"Vieles wird heute auf die Kitas ausgelagert, vor allem von Familien, wo es Probleme oder wenig Zeit gibt. Die Ansprüche von außen haben zugenommen, in den Kitas gibt es hingegen weniger Ressourcen. Das verursacht viel Druck und Stress. Und Stress ist Gift. Unter Stress handelt man nicht mehr feinfühlig", sagt Leonie Farnbacher-Gollwitzer.

Zusammen mit ihrer Kollegin Sophie Krigkos leitet Leonie Farnbacher-Gollwitzer das Systempädagogisches Institut "meinefamilie" in München. Für die TK setzt sie gesundheitsfördernde Projekte in Kitas um, die um Unterstützung bitten, um die Situation in ihrer Einrichtung zu verbessern. Farnbacher und Krigkos sind beide Sozialpädagoginnen und systemisch-integrative Einzel-, Paar- und Familientherapeutinnen. Farnbacher-Gollwitzer ist zudem gelernte Erzieherin, deshalb hat sie einen besonderen Bezug zu Kitas. "Vieles steht und fällt mit den Führungskräften", sagt sie. Mit ihnen entwickeln Farnbacher-Gollwitzer und Krigkos eine Struktur, die die Ressource Mensch und seine Gesundheit wieder in den Mittelpunkt stellt.

Video-State­ment von Leonie Farn­ba­cher-Goll­witzer

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Stressreduktion und wertschätzende Konfliktkultur

Wir treffen uns im Familienzentrum Waldkraiburg e. V.. Die TK unterstützt die Einrichtung zum Thema Stressreduktion in Verbindung mit wertschätzender Konfliktkultur. Der Träger entstand über eine Elterninitiative und ist recht schnell und auf Kosten der Organisations- und Kommunikationsstrukturen gewachsen. Zum Familienzentrum gehören mittlerweile drei Horte, ein Kindergarten mit Krippe, Mutter-Kind-Gruppen und eine Mittagsbetreuung. Rund 60 Menschen arbeiten für das Familienzentrum. Es stehen nur begrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung. Da vom pädagogischen Personal viel Flexibilität, Engagement und ein hohes Maß an psychischer Widerstandskraft gefordert ist, lastet der Druck schwer auf den Schultern der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 2020 begann das Projekt zur Gesundheitsförderung und heute, drei Jahre später, zeigt sich, dass sich das Engagement der Geschäftsführung in Sachen Gesundheit gelohnt hat.

Präven­tion im Fami­li­en­zen­trum Wald­krai­burg

Sophie Krigkos, Franz Maier und Leonie Farnbacher-Gollwitzer Das Bild ist noch nicht vollständig geladen. Falls Sie dieses Bild drucken möchten, brechen Sie den Prozess ab und warten Sie, bis das Bild komplett geladen ist. Starten Sie dann den Druckprozess erneut.
von links nach rechts: Sophie Krigkos, Franz Maier und Leonie Farnbacher-Gollwitzer

Schutzmechanismen

"Viele Probleme, wie der Personalschlüssel oder auch die Größe der Kindergruppen, ließen sich ad hoc nicht beheben, deshalb haben wir geschaut, wo wir direkt ansetzen können. Wo sind Stress- und Risikofaktoren, strukturelle Herausforderungen, Kommunikationslücken. Und gleichzeitig haben wir geschaut, welche Schutzmechanismen die einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitbringen, um sich selbst und gegenseitig unterstützen zu können", erklärt Farnbacher-Gollwitzer. Bessere Organisationstrukturen, einfachere Prozesse, klare Aufgaben- und Verantwortungsbereiche wie auch Strategien zum Umgang mit stressigen Situationen und das Erkennen der eigenen Grenzen und Bedürfnisse stehen seitdem im Rahmen des Projektes auf der Tagesordnung.

Innere Ausgeglichenheit pflegen

Franz Maier arbeitet seit 28 Jahren für das Familienzentrum, seit 2000 ist er dort Geschäftsführer. Er sagt: "Der psychische Stress im Job war für alle ein Thema. Wir sind für viele soziale Schwierigkeiten in Waldkraiburg eine Art Auffangbecken. Hinzu kommt die Ungewissheit der Mitarbeitenden rund um das Gehalt, weil die Buchungszeiten der Eltern beispielsweise von Jahr zu Jahr variieren. Und dann kam auch noch die Corona-Pandemie. Das führte zu einer extremen Belastung. Für diese Zeit war die Begleitung durch Leonie Farnbacher-Gollwitzer und Sophie Krigkos hervorragend. Wir haben alle erkannt, dass unsere Kompetenzen, das pädagogische Wissen und unsere innere Ausgeglichenheit das Handwerkszeug ist, das man pflegen muss."

