Wir haben mit Dr. Kyra Schneider, Leiterin der Stabsstelle Patientensicherheit & Qualität am Universitätsklinikum Frankfurt, und mit Isabell Porth, Leiterin des hessischen Netzwerks der Patientensicherheitsbeauftragten, über ihre Arbeit gesprochen.

TK: Vor gut einem Jahr ist das bundesweit einmalige Netzwerk der hessischen Patientensicherheitsbeauftragten gegründet worden. Wie kam es zu dieser Initiative?

Dr. Kyra Schneider: Wir sind in Hessen in der glücklichen Situation, dass die Landespolitik das Thema Patientensicherheit in vielerlei Hinsicht befördert. Das Land setzt sich schon lange für eine Stärkung und stetige Verbesserung der Patientensicherheit und Qualitätssicherung im Krankenhaus ein. Im Jahr 2018 kam das damalige Sozialministerium mit der Frage auf unser Universitätsklinikum zu, ob wir Interesse hätten, ein Konzept zur Verbesserung der Patientensicherheit an hessischen Krankenhäusern zu erarbeiten. Und das hatten wir! Unser Gedanke war damals: Wir brauchen qualifizierte Mitarbeitende an den Kliniken, die eng an die Führungsspitze ihrer Häuser angebunden sind und in einem zweiten Schritt in einem Netzwerk zusammenarbeiten. Den Gedanken, die frisch qualifizierten Patientensicherheitsbeauftragten in einem Netzwerk zu organisieren, das den fachlichen Austausch untereinander fördert, hat das Ministerium frühzeitig aufgenommen.

Wir sind in Hessen in der glücklichen Situation, dass die Landespolitik das Thema Patientensicherheit vielseitig  befördert. Dr. Kyra Schneider 

Im nächsten Schritt haben wir ein umfassendes Curriculum für die Qualifizierung der künftigen Patientensicherheitsbeauftragten erarbeitet und in unseren Kursen insgesamt 130 Patientensicherheitsbeauftragte qualifiziert. Eine Bestätigung, dass wir auf dem richtigen Weg sind, war für uns, dass in den Kursen die gesamte Bandbreite der hessischen Krankenhäuser vertreten war: kleine und große Häuser, kommunale und private Kliniken. Für alle ist das Thema Patientensicherheit wichtig.

Dr. Kyra Schneider

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Leiterin der Stabsstelle Patientensicherheit & Qualität am Universitätsklinikum Frankfurt

TK: Heute gibt es an jedem der aktuell 134 hessischen Krankenhäuser eine oder einen Patientensicherheitsbeauftragten. Im Netzwerk arbeiten bislang knapp 90 Personen mit. Was könnten die Hürden sein, weshalb die Runde noch nicht ganz vollständig ist?

Isabell Porth: Für uns ist es ein großer Erfolg, dass im ersten Jahr, in dem unser Netzwerk jetzt besteht, schon zwei Drittel der Patientensicherheitsbeauftragten in unserer Initiative aktiv mitarbeiten. Jetzt ist es unser Anliegen, mit der hohen Qualität unserer Veranstaltungen für unsere Sache zu werben und dadurch weitere potenzielle Teilnehmende auf unser Netzwerk aufmerksam zu machen.

Es ist ein großer Erfolg, dass im ersten Jahr schon zwei Drittel der Patientensicherheitsbeauftragten in unserer Initiative aktiv mitarbeiten. Isabell Porth

Dr. Kyra Schneider: Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es nicht nur unsere Landesinitiative für Patientensicherheit gibt. Einige Häuser beschäftigen sich in ihren Konzernstrukturen ebenfalls intensiv mit dem Thema. Dennoch ist es gut und sinnvoll, dass auch das Ministerium die Krankenhäuser immer wieder auf unsere Initiative hinweist.

TK: Die Patientensicherheitsbeauftragten kommen aus ganz unterschiedlichen Professionen mit unterschiedlichen beruflichen Biografien. Zudem hat jedes Krankenhaus eine eigene Herangehensweise an das Thema Patientensicherheit. Was bedeutet diese Heterogenität für Ihre Arbeit?

Dr. Kyra Schneider: Die Heterogenität zeigte sich von Anfang an in unseren Qualifizierungskursen mit Teilnehmenden aus allen Bereichen, die sowohl klinisch am Bett oder in der Pflege tätig sind, aber auch im administrativen Bereich. Von der Pflegefachkraft bis zum Krankenhausgeschäftsführer oder bis zur Chefärztin waren auch alle Hierarchieebenen vertreten. Sämtliche Personen in einer gemeinsamen Schulung abzuholen, ist immer wieder eine große Herausforderung. Am Ende bekommen wir dann aber immer wieder das Feedback, dass die Teilnehmenden gerade aufgrund der bunten Durchmischung viel voneinander lernen. Gerade in diesem Jahr hatten wir wieder einen Kurs, in den Führungskräfte, die zuvor bereits teilgenommen hatten, explizit Mitarbeitende gesandt haben. Das zeigt, dass sie die Bedeutung der Patientensicherheit erkannt haben und das Thema in ihrem Haus auf eine breitere Basis stellen wollen.

