Digitalisierung zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Interview aus Hessen
Wie steht es um die Digitalisierung in Deutschland - und wie kann der digitale Wandel im Gesundheitssystem gelingen? Im Interview sprechen die hessischen Bundestagsabgeordneten Dr. Anna Lührmann (Bündnis 90/DIE GRÜNEN), stellvertretende Vorsitzende des Digitalausschusses, und Daniel Bettermann (SPD), neues ordentliches Mitglied im Ausschuss, über ihre zentralen Themen.
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Wir haben die beiden Abgeordneten nach der elektronischen Patientenakte gefragt, nach dem richtigen Umgang mit sensiblen Gesundheitsdaten und Wegen für mehr Tempo und Innovation bei der digitalen Transformation. Im Interview geben sie Einblicke in die aktuelle Arbeit des Digitalausschusses - und in ihre Vision für ein digitales Deutschland.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Hürden für die Digitalisierung in Deutschland - und wie können diese überwunden werden?
Dr. Anna Lührmann
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Abgeordnete von Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestagphotothek/Trutschel
Eine sehr große Herausforderung ergibt sich aus den zersplitterten Zuständigkeiten - zwischen den verschiedenen Bundesministerien mit Digitalbezug, aber auch zwischen Bund, Ländern und Kommunen.
Es ist nicht hilfreich, wenn jede Kommune eine eigene IT-Lösung entwickelt oder Bundesministerien regional innovative IT-Projekte fördern. Dr. Anna Lührmann
Es ist nicht hilfreich, wenn jede Kommune eine eigene IT-Lösung entwickelt oder Bundesministerien regional innovative IT-Projekte fördern, die es in einer anderen Region Deutschlands schon gibt. Wichtig sind einheitliche Standards und eine gemeinsame Strategie. Das neue Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung könnte hier positive Weichen stellen. Deshalb werden wir das neue Ministerium in seinem Aufbau und politischen Herausforderungen konstruktiv-kritisch begleiten.
Zur Person
Dr. Anna Lührmann ist Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Main-Taunus und Landesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hessen. Lührmann, Jahrgang 1983, ist stellvertretende Vorsitzende im Ausschuss für Digitales und Staatsmodernisierung. Von 2021 bis 2025 war sie Staatsministerin für Europa und Klima im Auswärtigen Amt. Bis 2021 arbeitete sie als Juniorprofessorin und Demokratieforscherin an der Universität Göteborg.
Daniel Bettermann
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Abgeordneter der SPD im Deutschen BundestagFairmodel
Die Frage der digitalen Transformation ist von zentraler Bedeutung und äußerst komplex. Allgemein besteht Einigkeit darüber, dass eine beschleunigte Digitalisierung notwendig ist. Die Corona-Pandemie hat einen ungeplanten Digitalisierungsschub in einigen Bereichen ausgelöst. Unternehmen und Soloselbständige mit bereits gut etablierten digitalen Angeboten und Organisationsstrukturen konnten die Krise am besten bewältigen.
Aus meiner Sicht bestehen mehrere wesentliche Hemmnisse, die den Digitalisierungsprozess in Deutschland bremsen. Gleichzeitig gibt es verschiedene Lösungsansätze, um diese Herausforderungen zu überwinden. Unabhängig vom betrachteten Bereich lassen sich gemeinsame Kernprobleme identifizieren: mangelhafte Infrastruktur, Datenschutz- und IT-Sicherheitsanforderungen, bürokratische Hürden, fehlende Digitalkompetenzen sowie ein teilweise mangelndes Mindset gegenüber Veränderung. Hinzu kommen Kompetenzzuschreibungen zwischen Bund und Ländern, die eine einheitliche und effiziente Umsetzung erschweren. Ein Beispiel hierfür ist der uneinheitliche Flickenteppich bei IT-Standards im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes.
