TK: Als ehrenamtliche Hospizbegleiterin konfrontieren Sie sich mit einem Thema, vor dem viele Menschen die Augen verschließen: dem Tod. Wie kamen Sie dazu, ehrenamtlich im Hospiz zu arbeiten?

Sabine Naumann: Als junge Frau habe ich meinen Vater in den Stunden begleitet, als er starb, und fühlte mich damit komplett überfordert. Später habe ich in meinem Beruf als Kinderphysiotherapeutin in einer Kinderklinik schwerstkranke Kinder bis zum Tod begleitet und die Erfahrung gemacht, dass Eltern und Angehörige den Tod eines Kindes nicht auf sich alleine gestellt durchstehen sollten. Es ist fast überlebenswichtig für sie, dass jemand für sie da ist, eine Vertrauensperson, die sie unterstützt.

Diese Erfahrungen waren für mich der Auslöser, das Thema Hospizbegleitung konkreter anzugehen. Ich wollte einerseits selbst mit dem Abschiednehmen besser klarkommen, andererseits Angehörige in dieser Lebenssituation unterstützen. Daher entschloss ich mich im Jahr 2003, eine Ausbildung zur ehrenamtlichen Kinderhospizbegleiterin zu absolvieren. Das war rückblickend genau der richtige Schritt, der mich auch persönlich weitergebracht hat. Heute kann ich mit dem Tod viel besser umgehen. 

Eine Ausbildung zur ehrenamtlichen Kinderhospizbegleiterin zu absolvieren war ein Schritt, der mich auch persönlich sehr weitergebracht hat. Heute kann ich mit dem Tod viel besser umgehen. Sabine Naumann

Sabine Naumann

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Ehrenamtliche Hospizhelferin

TK: Wie gut fühlten Sie sich durch den Vorbereitungskurs für Ihre Arbeit gerüstet?

Naumann: Auch wenn ich zuvor schon viele Jahre in der Klinik und dort auch auf der Intensivstation mit schwerstkranken Kindern gearbeitet habe, war die Ausbildung wertvoll für mich. Sie hat mir Selbstvertrauen gegeben und mich darin bestärkt, dass ich es physisch und psychisch leisten kann, sterbende Menschen zu begleiten. Hilfreich war auch, dass unsere individuellen persönlichen Erfahrungen in dieser Vorbereitungszeit aufgearbeitet wurden. So konnte ich mich viele Jahre später mit der damals schwierigen Situation am Sterbebett meines Vaters versöhnen. 

Ich lernte, dass man am Sterbebett nichts falsch machen kann, und dass es vor allen Dingen wichtig ist, den oder die Sterbende nicht allein zu lassen. Als ich die Ausbildung beendet hatte, hatte ich einerseits sehr viel über mich selbst gelernt, habe aber auch gespürt, dass ich bereit bin, anderen Menschen in dieser schwierigen Situation zur Seite zu stehen.

Dennoch war mein Weg bis zur aktiven Arbeit als ehrenamtliche Hospizbegleiterin noch lang. Erst etwa zehn Jahre später begann ich nebenberuflich im Wiesbadener Kinderhospiz Bärenherz zu arbeiten. Nachdem ich jahrzehntelang in meinem Hauptberuf mit Kindern gearbeitet hatte, wollte ich auch im Hospiz mit Kindern arbeiten.

TK: Wie sieht Ihre Tätigkeit als Hospizhelferin aus?

Naumann: Mehr als acht Jahre lang habe ich eine Familie begleitet, die jetzt im Abstand von wenigen Jahren das zweite Kind verloren hat. Beide Kinder haben an derselben schweren Erkrankung gelitten und beide Male haben wir das Abschiednehmen gemeinsam durchgestanden und werden jetzt auch für das zweite verstorbene Kind wieder gemeinsam ein Bäumchen im Lebenswäldchen des Kinderhospizes Bärenherz pflanzen. Da ich die Familie nun schon viele Jahre und beide Kinder vom Zeitpunkt ihrer Geburt an kannte, sind wir uns mittlerweile sehr freundschaftlich verbunden und teilen viele gemeinsame Erinnerungen. Wir werden zu gegebener Zeit im gemeinsamen Gespräch klären, wie es weitergeht und ob ich die Familie zu bestimmten Anlässen weiterhin begleiten werde. 