Die Verschiedenheit der Teilnehmenden zeigt aber auch, dass Patientensicherheit über alle Bereiche und Hierarchien hinweg alle Mitarbeitenden eines Hauses betrifft. Darin liegt auch eine besondere Chance in unserem wettbewerbsorientierten Gesundheitswesen. Das Thema Patientensicherheit ermöglicht Kooperation und ist von Wettbewerbsfragen losgelöst.

Isabell Porth: Auch bei unseren regelmäßigen Netzwerktreffen erleben wir diese Heterogenität, die als sehr angenehm wahrgenommen wird. Wir haben nach meinem Empfinden ein sehr gutes Miteinander und eine positive Arbeitsatmosphäre.

TK: Was sind die virulentesten Fragen, die Sie bei den Treffen thematisieren?

Dr. Kyra Schneider: Es ist unser Bestreben, in unseren Qualifizierungsveranstaltungen immer wieder zu zeigen, wie sehr man als Patientensicherheitsbeauftragter Netzwerker innerhalb der eignen Organisation sein muss, um seinen Job gut ausüben zu können. Niemand kann alle Risiken in ihrer Komplexität durchschauen.

Isabell Porth: In unseren Veranstaltungen beobachten wir immer wieder, dass viele Teilnehmenden ihre Rolle als Patientensicherheitsbeauftragte noch suchen und sich mit grundlegenden Fragen beschäftigen, wie viel Budget ihnen zur Verfügung stehen wird oder welchen Anteil ihrer Arbeitszeit sie der Patientensicherheit widmen können und ob sie an den wichtigen Gremien beteiligt sind, wie beispielsweise einem regelmäßigen Austausch bzw. Jour fixe mit der Geschäftsführung.

Dr. Kyra Schneider: Damit die Patientensicherheitsbeauftragten in ihren Häusern eine gute Arbeit leisten können, ist es extrem wichtig, dass ihr Arbeitsauftrag klar formuliert ist und dass sie in einer guten und strukturierten Kommunikation mit den Führungskräften stehen. Es sollte auch geklärt sein, an welchen Gremien sie partizipieren und in welche Informationskanäle sie idealerweise einbezogen werden. Viele sind "Einzelkämpfer" in ihrem Haus. Mit unserem Netzwerk möchten wir ihnen den Rücken stärken und sie dabei unterstützen, ihre Rolle zu entwickeln. 

Viele sind "Einzelkämpfer" in ihrem Haus. Mit unserem Netzwerk möchten wir ihnen den Rücken stärken. Dr. Kyra Schneider

Übrigens gibt es auch in den Niederlanden ein Netzwerk der Patientensicherheitsbeauftragten, sie werden dort als "life vests", also "Rettungsweste" bezeichnet, was ich sehr passend finde. Sie tragen dazu bei, Risiken und Fehler in der Behandlung aufzuarbeiten, Quellen für Fehler und Beinahe-Fehler zu entdecken und zu beseitigen und unterstützen den Prozess, wie eine gute Fehlerkultur im Haus etabliert werden kann. Eine gute Sicherheitskultur in einem Krankenhaus entsteht aber nicht auf Knopfdruck. Sie muss sich entwickeln, das braucht Zeit. Eine weitere wichtige Aufgabe, die zunehmend mehr ins Blickfeld kommt, ist, dass wir uns um die sogenannten "Second Victims" kümmern. Also um diejenigen Personen, die in einen Fehler oder Beinahe-Fehler involviert sind. Sie können unter erheblichen posttraumatischen Belastungsstörungen leiden.

TK: Wie hat sich die Sicherheitskultur in den hessischen Krankenhäusern im vergangenen Jahr verändert?

Dr. Kyra Schneider: Ich bilde nicht nur die Patientensicherheitsbeauftragten, sondern seit vielen Jahren auch klinische Risikomanagerinnen und -manager aus und meine Erfahrung ist, dass es in den Häusern nicht "die eine Sicherheitskultur" gibt. Manche Kliniken haben eine konservativere Leitung, andere sind offener. Gerade die jüngere Generation in den Klinikleitungen nimmt nach meinem Eindruck das Thema Patientensicherheit sehr ernst und geht proaktiv damit um. Wir finden vielleicht noch nicht in jedem Haus den Idealzustand vor, aber es gehört ja auch zu unseren Aufgaben, die Krankenhäuser bei der Weiterentwicklung ihrer Sicherheitskultur aktiv zu unterstützen. 