Der Erfolg der Digitalisierung hängt maßgeblich vom zügigen Ausbau leistungsfähiger Glasfasernetze und der flächendeckenden Verfügbarkeit moderner Mobilfunkstandards ab. Hochwertige Breitbandanschlüsse sind unverzichtbar für die digitale Transformation. Deutschland weist hier im Vergleich zu vielen OECD-Ländern insbesondere bei höheren Übertragungsgeschwindigkeiten einen Rückstand sowie ein deutliches Stadt-Land-Gefälle auf. In einer kürzlichen Sitzung des Ausschusses für Digitales und Staatsmodernisierung wurde die Änderung des Telekommunikationsgesetzes beraten. Ziel der Bundesregierung ist, bis 2030 flächendeckend Glasfaseranschlüsse und den neuesten Mobilfunkstandard bereitzustellen.
Eine erfolgreiche digitale Transformation umfasst nicht nur die Einführung neuer Technologien, sondern auch die Anpassung von Arbeitsabläufen und den Erwerb neuer Kompetenzen. Daniel Bettermann
Dafür bedarf es gesetzlicher Rahmenbedingungen, die den Zeitgeist widerspiegeln. Ein zentraler Schritt ist die Einführung des überragenden öffentlichen Interesses bei der Verlegung und Änderung von Telekommunikationsnetzen. Das ermöglicht schnellere Genehmigungs- und Umsetzungsverfahren - und damit mehr Tempo beim Ausbau der digitalen Infrastruktur. Langsames Internet, etwa für Arztpraxen, Krankenhäusern oder Apotheken, soll so bald der Vergangenheit angehören. Denn erst mit ausreichenden Uploadgeschwindigkeiten sind Videokonferenzen, Telemedizinanwendungen oder der Transfer großer Datenmengen zuverlässig möglich.
Digitale Technologien werden in Kliniken und Praxen zunehmend eingesetzt, was eine Offenheit für Veränderungsprozesse voraussetzt. Eine erfolgreiche digitale Transformation umfasst nicht nur die Einführung neuer Technologien, sondern auch die Anpassung von Arbeitsabläufen und den Erwerb neuer Kompetenzen. So unterstützen in 26 Prozent der Kliniken Roboter bei operativen Eingriffen, während in 28 Prozent der Kliniken externe Ärztinnen und Ärzte per Video zu Fallberatungen hinzugezogen werden.
Auch im ambulanten Bereich sind Videosprechstunden mittlerweile weit verbreitet. Allerdings sind viele digitale Anwendungen mit hohen Kosten und erheblichem IT-Aufwand verbunden. Durch das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) konnten bereits Fortschritte in der digitalen Dokumentation erzielt werden. Gleichzeitig darf jedoch nicht übersehen werden, dass der bestehende Kostendruck durch das Fallpauschalensystem zu Unterfinanzierung und Investitionsstau bei der Digitalisierung geführt hat. Sowohl mit der Krankenhausreform als auch mit dem Sondervermögen wird es in diesem Bereich noch einmal einen kräftigen Schub nach vorne geben.
Zur Person
Daniel Bettermann (SPD) ist seit 2025 erstmals Mitglied des Deutschen Bundestages und vertritt den Bundestagswahlkreis 167, der die Stadt Kassel sowie mehrere Städte und Gemeinden des Landkreises Kassel umfasst. Er ist Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie sowie im Ausschuss für Digitales und Staatsmodernisierung. Bettermann, Jahrgang 1980, absolvierte ein Studium der Politikwissenschaft mit Nebenfach Wirtschaftswissenschaft an der Universität Kassel. Vor seiner Wahl in den Bundestag arbeitete Bettermann als Kommunikationsberater und Pressesprecher.
Wie erleben Sie das deutsche Gesundheitswesen und welche Defizite nehmen Sie wahr?
