Dr. Bettina Naumann, Thüringer Amtsärztin und stellvertretende Vorsitzende des Thüringer Landesverbandes der Ärzte und Zahnärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst, spricht im Interview übers Impfen, fehlende Daten und die nötige digitale Vernetzung.

TK: Frau Dr. Naumann, was bedeutet impfen für Sie?

Dr. Bettina Naumann: Impfen ist die wichtigste präventive Maßnahme für Infektionskrankheiten, die man mit Impfungen verhindern oder abschwächen kann. Sie ist seit über 100 Jahren erfolgreich etabliert.

Wirklich gute Daten haben wir nur von den Einschulungsuntersuchungen für die etwa 6-jährigen Kinder.
Dr. Bettina Naumann 

Wir sind eine der 15 Gelbfieber-Impfstellen in Thüringen und das ist eine Sprechstunde, die ich sehr gern mache. Ich sehe dort Menschen, die gesund sind, Reisen vorhaben und sich schützen wollen.

Dr. Bettina Naumann

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Stellvertretende Vorsitzende des Thüringer Landesverbandes der Ärzte und Zahnärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst

TK: Wie zufrieden sind Sie mit den Impfquoten in "Ihrem" Landkreis, dem Saale-Holzland-Kreis?

Dr. Naumann: Bei der Masernimpfquote zum Beispiel haben wir jetzt, wie viele Landkreise, bei den Schulanfängern über 95 Prozent erreicht. Wir können also von einem gewissen Herdenschutz ausgehen und das freut mich.

Auch auf die meisten anderen Impfquoten können wir recht positiv schauen. Bei den neueren Impfungen, HPV und RSV zum Beispiel, müssen wir noch deutlich zulegen. Auch bei Gürtelrose könnten höhere Impfquoten viel Leid ersparen. Allerdings werden die Quoten dafür nicht zentral erfasst. Wirklich gute Daten haben wir nur von den Einschulungsuntersuchungen für die etwa 6-jährigen Kinder.

Das ist auch der Grund, aus dem ich eine große Befürworterin eines Impfregisters für die Gesundheitsämter bin. So etwas hatten wir früher, mussten es allerdings händisch pflegen.

Wir haben bisher keine technische Möglichkeit, auf die ePA-Daten zuzugreifen.
Dr. Bettina Naumann 

TK: Könnten die Daten aus der elektronischen Patientenakte (ePA) so ein Register füttern?

Dr. Naumann: Wenn wir an die gematik-Struktur angebunden wären, sicher. Aus der Arztpraxis könnten die Informationen problemlos auch an das wohnortzuständige Gesundheitsamt übermittelt werden.

Leider wurden die Gesundheitsämter bei der Telematik Infrastruktur (TI) nicht mitgedacht. Wir haben bisher keine technische Möglichkeit, auf die ePA-Daten zuzugreifen. Der ÖGD wird zu häufig vergessen. Das ist sehr schade. 
Wenn wir als Gesundheitsämter die Informationen hätten, könnten wir zum Beispiel Erinnerungen verschicken oder gezielte Impfangebote machen. Wüssten wir zum Beispiel, dass im SHK besonders wenige Menschen gegen FSME geimpft sind oder der Tetanusschutz bei vielen ausläuft, könnten wir Impftage speziell dafür anbieten.

Die Empfehlungen sind unverbindliche, selbst entworfene Zettel.
Dr. Bettina Naumann 

TK: Zu unserer Fachveranstaltung in Weimar fiel häufig die Formulierung, dass "mehr niederschwellige Gelegenheiten zum Impfen" geschaffen werden sollen. Was halten Sie davon und wie könnte der Öffentliche Gesundheitsdienst dazu beitragen?

Dr. Naumann: Wir machen das im Rahmen unserer Möglichkeiten bereits. Wir kontrollieren zu jeder Einschulungsuntersuchung und zu jeder Reihenuntersuchung in der Schule oder Kita den Impfstatus und geben die Impfempfehlung mit. Was mit den Empfehlungen gemacht wird, weiß ich nicht. Die Empfehlungen sind unverbindliche, selbst entworfene Zettel. Da sind wir wieder beim Thema Schnittstellen und mitgedacht werden im System.

Aus Weimar habe ich die Idee mitgenommen, auch im Berufsschulzentrum im Landkreis den Impfstatus anzuschauen und Möglichkeiten zur Nachimpfung anzubieten. An einem Gesundheitsnachmittag können wir das mit anderen Angeboten verbinden. Den Ansatz haben wir schon im Team besprochen und einen Termin mit dem Schulleiter für April 2026 vereinbart.

TK: Katharina Schenk, die Thüringer Gesundheitsministerin, stellt immer wieder heraus, wie wichtig sie einen starken ÖGD und höhere Impfquoten findet. Wie beurteilen Sie den ÖDG-Gesetzentwurf im Hinblick darauf?