Es gehört zu unseren Aufgaben, die Krankenhäuser bei der Weiterentwicklung ihrer Sicherheitskultur aktiv zu unterstützen. Dr. Kyra Schneider

Als sehr positiv nehme ich wahr, dass bei Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen im Universitätsklinikum Frankfurt, in denen über Komplikationen bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten gesprochen wird, die überwiegende Zahl der Teilnehmenden in der Evaluation berichtet, dass sie sehr offen sprechen können. Austauschformate wie diese sind ein guter Ort, um über Dinge zu reden - oder auch um zu lernen, sie anzusprechen - die nicht so gut gelaufen sind, wie man sich das wünscht. In unserem Universitätsklinikum moderiere ich bei Bedarf Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen, in denen wir die unterschiedlichen Perspektiven der Mitarbeitenden aus mehreren involvierten Abteilungen abgleichen. Dabei kommen wir oft zu wertvollen Erkenntnissen. Daraus können wir enorm viel lernen, um Patientinnen und Patienten beim nächsten Mal besser zu behandeln.

Eine wichtige Erkenntnis ist immer wieder: Reden hilft. Das klingt banal, aber eine gute Kommunikation sowohl während der Behandlung als auch bei der Aufarbeitung eines Falls, bei dem es Komplikationen gab, ist das A und O. Dies und ein kritischer Blick auf die Organisationsstrukturen eines Krankenhauses sind die beiden wichtigsten Themen, die uns umtreiben.

TK: Wie läuft der Austausch im Netzwerk der hessischen Patientensicherheitsbeauftragten in der Praxis ab?

Isabell Porth: Es gibt den persönlichen und virtuellen Austausch bei unseren Netzwerktreffen, Fortbildungen und Workshops. Die Patientensicherheitsbeauftragten können sich außerdem regelmäßig auf unserer Internetseite zur Patientensicherheit informieren und dort auch einen geschütztem Login-Bereich nutzen. Zudem gibt es einen Newsletter zu aktuellen Entwicklungen. Besonders gefreut haben wir uns über die Initiierung von drei Arbeitsgruppen innerhalb unseres Netzwerks. Eine dieser Gruppen beschäftigt sich mit dem Thema "Umgang im Schadensfall - Human Factors". Ziel ist es, die menschlichen Faktoren zu identifizieren und zu analysieren, die zu einem Patientenschaden geführt haben, und Maßnahmen zur Verbesserung der Patientensicherheit zu entwickeln.

In einer zweiten Arbeitsgruppe beleuchten wir spezifische Aspekte der Patientensicherheit im psychiatrischen Bereich. Die Mitglieder dieser Gruppe arbeiten gemeinsam an Lösungsansätzen, um die Sicherheit und Versorgung von Patienten in psychiatrischen Einrichtungen zu optimieren. Und eine dritte Gruppe konzentriert sich darauf, die Bedürfnisse sehbeeinträchtigter Patienten im Krankenhausumfeld zu verstehen und Maßnahmen zu entwickeln, die eine barrierefreie Versorgung gewährleisten. Im Juni dieses Jahres findet unser erstes überregionales Netzwerktreffen aller Patientensicherheitsbeauftragten in Frankfurt statt. Wir planen eine Mischung aus Vorträgen und freiem Austausch und die drei Arbeitsgruppen stellen vor, an welchen Themen sie gerade arbeiten. Das überregionale Netzwerktreffen soll dem Kennenlernen aller Mitglieder dienen, den Austausch fördern und Vertrauen schaffen.

TK: Hessen ist mit seinem bundesweit einzigartigen Netzwerk Modellregion. Wie viel Aufmerksamkeit ruft das Netzwerk hervor?

Wir sind mit unserer hessischen Patientensicherheitsverordnung und unserem Netzwerk in einer außergewöhnlich glücklichen Situation. Dr. Kyra Schneider

Dr. Kyra Schneider: Wir sind mit unserer hessischen Patientensicherheitsverordnung und unserem Netzwerk in einer außergewöhnlich glücklichen Situation. Eine Besonderheit in Hessen ist auch, wie intensiv wir vom Ministerium, aber auch von der Hessischen Krankenhausgesellschaft und der Landesärztekammer Hessen in unserer Arbeit unterstützt werden. Von Experten aus anderen Bundesländern, auch aus dem Ausland, werde ich immer wieder gefragt, wie unsere Arbeit läuft, und mir wurde auch schon gesagt, dass wir durchaus beneidet werden.

Hintergrund

Hessen ist das einzige Bundesland, das im Gesundheitsministerium über ein Referat für Qualitätssicherung und Patientensicherheit verfügt. Mit Inkrafttreten der Patientensicherheitsverordnung (PaSV) im Oktober 2019 wurden alle hessischen Krankenhäuser verpflichtet, qualifizierte Patientensicherheitsbeauftragte zu benennen die sich - bundesweit einmalig - zu einem Netzwerk zusammengeschlossen haben.