Daniel Bettermann: Das deutsche Gesundheitswesen gilt international als leistungsstark. Trotzdem höre ich gerade im Austausch mit älteren Menschen in meinem Wahlkreis immer wieder, dass viele von ihnen sich Sorgen um ihre medizinische Versorgung machen. Was mich persönlich besonders umtreibt, ist die zu lange Wartezeit auf Facharzttermine, die verbreitete Nutzung veralteter Faxgeräte und dass wir die Chancen der Digitalisierung und künstlichen Intelligenz bisher bei weitem nicht ausreichend nutzen.
Der demografische Wandel stellt unser Gesundheitssystem vor zusätzliche Herausforderungen. Mit dem erwarteten Anstieg des medizinischen Behandlungsbedarfs müssen jetzt die Weichen gestellt werden, damit wir auch in Zukunft genügend medizinisches Personal und Pflegekräfte zur Verfügung haben. An dieser Stelle ist Pflege ein gutes Stichwort. Ich teile die Auffassung der Techniker Krankenkasse (TK), dass unser Gesundheitssystem für alle Versicherten bezahlbar bleiben muss.
Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hat eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung angekündigt. Ohne tiefgreifende Veränderungen droht bis 2029 eine Finanzierungslücke von mehr als zwölf Milliarden Euro. Ende des Jahres wird die Bund-Länder-Arbeitsgruppe ihre Ergebnisse vorstellen. Ich begrüße die Einrichtung dieser Kommission, erwarte aber auch schnelle und praktikable Lösungen. Wir brauchen dringend neue Strukturen im System - Pflegebedürftigkeit darf sich keinesfalls zu einem Armutsrisiko entwickeln. Daher bin ich sehr gespannt auf die Ergebnisse und würde es begrüßen, wenn dabei auch der Pflegekosten-Deckel Berücksichtigung findet.
Natürlich ist die Politik gefragt, die notwendigen Rahmenbedingungen für ein leistungsfähiges Gesundheits- und Versorgungssystem zu schaffen. Gleichzeitig trägt aber auch jede und jeder Einzelne Verantwortung. Ein gesunder Lebensstil wirkt sich positiv auf das Gesundheitssystem aus, indem er das Risiko chronischer Erkrankungen reduziert und die Lebensqualität steigert. Das führt zu geringeren Behandlungskosten und entlastet das System. Deshalb halte ich es für richtig und wichtig, dass viele Krankenkassen - darunter auch die TK - einen aktiven Lebensstil mit verschiedenen Bonusprogrammen gezielt fördern.
Dr. Anna Lührmann: Ich schätze am deutschen Gesundheitswesen die gute Ausbildung und die große Motivation von unserem Fachpersonal. Beschäftigte in Gesundheitsberufen leisten jeden Tag unverzichtbare Arbeit. Gleichzeitig gibt es viele Baustellen: Fachkräftemangel und hohe Arbeitsbelastung der Beschäftigten sind ein riesiges Problem. Zudem werden Patient*innen nicht gut im System gesteuert und warten deshalb oft viel zu lange auf einen Termin oder haben keine adäquate Gesundheitsversorgung in ihrer Nähe.
Auch was Digitalisierung angeht, müssen wir noch einiges in Angriff nehmen. Allgemein gilt: Wir brauchen eine gerechtere finanzielle Lastenteilung in unserem Gesundheitswesen, damit das System weiter finanzierbar bleibt. Dafür ist die solidarische Beteiligung von allen zentral.
Welche Bedeutung messen Sie der Digitalisierung im Gesundheitswesen bei und wo sehen Sie die größten Potenziale?
Dr. Anna Lührmann: Die Digitalisierung im Gesundheitswesen bringt erhebliche Potentiale mit sich. Dafür muss sie natürlich sicher und nah an den Bedürfnissen von Personal und Patient*innen umgesetzt werden. In der Vergangenheit haben Beschäftigte in Gesundheitsberufen Digitalisierung eher als Last denn als Treiber einer besseren Versorgung gesehen.
