TK: Herr Dr. Wegner, wieso ist es in Ihren Augen sinnvoll, in Apotheken zu impfen?

Dr. Christian Wegner: Wir tragen dazu bei, die Impfquoten zu erhöhen. Apotheken können ein niederschwelliges Angebot machen, um Menschen zu erreichen, die sich sonst nicht impfen lassen würden. Das ist mit Zahlen aus anderen Ländern belegt. In Irland beispielsweise wurde nachgewiesen, dass Impfangebote in Apotheken die Impfquoten steigern, ohne dass die Impfzahlen bei Ärztinnen und Ärzten zurück gehen. Unsere eigenen Erfahrungen legen das auch nahe.

Außerdem kommen Menschen zu uns, die zwar eine feste Hausärztin haben, sich aber nicht im Wartezimmer anstecken wollen.
Dr. Christian Wegner 

TK: Wieso? Wer lässt sich typischerweise in Ihren Apotheken impfen?

Dr. Wegner: Etwa 200 der rund 1.000 Menschen, die sich in der vergangenen Saison in einer unserer Apotheken in Jena, Apolda oder Naumburg gegen Grippe oder Covid 19 haben impfen lassen, haben danach an einer kurzen Befragung teilgenommen. Daraus wissen wir, dass sich im Wesentlichen drei Gruppen bei uns impfen lassen: Erstens Menschen, die keinen Hausarzt vor Ort haben. In Jena können das zum Beispiel Studentinnen und Studenten sein, ohne sonstigen Bedarf der medizinischen Versorgung. Aber auch Menschen, die keinen Hausarzt finden, kommen zum Impfen in die Apotheke.

Dr. Chris­tian Wegner

Dr. Christian Wegner, Inhaber der Saale-Apotheke in Jena und Geschäftsführer der Medipolis Unternehmensgruppe Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
Inhaber der Saale-Apotheke in Jena und Geschäftsführer der Medipolis Unternehmensgruppe

Außerdem kommen Menschen zu uns, die zwar eine feste Hausärztin haben, sich aber nicht im Wartezimmer anstecken wollen. Die dritte relevante Gruppe sind die, die bereits positive Erfahrungen mit Impfungen in der Apotheke gemacht haben.

TK: Was sagen denn die Hausärztinnen und Hausärzte dazu, die typischerweise impfen?

Dr. Wegner: Wir haben auf der kollegialen Ebene mit den umliegenden Ärzten noch an keiner Stelle Widerstand oder Kritik gehört. Im Gegenteil: Die, die sich geäußert haben, fanden es gut, dass auch wir in den Apotheken impfen. Für die Covid 19 Impfungen wurden uns sogar Menschen geschickt. Die logistische Herausforderung, dass man sechs Patientinnen und Patienten an einem Tag impfen muss, um den wertvollen Impfstoff nicht verfallen zu lassen, ist für einige Ärztinnen und Ärzte schwierig umsetzbar. Wir als Apotheken haben an unseren Impftagen einen Terminprozess, der unabhängig von der kurzfristigen Versorgung erkrankter Menschen ohne Verzögerungen ablaufen kann. Verspätungen gibt es eigentlich nur, wenn Termine von den Klientinnen und Klienten nicht eingehalten werden.

TK: Impfen in der Apotheke geht nicht überall. Was sind die Voraussetzungen, damit in Apotheken geimpft werden kann?

Die Zukunft der Apotheken liegt für mich aber in Prävention, Beratung und Aufgaben, bei denen die Apotheken schon jetzt unentbehrlich sind. 
Dr. Christian Wegner

Dr. Wegner: Es gibt strukturelle Voraussetzungen, wie zum Beispiel einen separaten Raum und Hygienevorgaben. Dazu kommen die fachlichen Erfordernisse. Apothekerinnen und Apotheker, die impfen wollen, müssen eine Weiterbildung absolvieren, die aus unterschiedlichen, von der Bundesapothekerkammer definierten Modulen besteht. Dazu gehört eine praktische Ausbildung, die ärztlich geleitet werden muss. Wenn man die durchlaufen hat, darf man impfen und das auch abrechnen.

Dafür ist meines Erachtens auch ein gewisses Selbstverständnis der Apothekerinnen und Apotheker nötig. Will ich ein Logistikdienstleister für Arzneimittel mit entsprechender Beratung sein oder möchte ich ein relevanter Gesundheitsakteur sein, um die Herausforderungen unserer Zeit zu lösen, der sich mit seinen Möglichkeiten an der medizinischen Versorgung und Prävention beteiligt? Wir haben uns für letzteres entschieden.

