TK: Sehr geehrte Frau Gladasch, Sie sind Projektleiterin bei der Vernetzungsstelle Seniorenernährung Mecklenburg-Vorpommern. Gestatten Sie unseren Leserinnen und Lesern einen Einblick in den Aufgabenbereich der Vernetzungsstelle und ihre vielfältigen Aufgaben?

Simone Gladasch: Auf Beschluss des Deutschen Bundestages wurden im Rahmen des Nationalen Aktionsplans "IN FORM" - Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung, Vernetzungsstellen für die Seniorenernährung oder vergleichbare Institutionen in den Bundesländern eingerichtet. Der Nationale Aktionsplan hat zum Ziel, das Ernährungs- und Bewegungsverhalten in Deutschland in unterschiedlichen Lebenswelten nachhaltig zu verbessern. 

Neben den Vernetzungsstellen Kita- und Schulverpflegung, die seit 2009 bzw. 2010 erfolgreiche Arbeit leisten, wurde im April 2020 die Vernetzungsstelle Seniorenernährung im Land etabliert. Die finanzielle Förderung erfolgt durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Träger des Projekts ist die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V., die ihren Hauptsitz in Bonn hat. 

Die Vernetzungsstelle steht den Menschen als Ansprechpartnerin für alle Belange rund um eine ausgewogene Ernährung und Verpflegung in der 2. Lebenshälfte zur Seite. Zur Verbesserung der Ernährungskompetenz älterer Menschen, pflegender Angehöriger sowie der Verpflegungskompetenz von Verantwortlichen in der Seniorenverpflegung, bietet die Vernetzungsstelle themenspezifische und kostenfreie Schulungsangebote. Außerdem gibt es Weiterbildungs- und Informationsveranstaltungen, wie Workshops und Seminare. 

Weiterhin ist der Auf- und Ausbau eines landesweiten Netzwerkes eine wichtige Aufgabe der Vernetzungsstelle. Dabei versuchen wir das Thema gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft sowie Vereinen und Verbänden voranzutreiben. Für eine intensive Zusammenarbeit zum Thema "Essen und Trinken" für Seniorinnen und Senioren werden bestehende Aktivitäten auf Landesebene gebündelt und vernetzt. Als Projektleiterin verantworte ich diese Aufgaben und setze die Vorhaben um.

Simone Gladasch

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Projektleiterin der Vernetzungsstelle Seniorenernährung Mecklenburg-Vorpommern

Zur Person

Simone Gladasch blickt auf eine lange Laufbahn in Politik und Gesundheitswesen zurück. Die staatlich anerkannte Diätassistentin und Ernährungsberaterin leitete für über ein Jahrzehnt die Geschäftsstelle des Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) in Mecklenburg-Vorpommern. Als ehemalige Büroleiterin der heutigen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und Projektleiterin von "Landtag vor Ort" kennt sie auch das politische Geschäft aus erster Hand. Seit April 2020 verantwortet sie als Leiterin das Projekts die "Vernetzungsstelle Seniorenernährung Mecklenburg-Vorpommern" von der DGE.

TK: Warum ist eine bedarfsgerechte Ernährung im Alter so wichtig?

Gladasch: Für den Erhalt der Gesundheit und somit für mehr Freude am gesellschaftlichen Leben spielt eine bedarfsgerechte, vielfältige und genussvolle Ernährung eine zentrale Rolle. Mahlzeiten haben eine sehr hohe gesundheitliche, emotionale, kulturelle und nicht zuletzt soziale Bedeutung. Sie geben dem Tag Struktur und sollen in erster Linie Genuss und Freude bringen. Das Hauptaugenmerk bei der Ernährung und Verpflegung im Alter liegt auf Faktoren, die Einfluss auf den Ernährungszustand haben. Physiologische Veränderungen, körperliche Einschränkungen, geistige und psychische Beeinträchtigungen, Auswirkungen von Krankheiten und/oder Medikamenten können sich auf die Ernährung auswirken. Nur wenn wir diese berücksichtigen, können wir einer Mangelernährung im Alter entgegenwirken. Im Alter verändern sich beispielsweise Körper und Stoffwechsel. Während der Energiebedarf etwas sinkt, bleibt der Bedarf an Nährstoffen gleich oder kann sich in einigen Fällen sogar erhöhen. Das bedeutet, dass ältere Menschen etwas weniger Kalorien, aber genauso viele Nährstoffe benötigen wie in jüngeren Jahren. 

Eine ausgewogene Ernährung sowie die Auswahl von Lebensmitteln mit einer hohen Nährstoffdichte ist gerade im Alter wichtig.
Simone Gladasch, Projektleiterin der Vernetzungsstelle Seniorenernährung Mecklenburg-Vorpommern 

TK: Wie finden die Bedürfnisse und Wünsche der Seniorinnen und Senioren bezüglich ihrer Ernährungsweise in ihren Konzepten Berücksichtigung?