In der Vergangenheit haben Beschäftigte in Gesundheitsberufen Digitalisierung eher als Last denn als Treiber einer besseren Versorgung gesehen. Dr. Anna Lührmann
Das müssen wir ändern. Denn sinnvoll eingesetzt, können digitale Tools beispielsweise das medizinische Personal von Dokumentationspflichten entlasten, bei der Ersteinschätzung und Steuerung von Patient*innen unterstützen und durch Telesprechstunden spezialisierte medizinische Versorgung flächendeckend ermöglichen. Unterm Strich bleibt durch sinnvoll eingesetzte Digitalisierung mehr Zeit für die persönliche Arbeit mit den Patient*innen.
Daniel Bettermann: Die Frage, wie viel Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) unser Gesundheitssystem braucht - und wie viel wir als Gesellschaft wollen - , beschäftigt derzeit Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Öffentlichkeit gleichermaßen. Dabei darf eines nicht aus dem Blick geraten: Bei allen technologischen Entwicklungen muss der Mensch im Mittelpunkt stehen. Digitalisierung und KI sollen eine gezielte Unterstützung für die Ärzte und die Pflege sein. Denn der zwischenmenschliche Kontakt bleibt durch nichts zu ersetzen.
Ich bin überzeugt, eine verantwortungsvolle und umfassendere Nutzung digitaler Technologien kann die medizinische Versorgung spürbar verbessern. Schon vor der Corona-Pandemie hat die Digitalisierung im Gesundheitswesen an Dynamik gewonnen. Treiber dieser Entwicklung war vor allem die wachsende Verbreitung digitaler Anwendungen in nahezu allen Lebensbereichen.
Doch Digitalisierung ist kein Selbstläufer. Sie muss strukturiert, intelligent und zielgerichtet gestaltet werden. Daniel Bettermann
Doch Digitalisierung ist kein Selbstläufer. Sie muss strukturiert, intelligent und zielgerichtet gestaltet werden. Die größten Potenziale sehe ich derzeit in drei Bereichen: In der digitalen Dokumentation von Patienteninformationen und Behandlungsleistungen, in der Nutzung von Robotik- und Assistenzsystemen und in der digitalen Kommunikation.
Laut Schätzungen der Caritas verbringen Pflegekräfte rund 30 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Dokumentation. Zeit, die bei der Betreuung von Pflegebedürftigen fehlt. Moderne Technologien wie KI-gestützte Sprachassistenten können hier Abhilfe schaffen. Pflegekräfte könnten Informationen direkt nach einem Einsatz einsprechen. Die KI wandelt das Gesagte in strukturierte Texte um. Auch die automatische Übertragung von Vitalwerten in die digitale Pflegedokumentation ist technisch längst möglich.
Damit das auch am Patienten gelingt, brauchen wir mehr Datendurchgängigkeit. Es müssen endlich mehr Schnittstellen zwischen den einzelnen Systemen geschaffen werden. Nur so entsteht ein reibungsloser Informationsfluss im Sinne aller Akteure. Ebenso dringlich ist eine Modernisierung der Abrechnungsprozesse. Noch immer verlangen Krankenkassen häufig analoge Leistungsnachweise - das ist zeitaufwendig, fehleranfällig und nicht mehr zeitgemäß. Abrechnungen müssen digital und effizient erfolgen.
Digitale Lösungen kommen inzwischen immer öfter direkt in der Versorgung an. Ich denke da sofort an die autonomen Transportroboter, die Essen auf Stationen oder die Wäsche in den OP bringen. Auch in der Diagnostik entstehen neue Möglichkeiten. Kürzlich wurde mir eine App zur Hautdiagnose empfohlen. Nutzer können über diese Anwendung Bilder hochladen und erhalten schnell eine Diagnose. Das ist für mich Fortschritt. Wer digital eine Diagnose bekommt, entlastet die Praxen und schafft Freiräume für komplexe Fälle.
