Zur Sache: TK-Osterempfang 2025
Interview aus Hamburg
Während die Koalitionsverhandlungen im Bund bereits beendet sind und der Koalitionsvertrag auf dem Tisch liegt, sind SPD und Grüne in Hamburg noch am Verhandeln. Ein guter Zeitpunkt also, um beim Jahresempfang der TK-Landesvertretung Hamburg darüber zu diskutieren, welche Herausforderungen im Gesundheitswesen warten und wie diese angegangen werden könnten.

Im Interview gibt Maren Puttfarcken, Leiterin der TK-Landesvertretung Hamburg, einen Einblick in die Inhalte des TK-Osterempfangs und welche Erwartungen es aus ihrer Sicht an die kommende Legislatur im Bund und in Hamburg gibt.
TK: Frau Puttfarcken, der Zeitpunkt des TK-Osterempfangs war für eine inhaltliche Schwerpunktsetzung sicherlich herausfordernd. Wie bewerten Sie die aktuelle Lage im Gesundheitswesen?
Maren Puttfarcken: Die letzten Monate waren eine besondere Zeit. Wir sind mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, nicht nur im deutschen Gesundheitswesen, sondern auch weltpolitisch. Dies hat den politischen Druck im Bund stark erhöht. Aber auch unser Gesundheitssystem ist in den vergangenen Monaten durch eine hohe Ausgabenentwicklung, eine schwächere Wirtschaftsleistung und den politischen Stillstand herausgefordert worden.
Daher denke ich, man kann sagen, dass die Erwartungen insgesamt sehr groß sind. Klar ist: Für das deutsche Gesundheitssystem benötigen wir dringend große Reformen - und kein "Weiter so". Deshalb haben wir haben im Vorfeld alle mit Spannung auf den Koalitionsvertrag für die neue Bundesregierung gewartet. Eine Woche vor unserem Osterempfang waren sie da. Natürlich haben wir die Gelegenheit genutzt, über die Ergebnisse zu diskutieren. Der Verlauf des Abends hat gezeigt, dass wir doch einen passenden Zeitpunkt für eine Veranstaltung gewählt haben.
Maren Puttfarcken
Die Schwerpunkte für die Gesundheitspolitik in den kommenden fünf Jahren sollten sein: mutige Umsetzung der Krankenhausreform, mehr Delegation ärztlicher Leistungen, Notfallversorgung auf den Prüfstand stellen und Verstetigung guter Projekte in der Gesundheitsförderung erleichtern.
TK: Wie bewertet die TK die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen im Bund zum Themenbereich Gesundheit und Pflege?
Puttfarcken: Wir haben schon vor der Wahl gesagt, dass im Gesundheitswesen dringend Maßnahmen eingeleitet werden müssen, um den Kostenanstieg zu dämpfen. Solche Maßnahmen finden sich im Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD leider nicht wieder. Ebenso ist - anders als im zuvor bekanntgewordenen Papier der Arbeitsgruppe - nicht mehr vorgesehen, dass eigentlich staatliche Ausgaben gerecht aus dem Bundeshaushalt und nicht aus Beitragsgeldern finanziert werden. Stattdessen setzt die neue Regierung auf Arbeitsgruppen. Aber die Zeit haben wir nicht! Das Ergebnis wird sein, dass die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung weiter steigen, obwohl wir schnelle Lösungen benötigen.
Gleichzeitig gibt es aber auch gute Ansätze im Koalitionsvertrag. Wie schon lange von der TK gefordert, gibt es einen weiteren Anlauf für eine Notfallreform. Auch die Digitalisierung soll vorangetrieben werden. Aus Sicht der TK sind das zwei wesentliche Stellschrauben, um die Versorgung zu verbessern. Wichtig ist auch, dass es künftig in der ärztlichen Versorgung strukturierte Zugangswege geben und eine digitale Ersteinschätzung etabliert werden soll. Über das Thema Steuerung in der ambulanten Versorgung haben wir auch bei unserem Osterempfang viel gesprochen.
TK: Eine bessere Steuerung der Patientinnen und Patienten war ja erst kurz vor der Bundestagswahl in den Fokus der gesundheitspolitischen Berichterstattung gerückt. Was schwebt der TK da vor?
