen der TK begleitet seit einigen Jahren Start-ups, die sich in den Gesundheitsmarkt ausgründen möchten und steht als Mentor für Fragen rund um das Gesundheitswesen und das Sozialversicherungssystem zur Verfügung. Im Interview mit Kevin Haas, dem Gründer von PropofolSafe, geht es darum, wie ein Narkosemonitoring die Patientensicherheit verbessert und was Gründung für ihn bedeutet.

Auf dem ehemaligen Werksgelände von Sartorius in Göttingen, entstand 2022 die Life Science Factory (LSF). Auf 3.300 Quadratmeter bietet die LSF Forschenden den Raum, mit ihren Gründungsideen erste Schritte außerhalb akademischer Institutionen zu gehen. Das Konzept des LSF ist es, Start-ups eine Chance zu geben, kostengünstig in Top-Laboren unter höchsten Sicherheitsstandards zu forschen. Etwa zwei Jahre können die Teams dort arbeiten.
Die Landesvertretung Niedersachsen der TK begleitet seit einigen Jahren Start-ups, die sich in den Gesundheitsmarkt ausgründen möchten und steht als Mentor für Fragen rund um das Gesundheitswesen und das Sozialversicherungssystem zur Verfügung.
Ein Start-up, das unser TK-Vertragsexperte Jochen Blaser aktuell unterstützt hat kommt aus dem Umfeld des Fraunhofer Instituts für Bauphysik (IBP). Bei der Projektentwicklungsidee geht es um ein Narkosemonitoringsystem. Die durch das Projekt beförderte Verfügbarkeit eines erstmaligen Monitoringsystems für das Narkosemittel Propofol würde einen hohen Sicherheitsgewinn für die Patienten bedeuten.
Wir haben mit dem Entwickler des Monitoringsystems, Kevin Haas, über die Projektidee und den aktuellen Stand gesprochen.
TK: Wie entstand die Idee für ein Narkosemonitoringsystem?
Kevin Haas: Für die Narkose während OPs und für die Sedierung auf der Intensivstation gibt es mehrere Narkotika. Hauptsächlich aufgrund der sehr guten Verträglichkeit aber auch im Vergleich zu herkömmlichen Gasnarkotika wie z.B. Sevofluran deutlich geringeren CO2-Fußabdruck, ist Propofol das beste Narkosemittel. Daher wird es auch in medizinischen Leitlinien empfohlen. Zum Monitoring gab es bisher den Ansatz über Hirnstrommessung, womit viele Anästhesisten unzufrieden sind. Nicht selten zeigen die Werte hier einen tiefschlafenden Patienten an, obwohl dieser schon längst wach ist - und umgekehrt. Deswegen wachen Studien zufolge bis zu 16.000 Patienten jedes Jahr allein in Deutschland während ihrer OP auf. Eine traumatische Erfahrung bei vollem Bewusstsein und gleichzeitiger Paralyse des Körpers. Gefangen im eigenen Körper. Wir haben bereits einige Betroffene kennengelernt. Um dieses große Problem mit einer hohen Dunkelziffer zu lösen, sind die Anästhesisten der Uniklinik München (LMU) auf das Fraunhofer-Institut für Bauphysik zugekommen. Hier forschen die renommierten Physiker Dr. Judit Angster und Dr. Andras Miklos seit Jahrzehnten an einer für besonders exakte Messungen von Bestandteilen der Atemluft erforderlichen Technologie, mit dem Namen photoakustische Spektroskopie. Hiermit können wir 0,000.000.2 Prozent genau die Wirkung des Propofols in Echtzeit messen. Warum dieses hochgenaue Messverfahren zwingend nötig ist, komme ich gleich zu sprechen.
Nicht selten zeigen die Werte hier einen tiefschlafenden Patienten an, obwohl dieser schon längst wach ist.
Kevin Haas
TK: Was sind die Herausforderungen und Chancen?
Haas: Die größte Herausforderung hängt damit zusammen, dass Propofol intravenös verabreicht wird. Über das Blut gelangt das Propofol ins Gehirn, wo es seine Wirkung entfaltet. Interessanterweise werden winzige Anteile des Propofols über die Lunge in der Ausatemluft aus dem Körper befördert. Diese Menge steht in einem konstanten Verhältnis zu dem Wirkstoffgehalt im Gehirn, was in mehreren Studien bewiesen wurde. In der Ausatemluft kann bei jedem Atemzug der Propofolgehalt gemessen werden, somit ist ein Echtzeitmonitoring möglich. Für die Messung dieser winzigsten Menge ist die besondere Technologie nötig. Das Messverfahren ist hochkomplex und patentiert. Basierend auf dem Wirkstoffgehalt im Gehirn sehen die Narkoseärzte während der OP direkt, wenn die Dosierung zu hoch oder zu niedrig liegt. Das ist besonders wichtig, weil jeder Mensch einen individuellen Stoffwechsel hat. Wählt man eine Durchschnittsdosis hat man zwei Risiken gleichzeitig: Überdosierung und Unterdosierung. Mit unserem Messgerät von PropofolSafe ermöglichen wir letztendlich für die Patientinnen und Patienten die ideale Dosis während der Narkose im OP. Wir kämpfen dafür, dass der Einsatz unseres Gerätes in die medizinischen Leitlinien aufgenommen wird, damit die Patientinnen und Patienten sicher und gesund wieder nach einer Operation im Krankenhaus aufwachen.