Deshalb brauchen wir mehr Digitalkompetenz sowohl beim Fachpersonal als auch bei Patientinnen und Patienten. Daniel Bettermann
Doch Digitalisierung gelingt nur mit Menschen, die bereit und befähigt sind, neue Technologien zu nutzen. Deshalb brauchen wir mehr Digitalkompetenz sowohl beim Fachpersonal als auch bei Patientinnen und Patienten.
Ein gutes Beispiel ist das hessische Projekt "Digital im Alter". Dort unterstützen mittlerweile rund 500 ehrenamtliche Digital-Lotsinnen und -Lotsen ältere Menschen im Umgang mit Smartphones und Tablets. Das senkt Hemmschwellen und fördert Teilhabe.
Ebenso wichtig ist, dass digitale Technologien und KI im Medizinstudium Berücksichtigung finden. Noch fehlt dieser Aspekt an vielen Hochschulen weitgehend. Doch ohne digitale Grundbildung wird es künftig nicht mehr gehen. Studieninhalte müssen sich an der Realität eines zunehmend digitalen Gesundheitswesens orientieren.
Letztendlich sollten wir alle den Anspruch haben, mit der Zeit zu gehen - das gilt auch für den Bund. An dieser Stelle lässt sich sehr gut ein Bogen zum Reallaboregesetz spannen. Ziel ist, verbesserte Rahmenbedingungen für die praktische Erprobung von Innovationen zu schaffen. Diese Art der Innovationsförderung umfasst auch das Gesundheitswesen. So könnten beispielsweise Fragen zur Nutzung von Video-Sprechstunden gezielt und wissenschaftlich unter realen Bedingungen erprobt werden. Aus meiner Sicht hat das Reallaboregesetz das Potenzial, eHealth in Deutschland auf ein neues Level zu heben.
Wie bewerten Sie die Einführung und den Nutzen der elektronischen Patientenakte?
Daniel Bettermann: Mit dem Digitalisierungsgesetz aus der vergangenen Wahlperiode wurde ein entscheidender Schritt in Richtung eines modernen, vernetzten Gesundheitssystems gemacht. Die Einführung zentraler digitaler Anwendungen wie der elektronischen Patientenakte (ePA), dem E-Rezept und der Telemedizin bringt endlich den lang erwarteten Durchbruch.
Seit April stellen Softwarehersteller die ePA-Module für Arztpraxen, Apotheken und Krankenhäuser bereit. Der Rollout nimmt Zeit in Anspruch - doch die Richtung stimmt. Ärztinnen, Ärzte und Psychotherapeutinnen sowie -therapeuten können bereits jetzt erste medizinische Dokumente wie Befunde, Arztbriefe oder Laborwerte in die ePA einpflegen. Ab dem 1. Oktober wird die Nutzung für alle verpflichtend.
Aus meiner Sicht hat die ePA das Potenzial, das Gesundheitswesen effizienter, transparenter und patientenorientierter zu gestalten. Sie schafft Übersicht über medizinische Informationen, verbessert die Kommunikation zwischen Behandelnden und kann unnötige Doppeluntersuchungen vermeiden. Für Patientinnen und Patienten bedeutet sie mehr Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten und damit auch mehr Datensouveränität.
Die ePA basiert grundsätzlich auf einem Vertrauensvorschuss. Deshalb ist es unabdingbar, dass Versicherte umfassend und verständlich über ihre Rechte informiert werden, insbesondere über die Zugriffsmöglichkeiten. In der derzeitigen Voreinstellung werden Daten automatisch in die ePA übertragen, ohne dass eine aktive Zustimmung der Versicherten erfolgt. Zwar lassen sich Zugriffsrechte individuell anpassen, doch das erfordert digitale Kompetenz und Eigeninitiative.
