Das Jahr 2022 wird als Krisenjahr und Jahr der "Zeitenwende" in Erinnerung bleiben. Der Krieg in der Ukraine und seine Folgen wie die Flüchtlingsbewegungen oder die Energieverteuerung haben auch das Gesundheitswesen vor neue Herausforderungen gestellt. Die Corona-Pandemie und andere massiv auftretenden Infektionskrankheiten haben ebenfalls dazu beigetragen, dass Krisenbewältigung im Vordergrund stand.

TK: Frau Mussa, welches Fazit ziehen Sie für das Jahr 2022?

Nadia Mussa: 2022 war aus meiner Sicht ein Jahr mit einigen wenigen Höhen und vielen Tiefen. 

Als sehr positiv erlebe ich, mit wie viel Einsatz und Leidenschaft viele Beschäftigte im Gesundheitswesen tätig sind, um trotz der teilweise extremen Belastungen eine gute Versorgung für die Patientinnen und Patienten zu gewährleisten. Dafür möchte ich mich sehr herzlich bedanken!

Nadia Mussa

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Leiterin der TK Landesvertretung Baden-Württemberg

Unsere Selbstverwaltung erweist sich als handlungsfähig. Nadia Mussa

Auch unsere Selbstverwaltung erweist sich als handlungsfähig. Die politischen Vorgaben haben zu komplizierten Rahmenbedingungen geführt. So hat etwa die Ausgliederung der Pflegebudgets die Verhandlungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen deutlich erschwert. Das geht alles andere als stressfrei über die Bühne. Doch es hat sich gezeigt, dass wir in den allermeisten Fällen zu guten und tragfähigen Ergebnissen kommen. Auch dafür möchte ich mich bei allen Beteiligten bedanken. 

Beeindruckt hat mich nicht zuletzt das Engagement in einigen Landkreisen, die Krankenhausstrukturen aus eigenem Antrieb trotz erheblicher Widerstände zu modernisieren. Ich denke da zum Beispiel an die "Agenda 2030" im Ortenaukreis.   

TK: Kommen wir zu den vielen Tiefen. Was lief unbefriedigend?   

Mussa: Grundsätzlich haben wir wie bereits im Jahr 2021 erlebt, dass durch die Ukraine-Krise und die Pandemie Ressourcen gebunden waren, die dann an anderer Stelle gefehlt haben, etwa bei der Digitalisierung oder politischen Reformbemühungen.

Und wenn die Dinge dann doch angepackt wurden, dann nicht selten am falschen Ende. So werden etwa mit dem am 12. November 2022 in Kraft getretenen GKV-Finanzstabilisierungsgesetz keine strukturellen Probleme gelöst, sondern nur um ein Jahr verschoben.
Das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz führt allenfalls zu mehr Bürokratie, aber nicht zu einer Verbesserung der Personalsituation in der Pflege.

Beim Thema Digitalisierung ist noch viel Sand im Getriebe. Nadia Mussa

Auch beim Thema Digitalisierung ist noch viel Sand im Getriebe - ob nun bei der elektronischen Patientenakte oder beim E-Rezept. Das Grundproblem ist die fehlende Nutzerfreundlichkeit. Die ePA wird sich nicht durchsetzen, wenn man für die Registrierung zuerst in eine Kundenberatung muss, um sich auszuweisen.

Das E-Rezept in der jetzigen Form ist ein Flop. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass hier als Übertragungsweg für das Rezept auf eine App der Gematik gesetzt wird, die kaum ein Versicherter kennt, obwohl bereits Millionen Versicherte die Apps der Kassen nutzen.

Mit Blick auf Baden-Württemberg möchte ich ausdrücklich würdigen, dass gerade im Bereich Digitalisierung große Anstrengungen unternommen werden. Unter dem Dach des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg sind viele beeindruckende Projekte angelaufen. Doch die digitale Vernetzung in der Breite zwischen den Akteuren im Gesundheitswesen ist auch im Südwesten kaum vorangekommen.  
  
TK: Damit wären wir im kommenden Jahr angelangt. Wie sehen Ihre Erwartungen für 2023 aus?

Mussa: 2023 wird mit Sicherheit ein sehr spannendes Jahr werden. 

Ein dominierendes Thema wird die Umsetzung der von Bundesgesundheitsminister Lauterbach als "revolutionär" angekündigten Krankenhausreform sein. Wir sehen darin durchaus einige vielversprechende Aspekte. Die problematischen Strukturen werden adressiert, und es sollen endlich Versorgungsstufen eingeführt werden. Damit schaffen wir mehr Spezialisierung in den Kliniken, und das wird zu mehr Qualität in der Versorgung führen. 

Problematisch finden wir die Vorschläge, wie Vorhaltekosten eingeführt werden sollen. Nadia Mussa

Problematisch finden wir die Vorschläge, wie Vorhaltekosten eingeführt werden sollen. Wenn künftig ein beträchtlicher Anteil der Kassenausgaben für Krankenhäuser an der gemeinsamen Selbstverwaltung vorbei vom Staat verteilt wird, ist das faktisch eine Teilverstaatlichung des Gesundheitssystems.

Darüber hinaus sollte in 2023 erkennbar werden, was die Krankenhäuser mit den 3,5 Milliarden Euro machen, die aus dem Krankenhauszukunftsfonds für die Digitalisierung zur Verfügung gestellt werden. Ich hoffe sehr, dass es zu spürbaren Verbesserungen für die Patientinnen und Patienten kommt, beispielsweise über den Aufbau von Patientenportalen. 

Allein in Baden-Württemberg erhalten über 100 Kliniken rund 100 Millionen Euro für den Aufbau solcher Portale, die den Krankenhausaufenthalt und auch den Übergang in eine andere Gesundheitseinrichtung deutlich transparenter und effektiver machen sollen. 

TK: Stichwort Baden-Württemberg - mit welchen Vorstellungen gehen Sie hier in das kommende Jahr? 

Mussa: Es wird höchste Zeit, dass der seit langem angekündigte neue Landeskrankenhausplan konkrete Züge annimmt. Gerade im Zusammenhang mit der geplanten Reform auf Bundesebene bin ich auf die weitere Diskussion zu diesem Thema gespannt.

Überhaupt steht die Gesundheitspolitik in Baden-Württemberg in diesem Jahr stärker im bundesweiten Fokus, da Baden-Württemberg den Vorsitz in der Gesundheitsministerkonferenz übernommen hat. Ein Schwerpunkt dürfte hier weiterhin das Thema "Nutzung von Gesundheitsdaten" sein, das von der Landesregierung bereits bisher im Bundesrat forciert wurde. Auch aus Sicht der TK ist eine Anpassung hier dringend geboten, um auch den Krankenkassen eine sinnvolle Nutzung der Daten im Interesse der Patientinnen und Patienten zu ermöglichen.

Dies spielt eine wichtige Rolle bei der Frage, wie qualitativ hochwertige Versorgung gestaltet werden kann. Unter dieses Leitmotiv stelle ich auch die Zusammenarbeit mit dem neuen Vorstand der KV und auch der KZV Baden-Württemberg. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir hier gemeinsam das Bewährte fortführen, aber auch neue und innovative Ansätze realisieren können.
 

Änderungen zum Jahreswechsel