KI in der medizinischen Versorgung – ist das noch Zukunftsmusik?
Interview aus Niedersachsen
Er ist gebürtiger Niedersachse und arbeitet nun in München, der Internist und Kardiologe Dr. Eimo Martens hat nicht nur Telemedizinische Betreuung auf Ölbohrplattformen, sondern auch viele andere spannende Projekte nicht nur in Niedersachsen auf den Weg gebracht. Wir haben unter anderem mit ihm über Remote Monitoring bei chronischen Erkrankungen gesprochen.
TK: Herr Dr. Martens, wir fallen direkt mit der Tür ins Haus, wie wird der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) die zukünftige medizinische Versorgung verändern?
Dr. Eimo Martens: Wir stehen in der Gesundheitsversorgung vor unterschiedlichen Herausforderungen, insbesondere durch den demographischen Wandel! Wir müssen also die Ressource Arzt so sinnvoll wie möglich einsetzen
KI-Modelle werden in unterschiedlichen Bereich die Versorgung nachhaltig verändern. Auf der einen Seite werden Sie uns helfen, viele dokumentationsaufgaben o.ä. zu erledigen, vor allem aber werden Sie die Diagnose-Stellung von Erkrankungen grundlegend verändern und in vielen Bereichen sicher auch verbessern. In vielen Bereichen wie der automatischen EKG oder Bild-Auswertung aber auch in der Früherkennung von Erkrankungen wie der koronaren Herzerkrankung konnte das bereits gezeigt werden.
Dr. Eimo Martens
TK: Wir haben als TK Niedersachsen ein Positionspapier zur Notfallversorgung herausgegeben. Sie sind Kardiologe - würden Sie sagen, dass kardiologische Patientinnen und Patientenvon einer digitalen Ersteinschätzung profitieren würden?
Dr. Martens: Die Notfallversorgung stelle eine zentrale Infrastruktur der Medizin der Zukunft dar und kann - wie in Ihrem Positionspapier zusammengefasst - nur mit digitalen Methoden an die aktuelle und zukünftige Situation angepasst werden.
Kardiologische Patientinnen und Patienten eignen sich besonders gut für eine digitale Ersteinschätzung, wir konnten mit einem KI Modell für die Vorhersage der koronaren Herzerkrankung bereits zeigen, dass die KI gestützte Anamnese die Vorhersage, ob eine koronare Herzerkrankung vorliegt oder nicht verbessern kann. Zudem können Patientinnen und Patienten mit kardiologischen Krankheitsbildern besonders gut mit einfachen Sensoren wie einem SmartWatch EKG o.ä. in regionalen Gesundheitszentren ersteingeschätzt werden und so kann zusätzlich die akute Diagnostik verbessert werden.
TK: Remote Monitoring spielt eine zentrale Rolle, besonders bei chronischen Erkrankungen oder in abgelegenen Gebieten. Haben Sie ein Beispiel für uns, wo dies schon jetzt gut eingesetzt werden kann? Welche Vorteile sehen Sie für Patientinnen und Patienten sowie medizinisches Personal?
Dr. Martens: Die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen stellt einen erheblichen Workload in den Arztpraxen und Kliniken dar. Im Bereich der schweren Herzinsuffizienz konnte bereits lange bewiesen werden, dass durch das Remote-Monitoring (z.Bsp. von EKG, Blutdruck und Gewicht) das Überleben von Patientinnen und Patienten verbessert und Arztkontakte sowie Hospitalisierungen vermietden werden können und das auch noch bei Reduktion der Kosten. Seit 2022 ist dies auch in der Vergütung etabliert.
Betrachtet man das Monitoring von Patientinnen und Patienten mit implantierbaren Defibrillatoren, ist die Überwachung dieser Geräte vollständig telemedizinisch möglich, damit könnten über 90 Prozent der Vor-Ort Kontrollen dieser Geräte bei besserer Qualität vermieden werden.
Dieses Modell ist auch für andere Erkrankungen wie beispielsweise Diabetes oder auch die chronische Lungenerkrankung (COPD) bereits technisch machbar und die Wirksamkeit bewiesen. Grundsätzlich sollte das Remote Monitoring bei allen Patientinnen und Patienten aus sogenannten disease Management Programmen für chronisch Kranke angeboten werden. Dies könnte die Versorgung weiter verbessern und die Arbeitsbelastung wie auch die CO2 Emissionen reduzieren.
Dies könnte die Versorgung weiter verbessern und die Arbeitsbelastung wie auch die CO2 Emissionen reduzieren.
TK: Sie setzen sich in verschiedenen Funktionen für die Telemedizin ein - auch in ländlichen Regionen in Niedersachsen wie zum Beispiel Varel. Welche konkreten Projekte oder Initiativen haben Sie dort unterstützt, um die medizinische Versorgung durch Telemedizin zu verbessern?
Dr. Martens: In Meiner Heimat Ostfriesland spielt die Versorgung auf dem Lande eine besondere Rolle. In Varel kam es zu einem Engpass in der medizinischen Versorgung in der Notaufnahme, sodass hier zwar Pflegekräfte, jedoch keine internistischen Ärzte mehr verfügbar waren. Wir haben dies kurzfristig mit einer 24/7 Tele-Notaufnahme aufgefangen unter Übertragung aller Echtzeit-Vitalparameter sowie aller in der Klinik erhobenen Daten. Dieses Modell hat Technisch in 100% der Fälle funktioniert, hatte eine hohe Akzeptanz und war für die Patientinnen und Patienten sicher. Die Klinik wurde leider aus anderen Gründen schlussendlich ganz geschlossen.