Es ist gerade bei sensiblen bzw. stigmatisierenden Diagnosen, etwa aus dem psychischen oder psychiatrischen Bereich, ein richtiger Schritt, dass eine aktive Einwilligung Voraussetzung für die Aufnahme in die ePA ist. Hier gilt: Je sensibler die Daten, desto höher müssen die Datenschutzstandards sein. Sicherheitslücken dürfen in diesem Bereich nicht vorkommen. Die technischen und organisatorischen Schutzmaßnahmen müssen kontinuierlich überprüft und verbessert werden.
Vor diesem Hintergrund ist der geplante Ausbau der Gesellschaft für Telematik zu einer Digitalagentur für Gesundheit ein richtiger und notwendiger Schritt. Wir brauchen verbindliche, einheitliche Standards und interoperable Systeme, die einen sicheren, reibungslosen Austausch von Gesundheitsdaten ermöglichen.
Positiv finde ich, dass das E-Rezept direkt in die ePA integriert wurde. Ärztinnen und Ärzte können sehen, ob und wann ein Rezept eingelöst wurde - das verbessert die Behandlungskoordination. Als digitalpolitischer Impuls wäre es sinnvoll, den Medikationsplan künftig mit einem digitalen Verträglichkeitscheck zu verknüpfen. So lassen sich potenzielle Unverträglichkeiten schneller erkennen - ein echter Mehrwert für die Patientensicherheit. Für mein Dafürhalten ist es sinnvoll, dass auch Kliniken ab Oktober 2025 direkten Zugriff auf die ePA erhalten - nicht nur zur Einsicht, sondern auch zur eigenständigen Befüllung. Das entlastet insbesondere Hausärztinnen und Hausärzte und vereinfacht Abläufe im Klinikalltag.
Dr. Anna Lührmann: Die Einführung der elektronische Patientenakte (ePA) war ein entscheidender und überfälliger Schritt für ein modernes Gesundheitssystem in Deutschland. Erstmals gibt es einen digitalen Ort, an dem Patient*innen auf die eigenen Gesundheitsdaten zugreifen können. Befunde, Röntgenaufnahmen und andere Dokumente müssen jetzt nicht mehr in Papierform zu Hause gesammelt und in unterschiedlicher Zusammenstellung zu Arztterminen mitgebracht werden. Das ist praktisch und bringt Vorteile für die Behandlung.
Erstmals gibt es einen digitalen Ort, an dem Patient*innen auf die eigenen Gesundheitsdaten zugreifen können. Dr. Anna Lührmann
Gleichzeitig ist frustrierend zu sehen, dass der Ausbau der ePA nicht vorankommt. Die Möglichkeiten, die das System bietet, werden aktuell noch nicht ausgeschöpft. Die Bundesregierung sollte aktiver werden, damit sowohl Patient*innen als auch Personal einen echten Nutzen im Versorgungsalltag spüren.
Die Nutzung von Gesundheitsdaten für Forschung und Versorgung wird oft als Schlüssel für Innovationen genannt. Wie bewerten Sie die aktuellen Regelungen zur Datennutzung und wie können wir besser werden, ohne den Datenschutz zu vernachlässigen?
Dr. Anna Lührmann: Jede*r einzelne von uns ist früher oder später auf eine gute Gesundheitsversorgung angewiesen und wünscht sich dafür natürlich auch innovative Behandlungen, Arzneimittel und Medizinprodukte. Mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz haben wir in der Ampel-Regierung endlich einen wichtigen Grundstein dafür gelegt, dass die Daten, die sowieso bereits im Gesundheitswesen erhoben werden, nun auch genutzt werden können.
Wir sollten eng begleiten, ob die gesetzlich vereinfachten Verfahren auch wirklich in der Praxis ankommen. Dr. Anna Lührmann
Den Datenschutz will dabei niemand vernachlässigen. Hier sollten wir eng begleiten, ob die gesetzlich vereinfachten Verfahren auch wirklich in der Praxis ankommen. Ein weiteres großes Defizit haben wir bei den medizinischen Registern: Wir fordern schon lange ein Registergesetz, um die Arbeit der Register zu vereinfachen, stärken und strukturieren.