 Seit 2002 konnten Eltern, deren Kinder im Kinderhospiz Bärenherz begleitet wurden, in einem Lebenswäldchen in Wiesbaden-Auringen einen Baum oder Rosenbusch pflanzen. Als das dortige Lebenswäldchen mit 50 Pflanzen an seine Grenzen stieß, wurde in Wiesbaden-Naurod eine weitere Gedenkstätte geschaffen, auf der 400 Bäume und Rosenbüsche Platz haben. Zweimal im Jahr finden in den Gärten Gedenkfeiern für die Kinder statt, die jeweils im letzten halben Jahr verstorben sind.

Der größte Teil unserer Arbeit ist nicht mit dem Sterben ausgefüllt, sondern mit dem Leben. Es gibt in der Begleitung der Kinder etliche gute und freudvolle Zeiten. Sabine Naumann

TK: Was brauchen Menschen am Ende ihres Lebens und wie können sie den Angehörigen helfen?

Naumann: Wenn wir eine neue Familie genannt bekommen, die Hilfe braucht, ist es für uns Ehrenamtliche wichtig zu klären, ob die Chemie stimmt und ein gegenseitiges Verständnis da ist. Ist das der Fall, müssen wir im nächsten Schritt erfassen, wie wir den Eltern, weiteren Angehörigen und dem Kind jeweils helfen können. Grundsätzlich ist jede Situation ganz individuell.

Manchmal können wir unterstützen, indem wir - wenn das Vertrauen da ist - uns regelmäßig um das kranke Kind kümmern, damit die Eltern und Angehörigen eine Verschnaufpause von der oftmals intensiven Pflege haben. Ist das Elternhaus stabil aufgestellt, erleben die Kinder ihre letzten Lebenstage meist zu Hause und bekommen dort unseren Beistand. Es gibt aber auch die Möglichkeit für Eltern, die sehr stark gefordert sind, in eines unserer Eltern-Appartements einzuziehen und nur noch das zu übernehmen, was sie leisten können. Ein großer Teil der Betreuung und Pflege des Kindes wird dann vom Hospiz übernommen. 

TK: Ist es nicht besonders schwer, gerade junge Menschen leiden zu sehen?

Naumann: Gute und schlechte Zeiten gehören bei der Hospizbegleitung einfach mit dazu. Wenn ein Kind stirbt, ist das - bei aller professionellen Distanz, die wir Helferinnen und Helfer brauchen - immer wieder von neuem hochemotional und todtraurig, und ich denke häufig, Kinder sollten einfach nicht sterben. Ich kann diese schweren Situationen bewältigen, weil ich erlebe, dass ich den Eltern und den Angehörigen eine große Hilfe sein kann: Als starker Halt und Beistand, als Gesprächspartnerin oder einfach nur als mitfühlender Mensch. Ich halte eine Hand oder wir halten uns gegenseitig im Arm und weinen zusammen oder sprechen miteinander.

Eltern haben immer das Gefühl, an der Situation ist etwas falsch, und das ist es ja auch. Es fühlt sich einfach nicht richtig an, wenn ein Kind sterben muss. So entwickelt sich, während ich eine Familie begleite, mit der Zeit meistens eine starke, vertrauensvolle Bindung. Meine Arbeit ist aber nicht nur traurig. Denn der größte Teil unserer Arbeit ist nicht mit dem Sterben ausgefüllt, sondern mit dem Leben. Es gibt in der Begleitung der Kinder etliche gute und freudvolle Zeiten.

TK: Was macht diesen Teil der Arbeit aus?

Naumann: Natürlich gehört im Kinderhospiz das Sterben mit dazu, es geht uns aber auch darum, eine positive, angenehme Atmosphäre zu schaffen und den Kindern eine schöne Zeit zu bereiten, in der es ihnen richtig gut geht. Wenn man durch unser Haus geht, hört man sehr viel Lachen, Fröhlichkeit und Musik, man sieht Kinder, die spielen, die Spaß haben, gemeinsam Geschichten lesen und eine gute Zeit miteinander verbringen. Eine Besonderheit bei schwerstkranken Kindern ist auch, dass sie sich oftmals von einer gesundheitlichen Krise wieder überraschend gut erholen können. 

