Eines der Ziele ist es, die Kraft, Koordination und Ausdauer sowie die kognitiven Fähigkeiten von Menschen mit Demenz zu verbessern. Die Pflegebedürftigen sollen außerdem dabei unterstützt werden, soziale Kontakte untereinander zu knüpfen. Im Interview erklärt die Wissenschaftlerin, wie es gelingt, die Kompetenzen von Menschen mit Demenz zu stärken.  

TK: Wie motivieren Sie Menschen mit Demenz zum Training? Wo liegen die Herausforderungen bei der Entwicklung eines solchen Programms?

Dr. Doris Gebhard: Für Menschen mit Demenz brauchen wir ein Programm, das sich spielerisch und natürlich anfühlt. Unser Training darf also keinen Laborcharakter haben. Die Aufgaben müssen außerdem einfach zu erfüllen sein und sollten trotzdem die Aspekte Balance, Kraft und Ausdauer beinhalten, die wir aus Sicht der Bewegungswissenschaft für notwendig und besonders effektiv halten. Die Betroffenen müssen sich wohl fühlen und in der Situation orientieren können. Unser Programm ist außerdem so gestaltet, dass alle mitmachen können - auch Pflegebedürftige im Rollstuhl. 

Dr. Doris Gebhard

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Projektleiterin CaResource

TK: Ihr Ziel ist es, Menschen mit Demenz in die Entwicklung des Programms miteinzubeziehen. Wie gelingt das in der Praxis?

Gebhard: Im Vorfeld haben wir uns mit den Bewohnerinnen und Bewohnern intensiv beschäftigt. Wir wissen jetzt, an welche Dinge aus ihrem Leben sie anknüpfen können. Dazu zählen Themen wie die Natur, Alltagsaktivitäten, Spiel und Sport. Unsere Trainerinnern und Trainer haben von jedem einen Steckbrief, der darüber informiert, was die einzelne Bewohnerin und der einzelne Bewohner noch gut kann. So wissen sie, wie sie die Übungen individuell anhand der vorhandenen Kompetenzen anleiten können.

TK: Wie trainieren Sie konkret?

Gebhard: Wir trainieren gleichzeitig Körper und Geist, führen also das so genannte Dual-Task-Training durch. Das hat eine bessere Wirkung. Wir kegeln beispielsweise mit den Bewohnerinnen und Bewohnern. Hierbei wird nicht nur die Balance trainiert. Wenn die Kegel aufgestellt werden, zählen wir gemeinsam mit der jeweiligen Person, die wir dabei begleiten, wie viele gelbe und wie viele grüne Kegel umgefallen sind. Und fragen sie, welche Zahl sich ergibt, wenn sie alle gelben und grünen Kegel addiert. Oder wir üben die Wortflüssigkeit. Wir fragen die Pflegebedürftigen, welche anderen Sportarten ihnen noch einfallen. Sie zählen Sportarten auf, während sie die Kegel aufstellen und zurückgehen. So gelingt uns die Kombination aus Kognition und Bewegung als etwas Natürliches. 

TK: Üben Sie immer der Gruppe?

Gebhard: Ja, das ist wichtig. Auch wenn wir einzelne Personen durch einen Parcours begleiten, handelt es sich immer um ein Gruppenerlebnis unter acht bis zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Wir möchten die Menschen vor allem dazu bewegen, sozial zu interagieren und sich außerhalb unseres Angebotes zu treffen. Oft leben Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner sehr isoliert und beschränkt auf ihr enges Umfeld, sie haben zum Beispiel nur Kontakt zu den Menschen, die auf ihrem Stockwerk wohnen. 

TK: Neben dem Dual-Task-Training führen Sie auch die so genannte psychosoziale Intervention durch. Was machen Sie hier mit den Bewohnerinnen und Bewohnern?

Gebhard: Hierbei fördern wir auf kreative Art das soziale Miteinander im Pflegeheim. Jemand spielt zum Beispiel einen Sketch vor und danach erarbeitet die Gruppe einen eigenen Sketch. Uns ist es wichtig, dass die Menschen mit Demenz selbstständig etwas zeigen und vormachen und die anderen Gruppenmitglieder mitmachen können - im Sinne der so genannten Ko-Kreativität. Unser Job ist es also, die Pflegebedürftigen in eine aktive Rolle zu bringen und ihre Kompetenzen zu fördern. Vorab haben wir die Bewohnerinnen und Bewohner gefragt, was sie glücklich macht, was sie in die Gruppe einbringen können, was sie sich von der Gruppe wünschen und was sie gerne lernen möchten. Anhand der Ergebnisse haben wir gemeinsame Interessen gesucht und so bestimmte Aktivitäten geplant. Nun haben wir Themen wie "Mode und sich schick machen", "Theater spielen und Kultur", "Familien und Liebesgeschichten". 