Video-State­ment von Sophie Krigkos

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Nicht jeder muss alles machen

Organisatorisch ist viel passiert: Maier hat sich eine Pädagogin in die Geschäftsführung geholt, die ihn entlastet. Die Doppelspitze vereint nun wirtschaftliches und pädagogisches Denken. Bessere Strukturen sorgen für eine zielführendere Kommunikation, klar definierte Zuständigkeiten und gebündelte Themen führen zur Arbeitsentlastung - nicht jeder muss alles machen, lautet die Devise. Seit Corona gibt es einen Notfallplan, der zukünftig auch auf andere herausfordernde Situationen angewandt werden soll.

Für Themen, die von außen auf das Familienzentrum einwirken, wurden gute Lösungsansätze gefunden: Um Familien bei psychisch belastenden Situationen wie Energiekosten und Inflation zu beraten sowie Eltern mit Migrationshintergrund bei Antragsverfahren besser unterstützen zu können, beschäftigt das Familienzentrum eine Sozialpädagogin welche ihre Expertise den Familien beratend zur Verfügung stellt.

Gewaltfreie Kommunikation und wertschätzende Neugierde

Und auch passende Maßnahmen für die Stressbewältigung von Führungskräften und Mitarbeitenden wurden ermittelt. So wurden beispielsweise ein regelmäßiger Austausch über die individuellen Schutz- und Risikofaktoren in den einzelnen Häusern etabliert, eine Kultur der gewaltfreien Kommunikation und der wertschätzenden Neugierde entwickelt und gepflegt und die existierende Vielfalt im Team als Ressourcenpool genutzt.

Konkrete Methoden wie Bewegung im Freien, Yoga oder Achtsamkeitsübungen werden im Projekt bewusst nicht angeboten. Jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin reflektiert im Rahmen des Präventionsprojekts, welche Entspannungstechnik oder welcher Ausgleich für ihn oder sie für die Entspannung nach einem langen Arbeitstag sorgt und betreibt eigenverantwortlich Selbstfürsorge. Wie wichtig das für ein gesundes Leben und Arbeiten ist, das wird in Selbsterfahrungs-Workshops erlebbar.

Haltung zum eigenen Beruf

"Mit Gesundheitsförderung lässt sich viel verbessern", sagt Sophie Krigkos. Noch besser wäre es, das ganze System zu überdenken, zumindest schon in der Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher auf die Förderung der eigenen Resilienz zu setzen und klar zu machen, dass es in diesem Beruf nicht nur um pädagogische Konzepte geht. Dass man Ansprüche auch einmal runterschrauben muss und man trotzdem wertvolle Arbeit leistet. "Die meisten sind sehr jung, haben kaum Erfahrung und werden in ihrem Enthusiasmus für pädagogische Arbeit ausgebremst, wenn sie im Job plötzlich die harte Realität kennenlernen", so die Therapeutin. "Das stresst ungemein." Und ein besserer Personalschlüssel, mehr Anerkennung einschließlich einer besseren Bezahlung wären auch hilfreich. "Doch diese Dinge können wir nun einmal nicht ändern, also müssen wir die Dinge angehen, die wir verbessern können." Und das fängt bei der Haltung zum eigenen Beruf und zur eigenen Gesundheit an.

Sichere Arbeitsverhältnisse

"Die Erzieherinnen und Erzieher wissen jetzt mehr als zuvor, dass sie einen sehr guten Job machen, auch wenn nicht alles perfekt ist", sagt Maier. Es bringt beispielsweise nichts, im Hort teures Bio-Essen einzuführen, wenn die Kinder aus ärmeren Verhältnissen deshalb vom Mittagessen abgemeldet werden und hungrig ihre Hausaufgaben machen müssen. Auch können nicht alle Kinder aufgenommen werden, die einen Kindergarten- oder Krippenplatz brauchen. "Wir sehen heute klarer, welche Kapazitäten wir haben und wo wir wirken können. Dazu zählt auch, sichere Arbeitsverhältnisse und Vertrauen in den Träger zu schaffen. Wir mussten vor Kurzem eine Mittagsbetreuung und eine Spielgruppe aufgeben und konnten trotzdem alle Mitarbeitenden behalten", erzählt Maier. "Es braucht manchmal einfach etwas Flexibilität und Anregungen von außen."