TK: Die Herausforderungen in der Pflege sind riesig. Mit zehn Ideen für eine digitale und unbürokratische Pflege will die TK die Menschen in der Pflege unterstützen. Dazu zählen beispielsweise ein bundesweites Onlineportal für freie Pflegekapazitäten, die Digitalisierung des Leistungskatalogs der Pflegeversicherung sowie die Digitalisierung papierzentrierter Verwaltungs- und Versorgungsprozesse. Wie beurteilen Sie die Chancen der Digitalisierung in Sachen Pflege?

Emmi Zeulner

Emmi Zeulner, MdB (CSU) Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Mitglied des Deutschen Bundestages (CSU)

Emmi Zeulner: Digitalisierung kann gerade in der Langzeitpflege eine Chance sein, administrative Prozesse - insbesondere in der Pflegedokumentation - zu vereinfachen und so wertvolle Zeit für die Pflege am Patienten zu gewinnen. Grundvoraussetzung für jede Digitalisierung ist, dass die Anwendungen für die Pflegenden vor allem auch praktikabel im Alltag ausgestaltet sein müssen. Gleichzeitig hat die Digitalisierung auch Grenzen. Denn die Digitalisierung kann und darf meiner Ansicht nach die Wahrnehmung des Gegenübers nicht ersetzen. "Zu pflegen" bedeutet allem voran "Beziehung zu pflegen" und viele Aspekte der Krankenbeobachtung brauchen den unmittelbaren menschlichen Kontakt. Die Pflege ist und bleibt eine personenbezogene Arbeit am Menschen, die durch die Digitalisierung unterstützt, aber nicht ersetzt werden kann.

TK: Pflegende Angehörige sind oft die "stillen Helden der Pflege" - ohne ihr Engagement geht es nicht. Deshalb haben wir besondere Angebote für pflegende Angehörige entwickelt, zum Beispiel TK-Pflegekompakt , wo es alle Infos aus einem Guss gibt. Die TK setzt sich außerdem dafür ein, Angebote zur Entlastung Angehöriger so alltagsnah und flexibel wie möglich zu gestalten. Dazu sollte ein jährliches Entlastungsbudget statt getrennter Leistungen gesetzlich verankert und der monatliche Entlastungsbetrag zum flexiblen Jahresanspruch werden. Zudem sollte die Vorpflegezeit auf drei Monate reduziert werden. Welche Maßnahmen würden Sie ergänzen?

Zeulner: Mir ist es ein großes Anliegen, dass die Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige nicht nur unkomplizierter werden, sondern dass pflegende Angehörige auch möglichst flexibel auf diese zugreifen können. Sonst verfehlt das Angebot das ureigene Ziel und das können wir uns angesichts der angespannten Lage in der professionellen Pflege und des demographischen Wandels nicht leisten. 

Umso wichtiger sind Anlaufstellen für pflegende Angehörige, damit sie sich niedrigschwellig, vor Ort und aus einer Hand über Unterstützungsmöglichkeiten und Angebote informieren können. Dafür ist vielerorts bereits die richtige Struktur vorhanden: nämlich Pflegestützpunkte. Dort kann die Beratung perspektivisch auch im Sinne eines Case and Care Managements dauerhaft geschehen. Denn es zeigt sich immer wieder, dass die Beratung einen großen Einfluss auf das individuelle Pflegearrangement hat. Pflegeberatungen dürfen deshalb nicht isoliert stattfinden, sondern im Umfeld des Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen.

Letztendlich brauchen wir dafür eine ertüchtigte Pflegeinfrastruktur, die kommunal organisiert ist. Denn aktuell sehen wir, dass diese Pflege nach dem Krankenhaus kollabiert. So kann es einerseits zu gefährlichen Drehtüreffekten, die die Versichertengemeinschaft viel Geld kosten, zum anderen im Falle einer mangelnden Anschlussversorgung im schlimmsten Fall sogar zur Unterversorgung kommen. Um das zu vermeiden und ihrer Verantwortung gerecht zu werden, brauchen Anbieter wie Kommunen aber die richtigen Rahmenbedingungen - so könnten sie beispielsweise dem enormen Bedarf an solitären Kurzzeitpflegeeinrichtungen besser nachkommen.

TK: Eine der großen Fragen ist die zukunftsfeste Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung. Die TK hat sich dazu klar positioniert: Unter anderem sollten die Leistungsbeiträge angehoben werden und die Bundesländer die Investitionskosten übernehmen. Welche Lösungen schlagen Sie vor?

Zeulner: Sollten die Länder gesetzlich verpflichtet werden Investitionskosten zu übernehmen, dann müssten ihnen damit auch umfassende Kompetenzen zur Planung der Pflegeinfrastruktur gegeben werden. Dafür bin ich offen. Insgesamt wird der Status der sozialen Pflegeversicherung als Sozialversicherung aktuell immer wieder in Frage gestellt, insbesondere weil ihre zugrunde liegende Logik als Teilleistungssystem stark unter Druck gerät.

Dass aufgrund dieses Bedeutungswandels der Beitragssatz angehoben werden muss, ist folgerichtig. Insofern braucht es eine grundlegende Debatte darüber und Reformen. Die demographisch bedingten und versicherungsfremden Mehrausgaben müssen dringend steuerlich refinanziert werden. Es gehört letztendlich aber auch dazu, die Leistungen neu zu ordnen, um Doppelstrukturen abzuschaffen.

TK: Mit unseren Projekten zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement verbessern Einrichtungen wie Pflegeheime und Kliniken ihre Strukturen und schaffen wir ein gesundheitsförderndes Setting für die Pflegekräfte. Durch diese Projekte kann auch die Attraktivität des Berufes steigen, Menschen können für den Beruf gewonnen werden, bleiben bestenfalls auch so lange wie möglich im Beruf. Darüber hinaus schlägt die TK einen "Masterplan Pflegeberufe"  vor. Neben einer höheren Vergütung fordern wir attraktive Rückkehrangebote, eine altersgerechte Arbeitsorganisation und neue Karrierepfade. Wie lassen sich aus Ihrer Sicht die Arbeitsbedingungen für die Pflege noch verbessern?

Zeulner: Pflegekräften geht es nicht primär um mehr Geld, sondern um eine leistungsgerechte Vergütung und vor allem um verlässliche und gute Arbeitsbedingungen. Dazu gehören nicht nur eine solide, personelle Grundausstattung und flexible Arbeitszeitmodelle, sondern ebenso ein betriebliches Gesundheitsmanagement und Supervision in den Teams, um die Zufriedenheit im Beruf zu fördern. Für eine Professionalisierung braucht es zudem auch attraktive Weiterbildungsmöglichkeiten und ganz besonders einen kompetenzorientierten Einsatz von Fachkräften, damit Pflegefachkräfte von fachfremden Tätigkeiten entlastet werden. Das ist natürlich auch verbunden mit Investitionen, aber multiprofessionelle Teams sind die Zukunft und deshalb muss die Pflegeassistenzausbildung auch dringend organisiert werden.