TK: Ist das bei Menschen mit Demenz nicht schwierig?

Gebhard: Wenn man das Thema findet, das den oder die Betroffene interessiert, dann kann er bzw. sie noch sehr viel. Natürlich hält keine Bewohnerin und kein Bewohner einen zehnminütigen Monolog. Aber mit unserer Hilfe kann eine Geschichte erzählt oder etwas präsentiert werden. Wir wissen ja auch einiges über die Personen, haben uns von den Bewohnerinnen und Bewohnern Kinder- und Familienbilder zeigen lassen und können so mithelfen, die Geschichte zu strukturieren oder Wörter einspielen, damit die Person von ihrem Leben erzählen kann. 
 
TK: Inwiefern hat die Corona-Pandemie ihr Projekt beeinflusst?

Gebhard: Grundsätzlich stellen wir fest, dass die Kommunikation mit Menschen mit Demenz viel schwieriger ist, wenn man eine FFP2-Maske trägt. Man macht ja so viel mit der Mimik und einem Lächeln. Das fällt jetzt alles weg. Gerade in der Anleitung von Bewegungsabläufen müssen wir nun mit Gestik und Vorzeigen erklären. Und weniger mit Worten.

Wir konnten außerdem während des Lockdowns nichts anbieten und erst im April wieder mit dem Projekt starten. Viele Bewohnerinnen und Bewohner hatten in der Zwischenzeit trotz massiver Bemühungen der Pflege- und Betreuungskräfte einige ihrer noch vorhandenen Kompetenzen verloren, sowohl die sozialen als auch die physischen. Umso wohltuender ist es jetzt für die Menschen in den Heimen wieder sozial zu agieren.

Alle sechs Pflegeheime haben diesen Sommer unser Bewegungsprogramm mit den kognitiven Übungen umgesetzt. Drei von den sechs Heimen erhalten auch schon die psychosoziale Intervention. Die anderen drei Heime folgen noch dieses Jahr. Allen war es wichtig, dass wir über den Sommer hinweg so viele Aktivitäten wie möglich anbieten, weil die Bedürfnisse und Bedarf der Bewohnerinnen und Bewohner so hoch waren. Wir mussten daher Teile der wissenschaftlichen Evaluation erst einmal nach hinten schieben. Die Pflegebedürftigen stehen nach dieser harten Zeit jetzt erst einmal im Vordergrund. 

TK: Welche Veränderungen stellen Sie jetzt bereits fest?

Gebhard: Die Betreuungspersonen melden uns, dass die Pflegebedürftigen offener und stolzer auf sich sind und wieder soziale Kontakte knüpfen. Letztens sagte mir beispielsweise eine Pflegekraft, dass sie beobachtet hat, dass sich Frau Müller zu einer Gruppe dazugesetzt hat, weil sie eine andere Person aus der Gruppenarbeit wiedererkannt hatte. Normalerweise hätte Frau Müller sich das nicht getraut. Das sind kleine, aber wichtige Erfolge. Wir hoffen sehr, dass die Bewohnerinnen und Bewohner über den Sommer hinweg gute Beziehungen untereinander aufgebaut haben. So vermeiden wir die soziale Isolation - vor allem, wenn es wieder Kontaktbeschränkungen zu Menschen außerhalb des Pflegeheims gibt. Die sozialen Kontakte im Heim werden oft zu selten genutzt. Freundschaften können die Lebensqualität im Heim sehr verbessern. Und sie verlangsamen den Abbauprozess bei Demenz. 

TK: Wie geht es nächstes Jahr weiter?

Gebhard: Zunächst einmal können die Programme unabhängig vom Projekt mit den Pflegebedürftigen nächstes Jahr fortgeführt werden, weil wir Betreuungspersonen geschult haben. Wir werden uns nächstes Jahr auf die Verhältnisse konzentrieren und Möglichkeiten aufzeigen, die die soziale Interaktion im jeweiligen Pflegeheim weiter fördert. Zum Beispiel könnte man ein so genanntes Buddy-System einführen, bei dem ein Pflegebedürftiger eine Art persönlicher Tutor für eine Person wird, die gerade ins Pflegeheim aufgenommen wird. Und dann folgt noch ein sehr wichtiger Aspekt: Die Gesundheitsförderung für die Pflegekräfte. Hierbei wollen wir nicht nur Belastungen erkennen und reduzieren, sondern vor allem auch Ressourcen stärken.