Liebe und Medien – alles geht, aber ist alles okay?
Artikel aus Mecklenburg-Vorpommern
Auf der Bundesjugendkonferenz Medien sprach die Psychologin Johanna Degen über ein Thema, das mitten ins digitale Herz der Gegenwart trifft: Wie sehr prägen soziale Netzwerke, Streaming-Plattformen und künstliche Intelligenz unsere Vorstellungen von Liebe, Sexualität und Intimität - und was bedeutet das für junge Menschen?
In ihrer Keynote beleuchtete Johanna Degen, wie digitale Medien unsere Vorstellungen von Sexualität, Intimität und romantischen Beziehungen prägen und welche Herausforderungen daraus für die sexuelle Bildung entstehen. Nie zuvor war Sexualität so sichtbar, so vielfältig, so öffentlich verhandelbar. Doch die neue Offenheit bringt auch neue Fragen mit sich. Was passiert, wenn vermeintliche Freiheit in Orientierungslosigkeit umschlägt? Wenn ständige Erreichbarkeit nicht Nähe, sondern Einsamkeit erzeugt?
Nähe als Simulation
Besondere Aufmerksamkeit galt den sogenannten parasozialen Beziehungen - Bindungen zu Influencerinnen und Influencern, die in vielen Jugendzimmern längst vertrauter wirken als Freunde im echten Leben. Dazu treten KI-Anwendungen wie virtuelle Begleiterinnen, die Zuwendung imitieren und emotionale Lücken füllen sollen. Doch solche Begegnungen, so Degen, bleiben Projektionen - berührend, aber ohne Resonanz.
Gleichzeitig eröffnen digitale Räume neue Möglichkeiten. Das Netz kann Aufklärung fördern, Vielfalt sichtbar machen und Jugendlichen Wege zu sexueller Selbstbestimmung zeigen. Doch wo offene Kommunikation auf anonyme Strukturen trifft, lauern Risiken: verzerrte Körperbilder, falsche Informationen, Grenzüberschreitungen. Medienkompetenz entscheidet hier über Orientierung oder Überforderung.
Zwischen Aufklärung und Abgrund
Gemeinsam mit ProFamilia wertete Degen über 7000 anonyme Fragen von Jugendlichen aus. Die Themen reichen von konkreten Alltagsproblemen bis zu grundlegenden moralischen und kulturellen Fragen. Diese Daten zeigen: Junge Menschen suchen Informationen, aber auch Orientierung. Das Internet bietet beides - Wissen und Verunsicherung zugleich. Degen warnte vor den Schattenseiten: Cybermobbing, Deepfakes und Falschinformationen bedrohen zunehmend das Vertrauen in digitale Räume.
Künstliche Intelligenz kann Nähe simulieren, aber keine echte menschliche Resonanz ersetzen
KI und Beziehungserleben
Besonders spannend war Degens Analyse der Rolle von künstlicher Intelligenz in zwischenmenschlichen Beziehungen. KI-basierte Systeme können Gespräche empathisch erscheinen lassen, Trost spenden und Sicherheit vermitteln. Doch sie reagieren berechnet - nicht bewegt. Wenn Maschinen Nähe vortäuschen, droht die Beziehungserfahrung selbst zu verarmen.
Fazit: Neue Wege für die sexuelle Bildung
Zum Abschluss forderte Degen eine zeitgemäße sexuelle Bildung, die die digitale Realität junger Menschen ernst nimmt. Aufklärung müsse heute auch bedeuten, über Algorithmen, Influencer und Beziehungsapps zu sprechen. Nur wer versteht, wie digitale Mechanismen wirken, kann Liebes- und Beziehungswelten bewusst gestalten - selbstbestimmt, kritisch und empathisch.
Johanna Degen ließ ihr Publikum mit einer klaren Botschaft zurück: In einer Welt, in der scheinbar alles möglich ist, bleibt Menschlichkeit die entscheidende Währung.