Wir kämpfen dafür, dass der Einsatz unseres Gerätes in die medizinischen Leitlinien aufgenommen wird, damit die Patientinnen und Patienten sicher und gesund wieder nach einer Operation im Krankenhaus aufwachen.
TK: Wie ist der aktuelle Stand der Entwicklung und wie geht es weiter?
Haas: Unsere erste Patientenstudie an der Uniklinik München (LMU) haben wir erfolgreich abgeschlossen. Erfolgreich heißt, wir konnten live an zehn Patientinnen und Patienten während ihrer OP zeigen, dass die Messung zuverlässig und hochgenau ist. Die nächste Patientenstudie führen wir diesen Sommer durch. Bis dahin gilt es das Messgerät noch besser, zuverlässiger und benutzerfreundlicher zu gestalten. Die technische Entwicklung ist jedoch nur die halbe Miete. Die Vermarktung, Präsentation, Bekanntmachen und noch viel wichtiger - exakt die Anforderungen der Anwender zu kennen und zu lösen - ist das Zünglein an der Waage. Hier sind wir sehr dankbar über unsere Teilnahme am Startup-Programm der Life Science Factory in Göttingen. Innerhalb von drei Monaten haben uns zahlreiche Expertinnen und Experten sowie Coaches schlagkräftig unterstützt, beraten und auf ein neues Level gehoben. Unsere Entwicklungs- und Studienergebnisse werden voraussichtlich nächstes Jahr auf der größten Konferenz für Anästhesisten in Deutschland präsentiert. Mehrere Kliniken haben uns schon großes Interesse mitgeteilt und freuen sich ihren Patientinnen und Patienten besonders sichere Operationen zu ermöglichen.
TK: Um den Einstieg in den Gesundheitsmarkt zu erleichtern gibt es die Möglichkeit Fragen zu stellen oder sich ein Feedback zur Produktidee einzuholen. Die Landesvertretung der TK bietet hier Unterstützung als Mentoring an. Wie lief es bei Ihnen ab? Inwieweit ist aus Ihrer Sicht ein Mentoring hilfreich?
Haas: Jeder profitiert vom Mentoring. Unser TK-Mentoring war eingebettet in das Startup-Programm der Life Science Factory in Göttingen. Die große Herausforderung für Gründer ist es ihre eigene Bubble zu verlassen und so viel Feedback wie möglich zu erhalten. Wer zu lange "im eigenen Saft schwimmt" verliert Zeit und Geld und ist im Zweifel bankrott, bevor das Produkt marktfähig ist. Jochen Blaser, unser Mentor der TK, ist ein erfahrener Experte und kennt die verschiedenen Akteure im Gesundheitswesen bestens. Dementsprechend haben wir zahlreiche Insider-Tipps erhalten und es wurden die richtigen Fragen gestellt, damit unser Messgerät wirklich die Probleme der Patienten und damit auch die der Ärzteschaft löst.
Jeder profitiert vom Mentoring.
TK: Was macht beim Gründen am meisten Spaß?
Haas: Gründen fühlt sich an wie das Brettspiel Spiel des Lebens. Es gibt hunderte Entscheidungen zu treffen und vollständige Gestaltungsfreiheit. Das ist ein magisches Gefühl. Wer gerne Verantwortung übernimmt, Entscheidungen trifft und sich nicht scheut vor kritischem Feedback, hat das Zeug zum Gründen. Häufig werden auch Co-Gründer gesucht, heißt, man muss gar nicht selbst die bahnbrechende Idee haben, sondern kann mit seinem Engagement auch bereits bestehende Startups unterstützen. Der Faktor Mensch entscheidet in der Regel, ob das Startup das nächste Erfolgsbeispiel wird oder nicht. Gründen würde ich als sozialer Beruf bezeichnen, denn wegen Arbeit im Team und mit Kunden macht es viel Spaß.
Zur Person
Kevin Haas hat einen Master of Science in technisch orientierter Betriebswirtschaftslehre an der Universität Stuttgart erworben, wo er sich intensiv mit der Kommerzialisierung digitaler Technologien in Forschungs- und Technologieorganisationen beschäftigt hat. Er bringt Erfahrung im Innovationsmanagement mit, insbesondere in der Patentstrategie und im Technologietransfer aus der Wissenschaft in die Wirtschaft. In seiner aktuellen Position als IP und Licensing Manager am Fraunhofer IBP begleitet er seit Januar 2024 die Forschung an innovative Lösungen und trägt die Verantwortung als Business Lead für das Startup-Team PropofolSafe.