Daniel Bettermann: Der effektive Schutz personenbezogener Daten ist ein Grundpfeiler unserer digitalen Gesellschaft. Gleichzeitig stehen wir vor der Herausforderung, einerseits das berechtigte Interesse der Menschen an der Wahrung ihrer Privatsphäre zu sichern - und andererseits den Datenschutz so weiterzuentwickeln, dass er Innovationen im digitalen Gesundheitswesen ermöglicht.
Gerade in Deutschland bestand in diesem Bereich lange Zeit ein erheblicher Rückstand. Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) wurde hierzulande oft so restriktiv ausgelegt, dass dies in vielen Fällen faktisch einem Verbot der Datennutzung gleichkam. Inzwischen hat jedoch ein Paradigmenwechsel eingesetzt: Es setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass Gesundheitsdaten - bei verantwortungsvoller Nutzung - einen enormen Mehrwert für die Versorgung, Forschung und das Gemeinwohl leisten können.
Für eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung und neue wissenschaftliche Erkenntnisse sind der Austausch und die Nutzung von Gesundheitsdaten unverzichtbar. Wir müssen im Sinne der Patientinnen und Patienten abwägen: Was ist am Ende riskanter - die Nutzung oder die Nichtnutzung von Gesundheitsdaten? Denn wir wissen aus Erfahrung: Daten retten Leben.
Für eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung und neue wissenschaftliche Erkenntnisse sind der Austausch und die Nutzung von Gesundheitsdaten unverzichtbar. Daniel Bettermann
In diesem Zusammenhang ist das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) ein wichtiger Schritt nach vorn. Es wurde ebenfalls in der vergangenen Legislaturperiode verabschiedet und schafft erstmals die rechtlichen Grundlagen für eine gemeinwohlorientierte wissenschaftliche Nutzung von Gesundheitsdaten. Kernpunkt ist die Möglichkeit, pseudonymisierte Daten aus verschiedenen Quellen durch eine neu geschaffene Koordinierungsstelle zentral zu verknüpfen. Das ist ein bedeutender Fortschritt für die Forschungslandschaft und für eine bessere Patientenversorgung.
Wichtig dabei: Die Selbstbestimmung der Betroffenen bleibt gewahrt. Wer nicht möchte, dass seine Daten genutzt werden, kann widersprechen. Und die Zwecke, zu denen Daten verwendet werden dürfen, bestimmt jeder individuell.
Der Ausschuss für Digitales und Staatsmodernisierung berührt ein breites Spektrum an Themen. Welche Bereiche sind für Sie derzeit von besonderer Bedeutung und warum?
Daniel Bettermann: Das ist eine interessante Frage! Die Arbeit im Ausschuss für Digitales und Staatsmodernisierung umfasst zentrale Zukunftsfragen. In meiner Funktion als Berichterstatter innerhalb meiner Fraktion betreue ich die Themen digitale Wirtschaft und in Teilen internationale Digitalpolitik. Zwei Bereiche, die in ihrer Bedeutung stetig wachsen.
Besonders spannend ist aktuell der Aufbau des Bundesministeriums für Digitalisierung und Staatsmodernisierung. Im Ausschuss hatten wir kürzlich die Gelegenheit, Bundesminister Karsten Wildberger zum aktuellen Stand des Prozesses zu befragen. Der Aufbau des Ministeriums folgt einer Art Startup-Mentalität. Erstmals wird der Bereich Digitalisierung auch mit einem eigenen Einzelplan im Bundeshaushalt gestärkt. Ein wichtiges Signal! Voraussetzung dafür ist jedoch die Verabschiedung eines Organisationserlasses. Erst danach können die Mittel im Einzelplan 24 gebündelt und bereitgestellt werden. Ich gehe davon aus, dass dies im kommenden Jahr der Fall sein wird.