Aber natürlich ist - wenn ein Kind verstorben ist - die Stimmung dann gedämpfter. Dann geben wir der Trauer Raum und die Hospizmitarbeiterinnen und -mitarbeiter nehmen gemeinsam mit den Angehörigen am Kinderbett Abschied, wobei uns besondere Trauerrituale helfen. Beispielsweise werden Kerzen angezündet, eine Geschichte über das Leben des Kindes vorgelesen und das Lieblingskuscheltier ins Bett gelegt. Durch diesen feierlichen, individuellen und würdevollen Akt fühlen sich die Angehörigen getröstet, die wir - sofern es individuell gewünscht wird - auch bei der Bestattung unterstützen.

Ein weiterer wichtiger Teil meiner Tätigkeit ist die Bildungsarbeit. In unserer Gesellschaft verdrängen und tabuisieren wir üblicherweise den Tod, und ich bin der Meinung, dass wir viel mehr über das Sterben reden sollten, gerade auch mit jungen Menschen. Daher besuchen wir Schulen und berichten dort über unsere Arbeit, oder wir laden Schulklassen oder Firm- und Konfirmationsgruppen in unser Hospiz ein. Wenn wir den jungen Leuten dann unsere Räume zeigen und unsere Arbeit schildern, erfahren sie hautnah, dass ein Kinderhospiz eben nicht nur ein Ort des Sterbens, sondern auch ein Ort ist, dessen Tage mit Fröhlichkeit und Leben gefüllt sind. Oft bekommen wir von den jungen Menschen das Feedback, wie froh sie sind, dass sie einmal über das Thema sprechen durften.

TK: Ist die Auseinandersetzung mit Krankheit und Sterben für Sie nicht auch belastend?

Naumann: Viele sagen zu mir: "Ich verstehe gar nicht, dass du das leisten kannst". Ich empfinde das anders und meine Arbeit auch gar nicht als ein Können, sondern als ein inneres Bedürfnis und eine Verpflichtung, Menschen in einer extrem schweren Situation zu helfen. Zu diesem Punkt zu kommen, war für mich aber auch ein Entwicklungsprozess.

Und natürlich gibt es für mich und meine Kolleginnen und Kollegen immer wieder schwere und belastende Zeiten, aber ich weiß: Wir werden es immer wieder von neuem zusammen schaffen. Eine große Hilfe ist die Supervision, die alle Ehrenamtlichen in Anspruch nehmen können. In diesen Sitzungen sprechen wir Dinge an, die uns bedrücken und die wir mit den Kolleginnen und Kollegen diskutieren wollen, oder wir erzählen einfach von unseren Erfahrungen. Ich habe gelernt, dass es nichts gibt, was man in diesem Kreis nicht ansprechen kann, dazu gehören auch Unsicherheiten, ob man in einer bestimmten Situation richtig gehandelt hat. Mich in dieser Runde auszutauschen und meine Erfahrungen zu teilen, tut mir sehr gut. Einen guten Austausch erleben wir auch bei einem Stammtisch, den wir Ehrenamtliche jetzt ganz neu gegründet haben, um uns zu vielen Fragen unserer Einsätze auszutauschen.

Darüber hinaus gibt es vielfältige Möglichkeiten, wie die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer die Hospizarbeit unterstützen können und jede und jeder kann sich diejenige Arbeit aussuchen, die für sie oder ihn maßgeschneidert ist. Es gibt ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die regelmäßig mit Kindern spielen oder basteln, andere unterstützen bei einem Geschwisternachmittag oder bringen einfach nur einen selbstgebackenen Kuchen mit. Jede dieser Aktivitäten ist wichtig und willkommen.

TK: Gibt Ihnen die Tätigkeit als Hospizhelferin in gewisser Weise auch etwas zurück?