Das Modell lässt sich aber hervorragend auf regionale Gesundheitszentren übertragen in denen dann zukünftig zum Beispiel auch Comunity Health Nurses die telemedizinische Erstversorgung machen können. Das kann in strukturschwachen Regionen die Versorgung mit vorhandenen Mitteln bereits jetzt verbessern, es muss jedoch eine Vergütung hierfür herbeigeführt werden.
TK: Wir haben bereits über die Notfallversorgung in abgelegenen Gebieten, die besondere Anforderungen stellt, gesprochen. Wie kann Telemedizin hier helfen, die Reaktionszeit zu verkürzen und die Patientensicherheit zu erhöhen?
Dr. Martens: Grade diese Gebiete können direkt von telemedizinischen Lösungen profitieren, auf der einen Seite durch o.g. Gesundheitszentren aber auch die telemedizinische Notarzt-Versorgung. Diese kann auch Erstversorger wie zum Beispiel First-Responder unterstützen, ein wichtiger Standpfeiler der zukünftigen Versorgung werden die nicht ärztliche medizinischen Berufsgruppen wie Notfallsanitäter, Community Health Nurses, Physician Assitant oder Gesundheits- und Pflegefachkräfte spielen! Diese haben bereits heute qualifizierte Ausbildungen, welche wir weniger als in anderen Ländern nutzen. Hier muss politisch der Handlungsspielraum dieser Berufe gestärkt werden und mit telemedizinischer ärztlicher Unterstützung bei Bedarf können damit Versorgungslücken geschlossen werden. Im Einsatzgebiet von Offshore-Windparks konnten wir dies bereits aufzeigen.
Hier muss politisch der Handlungsspielraum dieser Berufe gestärkt werden und mit telemedizinischer ärztlicher Unterstützung bei Bedarf können damit Versorgungslücken geschlossen werden.
TK: Welche technischen Lösungen haben sich in Projekten, die Sie bisher betreut haben, besonders bewährt und wo sehen Sie noch Verbesserungsbedarf?
Dr. Martens: Wir arbeiten mit den unterschiedlichsten technischen Lösungen im Bereich Telemedizin, das bekannteste sind sicher die Video-Konsultationen oder Video-Visiten bei Patientinnen und Patienten. In fast allen unseren Projekten untermauern wir diese jedoch mit automatisch übertragenen Vitalparametern wie Blutdruck, dem EKG oder auch der Echtzeit-Sauerstoffsättigung. Diese technische Unterstützung hilft uns, Entscheidungen mit den gleichen Informationen wie vor Ort auch telemedizinisch zu treffen.
Zusätzlich zu diesen Einsatzgebieten, beschäftigen wir uns viel mit mobilen Sensoren wie SmartWatches oder anderen Wearables, welche die zuküfntige Versorgung und vor allem die Prävention deutlich verändern werden.
Wir können bei einem Anruf eines bei uns angebundenen Patientinnen und Patienten mit Mobiltelefon und SmartWatch zum Beispiel bereits heute auf die Gesundheitsdaten der letzten Tage inklusive des EKGs sowie der körperlichen Aktivität zugreifen und damit besser eine Diagnose stellen, als nur auf dem Boden des Gespräches. Dieser Bereich wächst und verändert sich schnell und auch hier spielen Moderne KI-Modelle zur Krankheitsfrüherkennung eine große Rolle.
Verbesserungsbedarf besteht vor allem in der Konnektivität der verschiedenen Sensoren mit Praxis und Kliniksystemen, hier müssen die Hersteller einheitlich - also interoperabel - Daten ausleiten und wir müssen die nationale Infrastruktur weiter ausbauen, um solche Daten auszutauschen. Daneben sind unsere Vergütungsmodelle - nicht zuletzt wegen der Sektorentrennung - viel zu langsam, um auf diese Modernisierungs-Aktivität zu reagieren!
TK: Zum Schluss ein Blick in die Zukunft der Telemedizin. Werden wir in Zukunft hauptsächlich Projekte sehen oder wird sich das Konzept überall durchsetzen?
Dr. Martens: Aktuell ist genau dies ein Problem, es kann in vielen Projekten erfolgreich gezeigt werden, dass wir die Versorgung verbessern und Kosten sowie Ressourcen - vom CO2 gar nicht zu sprechen - einsparen können. Die allermeisten Projekte schaffen es jedoch nicht in die Versorgung. Aus unserer Sicht müsste die Vergütung der nicht-digitalen Versorgung kontinuierlich diesen Projekten gegenübergestellt werden und bei einem Zusatznutzen durch die digitale Methode die Vergütung in regelmäßigen Abständen angepasst werden.
Das kann für das Beispiel Defibrillator-Kontrolle jedoch auch heißen, dass eine vor Ort Kontrolle nur noch vergütet wird, wenn in der telemedizinischen Nachsorge Auffälligkeiten vorlagen.
Wenn wir uns unsere Versorgungsstudien anschauen, gehe ich jedoch davon aus, dass der Druck durch die Veränderung der Versorgung so groß sein wird, dass viele dieser Projekte zukünftig in die Versorgung integriert werden, der Tele-Notarzt ist ein gutes Beispiel dafür, auch wenn dieses Projekt auch viele Jahre bis in die Versorgung gebraucht hat.
Zur Person
Dr. Eimo Martens ist gebürtiger Auricher und hat in München an der LMU Humanmedizin studiert. Dort hat er auch seine Assistenzarztzeit in der Inneren Medizin und Kardiologie verbracht, nach einer Station in Aichach/Friedberg ist er seit 2017 Leiter der Device-Therapie und Telemedizin am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München und dort unter anderem Leiter der Arbeitsgruppe Digitale Gesundheit, Telemedizin und mobile Sensortechnologie.