Immer mehr Apothekerinnen und Apotheker scheinen das ähnlich zu sehen. Vor kurzem fand in unserer Medipolis Akademie unser jährlich durchgeführter Weiterbildungskurs zum Impfen für Apotheker statt. Zum ersten Mal war der Kurs unter Einbeziehung der Landesapothekerkammer auch für Kollegen aus anderen Apotheken geöffnet. Er war ausgebucht.

TK: Warum ist das Impfen in Apotheken in Thüringen noch nicht so verbreitet wie in anderen Bundesländern oder Ländern?

Dr. Wegner: Das Thema wurde in den Versammlungen der Landesapothekerkammer Thüringen ausgiebig und durchaus kontrovers diskutiert. Das finde ich prinzipiell gut. Die einen sind der Meinung - auch ich - dass sich die Apotheken einem gesetzlich und vertraglich formulierten Versorgungsauftrag nicht entziehen und sich am gesamtgesellschaftlichen Ziel, Prävention durch Impfungen zu steigern, beteiligen sollten. Einige andere hatten in der Vergangenheit Bedenken bezüglich einer möglichen Konkurrenz zu den Ärzten, in die niemand von uns treten möchte, und waren deswegen vielleicht zögerlicher.

Ich gehe davon aus, dass wir die Bedenken immer mehr auflösen können, zumal Dr. Annette Rommel [Anm. d. R.: erste Vorsitzenden des Vorstandes der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen] sich in einer der vergangenen Kammerversammlungen öffentlich sehr positiv dazu geäußert hat, dass die Apotheken jetzt auch impfen.
Gleichzeitig hat nicht jede Apotheke die strukturellen Voraussetzungen und personellen Möglichkeiten fürs Impfen.

Wir können aktuell zwar sehen, welche Impfungen Patientinnen und Patienten bekommen haben, eine verabreichte Impfung aber nicht eintragen.
Dr. Christian Wegner

TK: Welche Rahmenbedingungen sind nötig, damit Sie in den Apotheken mehr zum "Impfen nebenbei" beitragen können, wie es sich unter anderem Katharina Schenk, die Thüringer Gesundheitsministerin, wünscht?

Dr. Wegner: Wir brauchen zuallererst Personal. Zur Frage, wie wir die pharmazeutische Ausbildung in Thüringen attraktiv machen, gehört meines Erachtens auch der Neubau des pharmazeutischen Institutes hier in Jena. Seit ich im Jahr 1992 mit dem Pharmaziestudium angefangen habe, wird schon darüber diskutiert.

Dann ist es wichtig, dass die ausgebildeten Pharmazeuten auch in den Apotheken arbeiten und nicht von der Industrie, von Krankenhäusern und zum Teil auch von Kassen abgeworben werden. Bei diesem Aspekt kommt dann das Geld bzw. Vergütungsstrukturen ins Spiel.

Ein weiterer Aspekt ist das bereits erwähnte Bild und auch Selbstbild von Apotheken. Arzneimitteldistribution mag aktuell noch die Hauptaufgabe sein, die Zukunft der Apotheken liegt für mich aber in Prävention, Beratung und Aufgaben, bei denen die Apotheken schon jetzt unentbehrlich sind. Dazu gehören Individualrezepturen und die Koordination der ambulanten Schwerstkrankenversorgung mit apothekenpflichtigen Therapien.

Apotheken können und sollten in der Gesundheitsversorgung viel mehr mitgedacht werden. Schnelltests oder assistierte Telemedizin könnten Apotheken zum Beispiel auch leisten.

Was strukturell und technisch unbedingt nachgeschärft werden muss, sind Schreibrechte für die Apotheken bei der elektronischen Patientenakte (ePA). Wir können aktuell zwar sehen, welche Impfungen Patientinnen und Patienten bekommen haben, eine verabreichte Impfung aber nicht eintragen.

Auch die Protokolle aus den pharmazeutischen Dienstleistungen gehören unbedingt in die ePA, damit Ärztinnen und Ärzte sie unkompliziert in ihre Bewertungen einbeziehen können. Das mag wie ein kleines technisches Detail klingen, ist aber auch Symptom dafür, dass wir Gesundheitsversorgung stärker zusammen denken müssen.

Zur Person

Dr. Christian Wegner ist Inhaber der Saale-Apotheke in Jena und Geschäftsführer der Medipolis Unternehmensgruppe. Mit seiner langjährigen Erfahrung in der pharmazeutischen Versorgung gestaltet er innovative Lösungen für eine zukunftsorientierte Patientenbetreuung.