Dr. Naumann: Das Ansinnen und die Grundidee unterstütze ich. Nun müssen wir die Voraussetzungen dafür angehen.

Als stellvertretende Vorsitzende des ÖGD Landesverband Thüringen glaube auch ich, dass wir in Thüringen ein Landesgesundheitsamt brauchen. Für den Gesetzentwurf sind wir damit leider bisher nicht durchgedrungen.

In einem Landesgesundheitsamt könnten bestimmte Aufgaben zentralisiert sein und wir hätten darin eine Fachaufsicht. Dort müssten Fachärzte für den ÖGD tätig sein und Durchsetzungsbefugnis haben. In einer Situation wie der Corona-Pandemie hätten wir so einheitliche Vorgaben machen können, was sicher auch zu mehr Akzeptanz geführt hätte.

Wenn wir als dritte Säule der Gesundheitsversorgung wahrgenommen und tätig werden sollen müssen wir technisch auch an Informations- und Abrechnungsmöglichkeiten angebunden sein.
Dr. Bettina Naumann 

Wenn so eine zentrale Stelle Aufgaben für die Gesundheitsämter übernehmen könnte, wäre das zum einen eine Entlastung, sodass wir uns um die regionalspezifischen Themen kümmern können. Zum anderen wäre die Fachexpertise für Themen, die in den Landkreisen eher vereinzelt auftreten und überall gleich ablaufen sollten, in einer Hand. Beispiele dafür sind die Untersuchungen bei Verbeamtungen, Dienstunfähigkeitsuntersuchungen oder auch Stellungnahmen für öffentliche Belange.

Es kann und muss nicht in jedem Gesundheitsamt ein Fachmann für Umweltmedizin oder Krankenhaushygiene sitzen. Gleichzeitig kann ich auch nach zwei Tagen Fachliteraturrecherche nicht die Qualität eines Gutachters erreichen. Sinnvoll ist dann jeweils eine Stelle für ganz Thüringen und die sollte an einem Landesgesundheitsamt sein.

Dann haben wir vielleicht auch Kapazitäten, um mehr für Gesundheitsvorsorge und Prävention im Landkreis zu tun und unter anderem mehr zu impfen, wie es richtigerweise im ÖGD-Gesetzentwurf vorgesehen ist.

TK: Was benötigen Sie noch von der Politik oder anderen Akteuren?

Dr. Naumann: Wenn wir als dritte Säule der Gesundheitsversorgung wahrgenommen und tätig werden sollen - und das wollen wir - müssen wir technisch auch an Informations- und Abrechnungsmöglichkeiten angebunden sein. Wir sehen aktuell keine Befunde oder Laborwerte, können keine Überweisungen ausstellen und nur beschränkt Impfstoff vom Land bestellen.

Es gibt eine Reihe von sicherlich guten Ideen im ÖGD-Gesetzentwurf, wie zum Beispiel das Weitervermitteln in Behandlungen. Allerdings kann ich mir in der aktuellen Systematik nicht vorstellen, wie das praktisch umzusetzen ist.

Digitalisierung im Gesundheitsamt heißt im Moment, dass wir die Unterlagen, die der Klient mitbringt, einscannen. Ich gebe Namen, Vornamen und Geburtsdatum händisch ein, weil ich kein Lesegerät für die Chipkarte habe. Das ist Ressourcenverschwendung. Es wäre viel einfacher, wenn wir an die TI angeschlossen wären und die Informationen von dort bekämen. Die gesparte Zeit könnten wir für die Menschen nutzen.

Außerdem fehlt uns das Fachpersonal. Es bewerben sich keine Ärztinnen und Ärzte, obwohl die Ausschreibungen laufen. Für die Sozialpsychiatrie suchen wir zum Beispiel schon länger einen ärztlichen Kollegen bzw. eine Kollegin.

TK: Woran liegt das?

Dr. Naumann: Kaum einer kennt den ÖGD und weiß, wie breit das Arbeitsspektrum ist. Ich kann das gut nachvollziehen, weil die Individualmedizin im Studium den Vorrang hat. Dabei hat man den bevölkerungsmedizinischen Ansatz nicht automatisch auf dem Schirm und sieht, wie viel der ÖGD auch mit dem einzelnen Menschen im Kontakt ist.

Deswegen versuche ich, darüber in der Medizinausbildung in Jena selbst berichten zu können. Und auch die Bezahlung im Vergleich zu anderen Optionen ist immer wieder Thema. Hier sind Ärzte im Gesundheitsamt deutlich benachteiligt.

Zur Person

Dr. Bettina Naumann ist seit 2005 Amtsärztin im Saale-Holzland-Kreis, einem Landkreis mit knapp 84.000 Einwohnern im Osten Thüringens. Als Fachärztin für Innere Medizin und öffentliches Gesundheitswesen ist sie außerdem stellvertretende Vorsitzende des Thüringer Landesverbandes der Ärzte und Zahnärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst und setzt sich dort seit über einem Jahrzehnt auch für die Berufspolitik ein.