Gladasch: Die Anforderungen an eine ausgewogene und genussvolle Ernährung reichen von Wünschen und Bedürfnissen bis hin zu speziellen Angeboten und Kostformen für kranke und pflegebedürftige ältere Menschen. Individuelle Essensvorlieben, Abneigungen, Gewohnheiten und Rituale sollten dabei soweit wie möglich beachtet werden. In Senioreneinrichtungen ist dies beispielsweise durch die Erstellung einer Essbiografie der Bewohnenden möglich. All diese Anforderungen miteinander zu vereinbaren, ist eine große Herausforderung. Gleichzeitig ist dies aber auch eine Chance, um Gesundheit und Wohlbefinden älterer Menschen zu fördern, ihnen Wertschätzung entgegenzubringen und mehr Freude und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

TK: Im Jahr 2020 ist die erste Auflage des DGE-Qualitätsstandards für die Verpflegung mit "Essen auf Rädern" und in Senioreneinrichtungen erschienen. Vier Jahre nach Veröffentlichung, wie schätzen Sie die Akzeptanz des DGE-Standards in Mecklenburg-Vorpommern ein? 

Gladasch: Das Ziel des DGE-Qualitätsstandards ist es, Verantwortliche bei der Gestaltung eines gesundheitsfördernden und nachhaltigen Verpflegungsangebotes zu unterstützen und damit den älteren Menschen eine entsprechende Speise- und Getränkeauswahl zu ermöglichen. Als Instrument zur Qualitätsentwicklung beschreibt der DGE-Qualitätsstandard mit seinen Kriterien eine optimale Verpflegungssituation, an dieser können sich Essensanbietende orientieren und sich im eigenen Tempo angleichen. Die enthaltene Checkliste unterstützt dabei, den eigenen Status Quo in Sachen Verpflegung zu erheben und Optimierungsbedarf sichtbar zu machen. Dabei wird immer wieder deutlich: Eine Optimierung geht nicht von heute auf morgen, sie braucht Zeit und jeder noch so kleine Schritt zählt! Wir möchten dazu motivieren, sich mithilfe des DGE-Qualitätsstandards auf den Weg zu machen und stufenweise vorzugehen. Wenn der Schritt hin zum Qualitätsstandard geglückt ist, können sich Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung sowie Caterer bei der DGE zertifizieren lassen. 

TK: Das Thema Nachhaltigkeit wird zunehmend wichtiger. Was unternimmt die Vernetzungsstelle konkret, um die Nachhaltigkeit bei der Verpflegung in pflegerischen Settings zu verbessern?

Gladasch: Mit "Nachhaltigkeitsfragen" hat sich der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) beschäftigt und im Jahr 2020 das Gutachten "Politik für eine nachhaltigere Ernährung: eine integrierte Ernährungspolitik entwickeln und faire Ernährungsumgebungen gestalten" an die damalige Bundesministerin Julia Klöckner übergeben. Der WBAE definiert darin mit Gesundheit, Soziales, Umwelt und Tierwohl vier zentrale Ziele einer nachhaltigeren Ernährung, die auch Bestandteil einer neu ausgerichteten und gestärkten Ernährungspolitik sein sollen, um die deutschen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.

Die Ernährung und damit auch die Gemeinschaftsverpflegung ist eine wesentliche Stellschraube, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht. Denn in allen Schritten des Verpflegungsprozesses gibt es zahlreiche Ansatzpunkte, um nachhaltiger zu agieren. Beispielsweise durch einen selteneren und bewussteren Einsatz von Fleisch und Wurst, mehr pflanzliche Lebensmittel im Speisenangebot, durch die Messung und Reduktion von Lebensmittelabfällen oder den Einsatz ressourceneffizienter Küchentechnik. Im "DGE-Qualitätsstandard" ist das Thema Nachhaltigkeit daher verstärkt berücksichtigt und zieht sich wie ein "grüner Faden" durch fast alle Kapitel. Gesundheitsförderung und Nachhaltigkeit fungieren darin als gleichwertige Maßstäbe für eine gute Verpflegungsqualität. Wir bieten neben Informationsveranstaltungen zur nachhaltigen Gemeinschaftsverpflegung auch kostenfreie Checks für 4-Wochen-Speisepläne der Mittagsverpflegung an. Essensanbieter erhalten dadurch einen Überblick darüber, welche Kriterien einer gesundheitsfördernden und nachhaltigen Mittagsverpflegung für Seniorinnen und Senioren bereits erfüllt werden und welche Möglichkeiten sich für eine Optimierung bieten.

TK: Zum Abschluss gestatten Sie uns noch einige persönliche Einblicke. Was bedeutet für Sie eine gesunde Ernährung? Welchen Stellenwert hat eine gesunde Ernährung für Sie persönlich?

Gladasch: Die Auswahl der Lebensmittel, die Mengen und der Genuss sind für mich entscheidend. Daher klassifiziere ich nicht in "gesund" und "ungesund". Ich koche und esse gern die "Mecklenburger Küche", mit ihr bin ich groß geworden. Traditionell gibt es auch zu Weihnachten Enten- oder Gänsebraten mit üppigen Beilagen, so wie ich es von meinen Eltern und Großeltern kenne. Weiterhin bin ich in Sachen Ernährung experimentierfreudig und für neue Ideen und Rezepte sehr aufgeschlossen. Ob mit Familie oder Freunden, leckeres Essen und Trinken verbindet und hier finde ich auch Entspannung. Es gibt so viele Rezepte, die darauf warten ausprobiert zu werden und das eine oder andere Rezept landet dann auch in meiner persönlichen Rezeptsammlung. Gerne koche ich auch leckere und preiswerte Rezepte der DGE oder von "In Form".

TK: Wir wünschen Ihnen in allen Belangen viel Erfolg. Danke für das Interview.