Dr. Jochen Hanselmann ist als Unternehmensberater mit Schwerpunkt in der Automobilbranche tätig. Als Mitglied des Aufsichtsrates für das Diakonie-Klinikum und der orthopädischen Klinik Paulinenhilfe Stuttgart kennt er sich aber auch im Gesundheitswesen aus. Im Interview erläutert er, was Krankenhäuser beim Blick über den Tellerrand lernen können und wie die vielen abstrakten Diskussionen im Gesundheitswesen geerdet werden könnten.  

TK: Herr Dr. Hanselmann, durch die analytische Brille des Unternehmensberaters betrachtet: Was können die Krankenhäuser von anderen Branchen lernen?

Dr. Jochen Hanselmann: Ich bin weit davon entfernt, Patientinnen und Patienten mit Fertigungskomponenten in Autos zu vergleichen. Aber Planungsprozesse beispielsweise von radiologischen Untersuchungen oder Operationen sind relativ identisch mit Planungsprozessen in einer industriellen Produktion. Da tun sich die Kliniken in der Summe doch sehr schwer, diese Vergleichbarkeit zu akzeptieren.

Dr. Jochen Hansel­mann

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Geschäftsführender Gesellschafter der Hanselmann & Compagnie GmbH

Zweiter Punkt: Die Strukturen in Kliniken sind stark auf den jeweiligen Chefarzt bzw. die jeweilige Chefärztin ausgerichtet. Durch diese Silos wird eine interdisziplinäre Zusammenarbeit erschwert. Interdisziplinäre Zusammenarbeit wird aber auch in Krankenhäusern bei vielen medizinischen Fragestellungen zunehmend gefordert.

Auch in Sachen Wettbewerbsorientierung haben die Krankenhäuser Nachholbedarf. Vergleiche mit anderen Kliniken mit ähnlicher Patientenstruktur etwa bei onkologischen Behandlungen, der Endoprothetik, oder, oder, werden noch zu wenig als Leitlinie für Verbesserungen genutzt. Da müssen wir hinkommen.

TK: Sie propagieren "konsequente Serviceorientierung" aus Kundenperspektive zur Qualitätsverbesserung. Wie können Krankenhäuser dieses Prinzip umsetzen?

Dr. Hanselmann: Indem Sie fokussieren. Krankenhäuser müssen Schwerpunkte bilden und sich überlegen: Für was steht unser Krankenhaus? Wie positionieren wir uns im Wettbewerb? 

Dabei dürfen jedoch die Kliniken nicht allein betrachtet werden. Die Krankenkassen müssen gute Qualität auch entsprechend honorieren und die Politik sollte das ermöglichen. Da richtet sich meine Kritik an alle Akteure im Gesundheitswesen. Ich bin sehr für Wettbewerb, aber das muss für alle gelten - nicht nur für Kliniken und die Ärzteschaft. Übrigens auch beim Wettbewerb zwischen freigemeinnützigen und kommunalen Kliniken. Wer gut wirtschaftet, sollte nicht auch noch bestraft werden. Aber die Beharrungskräfte sind einfach riesengroß  

TK: Was schlagen Sie vor, um diese Beharrungskräfte abzubauen?

Dr. Hanselmann: Es braucht unbedingt ein gemeinsames Zielbild! Das vermisse ich auch bei der geplanten Krankenhausreform. Das führt dazu, dass alle wild durcheinander laufen. Derzeit geht es doch nach der Devise "Sie haben ihr Ziel aus den Augen verloren und verdoppelten ihre Anstrengungen". 

Ohne ein solches Zielbild kann man z. B. Landrätinnen oder Bürgermeister nicht für die Reform gewinnen. Denn sie müssen ja ihrerseits den Bürgerinnen und Bürgern erklären können, warum es bestimmte Leistungen nicht mehr oder an anderer Stelle besser gibt.     

Dieses Zielbild muss auch passen für die Unikliniken, für die Kreiskrankenhäuser, auch für die Pflegekräfte. Derzeit gibt es verschiedene Ansätze, die aber nicht kompatibel sind. Werden die Pflegekräfte ausreichend bezahlt? Wird der Grundsatz "ambulant vor stationär" eingehalten? Kommt das Land seiner Pflicht nach, die Investitionskosten zu finanzieren? Brauchen wir so viele Krankenkassen? Diese Fragen müssen von Anfang an mitgedacht werden. 

Da reicht es auch nicht, einfach auf ein System im Ausland zu verweisen, etwa auf das dänische Modell. Wir können von anderen lernen und uns auch das eine oder andere abschauen, müssen aber unseren eigenen Weg mit den vorliegenden Rahmenbedingungen finden. 

TK: Wie kann man zu einem solchen Zielbild kommen?

Dr. Hanselmann: In der Automobilindustrie gibt es den schönen Begriff "Go to Gemba". Der kommt aus dem Japanischen und bedeutet, bei allen Maßnahmen dort anzusetzen, wo die eigentliche Arbeit gemacht wird und die Wertschöpfung stattfindet. 

Übertragen auf das Gesundheitswesen heißt das: Wer reformieren will, sollte zunächst mal in die Kliniken oder die Praxen kommen und sich anschauen, unter welchen Bedingungen Patientinnen und Patienten versorgt werden, z. B. während eines Nachtdienstes in der Notaufnahme. Dann würden viele abgehobene Diskussionen anders laufen.

Und noch eine Empfehlung aus der Automobilindustrie, die aus dem Japanischen kommt: Eliminiere "Muda"! Muda bedeutet Verschwendung oder sinnlose Tätigkeiten. So sind wir Autoleute geprägt. Da gibt es auch im Gesundheitswesen einiges, auf das verzichtet werden könnte, z. B. so manche Zweit- oder Drittmeinungsuntersuchung oder "Pseudo-Notfallbehandlung am Wochenende" im Krankenhaus. Nur ohne Muda können wir das Sozialstaatsgebot umsetzen und auch in Zukunft Mittel für moderne Diagnostik und Therapie allen Versicherten zur Verfügung stellen.

Zur Person

Dr. Jochen Hanselmann (54),  diplomierter Wirtschaftsingenieur, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Hanselmann & Compagnie GmbH, Mitglied des Aufsichtsrates für das Diakonie-Klinikum und der orthopädischen Klinik Paulinenhilfe Stuttgart.