Zur Sache: GKV-Finanzen stabilisieren
Interview aus Hamburg
Zum Jahreswechsel mussten viele gesetzliche Krankenkassen ihren Zusatzbeitragssatz erhöhen. Auch wenn die Gründe vielschichtig sind, ist klar, dass es derzeit ein strukturelles Defizit zwischen den Einnahmen und Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gibt.

Welche Maßnahmen aus Sicht der Techniker Krankenkasse (TK) ergriffen werden müssen, damit eine gute medizinische Versorgung künftig finanzierbar bleibt, erläutert Maren Puttfarcken, Leiterin der TK-Landesvertretung Hamburg, im Interview.
TK: Frau Puttfarcken, welche Gründe gibt es für die schwierige finanzielle Lage der gesetzlichen Krankenversicherung?
Maren Puttfarcken: Die Gründe sind vielschichtig und komplex. Fakt ist allerdings, dass nichts davon wirklich neu ist. Es gab genügend mahnende Stimmen. Wir Krankenkassen weisen seit Jahren darauf hin, dass die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben immer weiter auseinander geht - die Ausgaben steigen rasant, und die Einnahmen halten damit nicht Schritt. Das ist aus unserer Sicht das Hauptproblem. Dazu kommt, dass in den vergangenen Legislaturperioden im Bund einige Gesetze wie das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) auf den Weg gebracht wurden, die die Versicherten viel Geld kosten. Bis vor einiger Zeit hat die starke Wirtschaftsleistung im Land noch für eine komfortable Einnahmenentwicklung gesorgt. Diese Jahre wurden aber nicht genutzt, um notwendige Strukturreformen - etwa eine Reform der Preisfindung für patentgeschützte Arzneimittel oder eine Reform der Notfallversorgung - anzugehen oder abzuschließen. Später wurden die steigenden Kosten aus den Rücklagen der Krankenkassen bezahlt, die sind jetzt aber auch aufgebraucht.
Drittes großes Problem sind die versicherungsfremden Leistungen, die die Krankenkassen, aber auch die Pflegeversicherung seit Jahren für den Staat übernehmen. Allein wenn der Staat, wie es eigentlich seine Aufgabe ist, die Gesundheitsleistungen von Bürgergeldempfängern auskömmlich finanzieren würde, würde die Lücke zwischen Ausgaben und Einnahmen rund zehn Milliarden Euro geringer ausfallen.
Maren Puttfarcken
Als TK fordern wir kurzfristig ein Sofortprogramm, um den Ausgabenanstieg zu bremsen.
TK: Welche Maßnahmen müssen nun kurzfristig ergriffen werden?
Puttfarcken: Als TK fordern wir kurzfristig ein Sofortprogramm, um den Ausgabenanstieg zu bremsen. Dazu gehört als erstes, den Herstellerabschlag für patentgeschützte bzw. neue Arzneimittel von sieben auf zwölf Prozent zu erhöhen. Das ist schnell umsetzbar und würde die GKV um etwa zwei Milliarden Euro jährlich entlasten. Längst überfällig ist auch die Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel. Diese könnte die GKV um weitere rund 6 Milliarden Euro jährlich entlasten. Als weiterer Punkt sollten die Kassen wieder die Möglichkeit bekommen, die Hilfsmittelversorgung auszuschreiben. Bis zu einer politischen Entscheidung im Jahr 2019 war dies erlaubt; seitdem sind die Ausgaben für Hilfsmittel von 8,4 Milliarden Euro im Jahr 2018 auf 11,2 Milliarden Euro im Jahr 2023 angestiegen. Hier kann und muss dringend nachgebessert werden!
Auf der Einnahmenseite muss die schon lange bestehende Forderung, dass versicherungsfremde Leistungen auskömmlich aus Steuergeldern bezahlt werden, endlich umgesetzt werden. Größter Posten sind hier, wie schon angesprochen, die Gesundheitsleistungen für Bürgergeldempfängern, für die der Staat der GKV jährlich rund 10 Milliarden Euro zu wenig erstattet.
TK: Wie muss das Gesundheitssystem für die Zukunft langfristig aufgestellt werden?
Puttfarcken: Bei der Frage geht es nicht nur um Kosten, sondern vor allem um Strukturen. Denn die Kosten in der GKV können mittel- bis langfristig nur durch Strukturreformen gedämpft werden, die die Versorgung zugleich auch effizienter machen. Wichtige Schritte sind die geplante Reform der Notfallversorgung und die Krankenhausreform. Eine konsequente Digitalisierung des Gesundheitssystems ist ein weiteres Investment, um Effizienzen zu heben, das sich langfristig positiv auf die Kosten auswirken kann. Wir stehen mit der elektronischen Patientenakte in Deutschland aktuell noch am Anfang. Unsere Nachbarländer zeigen schon lange, dass Patientinnen und Patienten mit einer vollständigen Datengrundlage auch besser - und effizienter - versorgt werden können.
Ganz wichtig ist aber auch: Wir dürfen die Sicht der Menschen auf das Gesundheitssystem nicht aus dem Blick verlieren. Aktuell steigt die finanzielle Belastung für die Versicherten immer mehr, zugleich aber sinkt ihre Zufriedenheit mit dem Gesundheitssystem. Das ist ein Ergebnis des TK-Meinungspuls . Viele gesetzlich Versicherte haben aktuell das Gefühl, dass sie lange auf einen Arzttermin warten müssen und das Gesundheitssystem immer schlechter funktioniert. Das ist nicht gut für unsere Demokratie. Denn in einer Zeit, in der vielerorts die Demokratie offen angefeindet wird, ist auch das Gesundheitssystem zwingend als eine Stütze für die Demokratie zu begreifen. Vor diesem Hintergrund gewinnen notwendige Strukturreformen noch einmal eine ganz besondere Bedeutung!