Naumann: Für uns ehrenamtliche Hospizhelferinnen und -helfer darf der Tod kein Tabuthema sein, sonst könnten wir mit dem Thema überhaupt nicht umgehen. Um dahin zu kommen, haben wir alle einen sehr hilfreichen Prozess durchlaufen, in dem wir uns mit dem Thema auseinandergesetzt und gelernt haben, dass das das Sterben auch miteinander gelebt werden muss.

Trauer, Tod und Sterben sind so wichtige, wesentliche Themen, von denen wir alle betroffen sind. Ich erlebe das als etwas sehr Positives, sich im Leben damit auseinanderzusetzen.
Sabine Naumann

Ich empfinde es heute als zutiefst befriedigend, dass ich bei diesem sehr emotionalen Thema wirklich immer wieder helfen kann, sonst würde ich diese Aufgabe gar nicht anfassen. Es gibt auch immer wieder Situationen, in denen ich selbst tief betroffen bin, aber dennoch öffnet sich immer ein Weg, wie ich unterstützen kann, in welcher Form auch immer. Da gibt es keine Norm, das ist ganz unterschiedlich, aber man kann immer etwas geben. Trauer, Tod und Sterben sind so wichtige, wesentliche Themen, von denen wir alle betroffen sind. Ich erlebe das als etwas sehr Positives, sich im Leben damit auseinanderzusetzen. Wenn mir jemand sagt: "Es war so gut, dass du da warst", dann bestärkt mich das auf diesem Weg.

TK: Es sind mehr Frauen als Männer, die sich als ehrenamtliche Helferinnen und Helfern engagieren. Warum, denken Sie, ist das so?

Naumann:  Wir sind insgesamt rund 70 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, davon ist etwa jeder zehnte ein Mann. Vielleicht wird die emotionale Komponente des Begleitens und Tröstens immer noch eher den Frauen zugedacht. Dabei ist das aus meiner Sicht wirklich kein geschlechtsspezifisches Talent!

Und ich muss auch sagen, dass ich von den Männern, die ich in der Hospizbegleitung kennengelernt habe, sehr beeindruckt bin. Einer unserer männlichen Kollegen hat vor einiger Zeit eine ganz großartige Erfahrung mit einem schwerstkranken Jungen gemacht, zu dem wir Frauen bislang nur wenig Zugang gefunden haben. Unser Kollege hat es aber geschafft, einen guten Kontakt zu dem Kind zu knüpfen, so dass es sich plötzlich geöffnet hat. Das zeigt, wie stark die Kinder, gerade auch die Jungen, im Hospiz von den männlichen Ehrenamtlichen profitieren.

Insgesamt sind es auch überwiegend eher wir älteren, erfahrenen Frauen und Männer, die sich dieser Aufgabe widmen. Vielleicht liegt das daran, dass uns unsere Lebenserfahrung hilft, innerlich stark genug zu sein, sich intensiver mit dem Tod auseinanderzusetzen. Ich bin mittlerweile im Ruhestand und diese Arbeit vergrößert meinen Erfahrungsschatz, aus dem ich schöpfe, jeden Tag.
 

Hintergrund

Die TK unterstützt mit ihrem jährlichen Zuschuss für die ambulante Hospizbegleitung vor allem die Ausbildung sowie Fort- und Weiterbildung der ehrenamtlichen Hospizhelferinnen und -helfer, die sterbende Menschen in ihrer letzten Lebensphase begleiten. Sie unterstützen die schwerstkranken Menschen und deren Angehörige zu Hause, in der Familie, in stationären Pflegeeinrichtungen oder in Krankenhäusern.

Das Kinderhospiz Bärenherz in Wiesbaden betreut, pflegt und begleitet Kinder mit einer lebensverkürzenden Erkrankung und deren Familien unabhängig von ihrer Kultur, Herkunft oder Religion. In ihrer Lage haben es nicht nur die erkrankten Kinder selbst schwer; auch Eltern und Geschwister, Verwandte sowie Freundinnen und Freunde stehen vor enormen Herausforderungen. Mit stationären und ambulanten pflegerischen und medizinischen Angeboten unterstützt das Kinderhospiz die betroffenen Kinder. Von der pädagogischen Begleitung der Geschwisterkinder und weiteren psychosozialen Angeboten profitiert die gesamte Familie.