TK: Frau Hempen, Sie sind seit August die neue Leiterin der TK-Landesvertretung Niedersachsen. Herzlich willkommen! Können Sie uns etwas über Ihren Werdegang erzählen? Was hat Sie zu Ihrer aktuellen Position geführt?

Annette Hempen: Danke für das herzliche Willkommen! In meinem bisherigen beruflichen Leben habe ich bereits sehr unterschiedliche Perspektiven unseres Gesundheitswesens erfahren dürfen. Mein bisheriger Schwerpunkt lag in der Versorgung. Vor meinem "Wechsel an den Schreibtisch" und dem Studium habe ich zum Beispiel in der Endoskopie und in der Notaufnahme gearbeitet. Nach Stationen im MVZ -Management und Medizincontrolling war ich zuletzt Geschäftsführerin des Ärztenetzes MuM-Bünde. Außerdem war ich stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztenetze (AdA) und im Verwaltungsrat der Techniker Krankenkasse (TK) tätig. Einem "Steckenpferd" bin ich treu geblieben: im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin (DG Telemed) folge ich meiner Neigung zu Innovation, Digitalisierung und Telemedizin. Darüber hatte ich immer viele Berührungspunkte mit der TK, so dass ich mich freue, jetzt die Arbeit im Gesundheitswesen bei der TK in Niedersachsen mitgestalten zu dürfen.

TK: Sie kennen Niedersachsen schon gut. In vielen Teilen unseres Bundeslandes ist die Versorgungsrealität oft eine andere als in Großstädten. 

Hempen: Ich habe viele Jahre direkt an der Grenze zu Niedersachsen gewohnt. Niedersachsen ist meine zweite Wahlheimat und auch wenn ich natürlich noch nicht jede Ecke des Landes kenne, ist es mir inzwischen sehr ans Herz gewachsen. Die Versorgung in Niedersachsen hat einige Besonderheiten. Als Flächenland hat Niedersachsen unterschiedliche Versorgungslagen und daraus resultierende regionale Herausforderungen. Es ist mir ein großes Anliegen, diese besonderen Herausforderungen gemeinsam mit meinem Team und den Partnern in den Regionen anzupacken.

Es ist mir ein großes Anliegen, diese besonderen Herausforderungen gemeinsam mit meinem Team und den Partnern in den Regionen anzupacken. Annette Hempen, Leiterin TK-Landesvertretung Niedersachsen

Annette Hempen

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Leiterin der TK-Landesvertretung Niedersachsen.

TK: Welche drängendsten Herausforderungen sehen Sie derzeit im Gesundheitswesen, geht es hauptsächlich ums Geld, oder wo sind die Baustellen?

Hempen: Ich kann schon einige Jahre überblicken, und die aktuelle Situation erfordert aus meiner Perspektive unser Handeln dringend. Die Finanzierbarkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wird ohne strukturelle Veränderungen in der Versorgung zu noch mehr Beitragserhöhungen führen. Das ist für die Versicherten und die Wirtschaft inakzeptabel. Wir brauchen echte strukturelle Reformen, statt der geplanten Darlehen der Bundesregierung. Vorschläge für eine kurzfristige und langfristige finanzielle Entlastung der GKV hat die TK bereits vorgelegt.

Schlussendlich geht es in allen Bereichen um die Themen Ressourcenknappheit und Nachhaltigkeit für eine qualitativ gute Versorgung aller Versicherten. Die diversen Interessen der verschiedenen Akteure im Gesundheitswesen, der demographische Wandel und die starren sowie historisch gewachsenen Strukturen des Gesundheitssystems führen dazu, dass wir mit den vorhandenen Mitteln in vielen Bereichen nicht eine so gute Versorgung bekommen, wie wir sie haben könnten. Personalmangel in allen Versorgungsebenen und - berufen, Bürokratie und unzureichende digitale Strukturen führen zu Umständlichkeit und Ressourcenknappheit.

Schlussendlich geht es in allen Bereichen um die Themen Ressourcenknappheit und Nachhaltigkeit für eine qualitativ gute Versorgung aller Versicherten. Annette Hempen, Leiterin TK-Landesvertretung Niedersachsen

Pflege, deren Organisation und Finanzierbarkeit sind ebenfalls sehr große Herausforderungen für die Familien und unsere Gesellschaft. Um diese zu bewältigen, erfordert es schnelle, kreative strukturelle Veränderungen und den Willen zur Kooperation aller. Für eine sichere Zukunft braucht die Pflegeversicherung schnelle Entlastungen, finanzielle Stabilität, mehr Digitalisierung und weniger Bürokratie. In Niedersachsen müssen wir bei diesen Themen weiter vorangehen, da gerade im ländlichen Raum die Versorgung nicht immer auf dem Niveau ist, wie die Menschen sie brauchen.