Viele digitale Schlüsselprojekte benötigen langfristige Planungssicherheit und eine solide finanzielle Grundlage. Daniel Bettermann
Neben strukturellen Fragen hat auch das Thema Sondervermögen für mich derzeit hohe Priorität. Viele digitale Schlüsselprojekte benötigen langfristige Planungssicherheit und eine solide finanzielle Grundlage. Bereits für das laufende Jahr stehen vier Milliarden Euro unter anderem für den Breitbandausbau und Verwaltungsdigitalisierung zur Verfügung. Jetzt kommt es darauf an, dass diese Mittel schnell, gezielt und wirksam eingesetzt werden.
Auf europäischer Ebene rücken derzeit zwei bedeutende Digitalisierungsprojekte in den Fokus: Die Einführung der European Digital Identity Wallet (EUDI-Wallet) sowie der Data Act. Beide Initiativen stehen exemplarisch für die digitale Transformation Europas und eröffnen neue Chancen.
Mit der neuen EUDI-Wallet wird es künftig möglich sein, sich digital sicher, einfach und schnell auszuweisen - sei es bei Behördengängen, im Gesundheitswesen oder bei der Eröffnung eines Bankkontos. Die Wallet wird als einheitliches digitales Identitätsinstrument innerhalb der EU fungieren und für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen neue Standards setzen. Die Einführung der Wallet wird nicht nur den Alltag erleichtern, sondern auch als Katalysator für ein neues digitales Ökosystem wirken. Bereits kurz nach dem Start dürften zahlreiche neue Dienste und Anwendungen entstehen, die auf dieser Infrastruktur aufbauen.
In wenigen Monaten tritt der EU Data Act in Kraft. Während die DSGVO den Schutz personenbezogener Daten regelt, konzentriert sich der Data Act auf die Nutzung und Zugänglichkeit nicht personenbezogener Daten, insbesondere solcher, die durch vernetzte Produkte und Dienste generiert werden. Ziel ist, die enorme Datenmenge, die in unserem zunehmend vernetzten Alltag entsteht, nicht länger ausschließlich bei den Herstellern oder Plattformanbietern zu belassen. Stattdessen sollen Nutzerinnen und Nutzer, Drittanbieter und öffentliche Stellen einen fairen und transparenten Zugang zu diesen Daten erhalten.
Auf diese Weise möchte die EU Innovationen fördern, Wettbewerbsverzerrungen vermeiden und die Datensouveränität aller Beteiligten stärken. Gerade Hersteller, die Medizinprodukte entwickeln, ist der Data Act von großer Bedeutung. Sie sollten sich frühzeitig mit den neuen Anforderungen vertraut machen, um entsprechende Vorkehrungen treffen zu können.
Dr. Anna Lührmann: Mich beschäftigen derzeit vor allem zwei Themen: Zum einen die Erneuerung unserer demokratischen digitalen Infrastruktur. Wie stellen wir sicher, dass Social-Media-Plattformen so gestaltet sind, dass gleichberechtigte Teilhabe und Demokratie gestärkt werden? Wie gehen wir effektiv gegen Hass, Hetze und manipulative Beeinflussung vor?
Wie stellen wir sicher, dass wir Effizienzpotentiale heben und den Ressourcenverbrauch minimieren? Dr. Anna Lührmann
Das zweite Thema betrifft die nachhaltige Gestaltung der Digitalisierung. Digitalisierung und das rasante Wachstum von Anwendungen für Künstliche Intelligenz führen zu einem schnell steigenden Energie-, Wasser- und Flächenverbrauch, etwa für Rechenzentren. Wie stellen wir sicher, dass wir Effizienzpotentiale heben und den Ressourcenverbrauch minimieren? Hier ist Digitalisierung sowohl Herausforderung als auch Teil der Lösung.