TK:  Das System der ambulanten Versorgung soll reformiert werden: Zukünftig soll ein bestimmter Arzt/eine Ärztin, oft wäre dies der Hausarzt, die Versorgung noch stärker steuern als bisher. Wo sehen Sie mit dem Primärarztsystem Chancen, um die Patientinnen und Patienten besser in die richtige Versorgung zu steuern - insbesondere in einem Flächenland wie Niedersachsen?

Hempen: Die haus- und fachärztliche Versorgung ist in einigen Regionen nicht mehr dem Bedarf angemessen. Daher sind neue Konzepte notwendig. Die ambulante Versorgung muss ganzheitlich auf das Ziel einer passgenauen und damit effektiven und effizienten Versorgung hin transformiert werden. Die TK schlägt in der Diskussion um ein Primärarztsystem ein niedrigschwelliges Konzept vor, bei dem gilt: digital, vor ambulant, vor stationär. Die Versicherten sollen mithilfe digitaler Unterstützung verlässlich und am medizinischen Bedarf orientiert in die richtige Versorgungsstufe begleitet werden. 

Die TK schlägt in der Diskussion um ein Primärarztsystem ein niedrigschwelliges Konzept vor, bei dem gilt: digital, vor ambulant, vor stationär. Annette Hempen, Leiterin TK-Landesvertretung Niedersachsen

Ohne eine Anpassung der Prozesse erscheint die Idee des Primärarztsystems nicht realistisch. Wenn man jedoch gleichzeitig zu einer Entlastung der Praxen durch die Übernahme von Aufgaben durch andere Berufsgruppen kommt, und zu einer Vereinfachung von Prozessen durch digitale Lösungen, kann ein solches System erfolgreich sein. In anderen Ländern ist diese Art der Versorgung die Regel. 

Digitale Lösungen können auch Patientinnen und Patienten unterstützen, den Pfad durch unser komplexes System zu finden. Oft können Wege vermieden und Zeiten bis zur richtigen Diagnose, Therapie und Versorgungsform abgekürzt werden. Das wird das System entlasten und Patientinnen und Patienten in ihrer Kompetenz stärken.

TK: Seit Jahren reden wir über die Digitalisierung im Gesundheitssystem, nun kommt endlich etwas PS auf die Straße. Die elektronische Patientenakte ist bundesweit ausgerollt und das e-Rezept funktioniert mittlerweile richtig gut. Welche Rolle spielt die Digitalisierung Ihrer Meinung nach in der zukünftigen Gesundheitsversorgung?

Hempen: Digitalisierung ist ein wichtiger Schlüssel zur Bewältigung unserer Herausforderungen im Gesundheitswesen. Sie ist ein wichtiges Hilfsmittel, um unsere vorhandenen wertvollen Ressourcen wie Personal, Zeit und Fachkompetenz adäquat zur Verfügung zu stellen. Digitalisierung kann Prozesse vereinfachen und kann in vielerlei Hinsicht zu mehr Patientenorientierung führen und für mehr Teilhabe sorgen. Sie kann uns alle entlasten und dann, auch wenn das paradox klingt, für mehr Menschlichkeit sorgen, weil individuelle Behandlungen möglich sind und mehr Zeit für persönliche Ansprache. 

Digitalisierung kann Prozesse vereinfachen und kann in vielerlei Hinsicht zu mehr Patientenorientierung führen und für mehr Teilhabe sorgen. Annette Hempen, Leiterin TK-Landesvertretung Niedersachsen

TK: Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Haben Sie schon einen Lieblingsort in Hannover? Was mögen Sie besonders an den Niedersachsen? 

Hempen: Oh, das ist schwer, Hannover ist so vielseitig. Prinzipiell zieht es mich als Hobby- Musikerin immer in die Oper, und der Opernball in Hannover lässt dieses wunderschöne Gebäude jedes Jahr in neuem Glanz erstrahlen. Der Maschsee ist aber auch gerade bei schönem Wetter wundervoll und die Herrenhäuser Gärten liebe ich auch sehr, auch wenn es gerade kein Fest dort gibt.

An den Niedersachen mag ich ihre pragmatische und bodenständige Art an Dinge heranzugehen, das entspricht ganz meinem Naturell, ich bin in einem kleinen Dorf mit 3.000 Einwohnern aufgewachsen. In Niedersachsen wird manchmal "einfach gemacht" - und das über politische oder institutionelle Grenzen hinweg, weil es notwendig ist. Das gefällt mir sehr und ich würde mich da sehr gerne in der Gemeinschaft der Willigen und Macherinnen und Macher einfinden.