Puttfarcken: Kurz gesagt möchten wir den Weg ‚Digital vor ambulant vor stationär‘ einschlagen. Das bedeutet: Bei neuen Behandlungsfällen in der Regelversorgung sollte immer erst eine digitale Ersteinschätzung vorgenommen werden, und das unabhängig vom Einsatzort - online oder am Praxistresen. Als Ergebnis erhält der Patient beziehungsweise die Patientin eine Behandlungsempfehlung mit Dringlichkeitsstufe. Wenn das Ergebnis ist, dass ein Hausarzt oder auch eine Fachärztin aufgesucht werden muss, gibt es dafür eine digitale Terminserviceplattform. Dort werden Terminkontingente vorgehalten und die Termine nach Dringlichkeit vergeben. Dafür müssen dort Vertragsärztinnen und -ärzte tagesaktuell Behandlungskapazitäten einstellen. Bei leichteren Fällen kann auch auf digitale Selbstversorgung oder Angebote aus der Telemedizin gesetzt werden. Notfälle werden in Integrierte Notfallzentren oder an den Rettungsdienst überwiesen.
Als Krankenkasse möchten wir auch eine aktivere Rolle in der Begleitung und Beratung unserer Versicherten einnehmen, zum Beispiel unterstützend bei der Terminfindung. Wir erhoffen uns dadurch eine schnellere und auch gerechtere Terminvergabe, die auf einer qualitätsgesicherten digitalen Ersteinschätzung basiert. Dadurch, dass Patientinnen und Patienten klar in die für sie richtige Versorgungsebene gelotst werden, kann aus unserer Sicht die Effizienz im System insgesamt gesteigert und die Qualität der Versorgung erhöht werden.
TK: Auch in Hamburg wird es bald einen neuen Koalitionsvertrag und damit neue Schwerpunkte in der Gesundheitspolitik geben. Worauf wird es in den nächsten fünf Jahren in der Hansestadt ankommen?
Puttfarcken: In Hamburg sind wir aktuell aktiv dabei, die Krankenhausreform des Bundes umzusetzen. Die Aufstellung eines neuen Krankenhausplans ist eine Chance, die wir nicht verstreichen lassen dürfen, um die Angebote noch besser aufeinander abzustimmen. Dazu müssen alle Beteiligten mutig sein, um die Zentralisierung von Leistungen und somit die Spezialisierung der Kliniken voranzutreiben. Das kann auch mit dem Schritt verbunden sein, dass überschüssige Kapazitäten an einzelnen Standorten abgebaut werden. Im Interesse unserer Versicherten und der Qualität der Versorgung werden wir uns dafür weiter einsetzen.
Ein zweites wichtiges Thema ist die Frage, ob wir mehr Delegation von ärztlichen Leistungen ermöglichen müssen. Im ländlichen Raum, wo der Arztmangel schon deutlich spürbarer ist, gibt es dafür bereits viele Ansätze. Mein Eindruck ist, dass wir hier in Hamburg aufholen können. Wir brauchen mehr Kooperationen zwischen den Gesundheitsberufen im Gesundheitswesen. Dies würde nicht nur die Ärztinnen und Ärzte entlasten, sondern auch andere Gesundheitsberufe attraktiver machen.
Im Bereich der Notfallversorgung brauchen wir ebenfalls eine stärkere Steuerung durch eine digitale Ersteinschätzung sowie eine bessere Verzahnung zwischen dem ärztlichen Bereitschaftsdienst und der Notrufnummer 112. Wenn es eine Notfallreform auf Bundesebene gibt, bietet dies die Chance, den Status quo der Notfallversorgung auch in Hamburg auf den Prüfstand zu stellen. Hier wünschen wir uns eine ehrliche Debatte über passende Standorte und die Verteilung über das Stadtgebiet. Bei einer bundesweiten Notfallreform muss darüber hinaus unbedingt der Rettungsdienst im Sozialgesetzbuch V berücksichtigt werden. Gerade hier in Hamburg klettern die Gebühren für den Rettungsdienst von Jahr zu Jahr nach oben, und es gibt keinerlei Möglichkeiten, dies auf dem Verhandlungsweg zu ändern. Das darf perspektivisch nicht so bleiben.
Ein Thema, bei dem wir in Hamburg gut an einem Strang ziehen, ist der Bereich Prävention und Gesundheitsförderung in den Lebenswelten. Doch insbesondere die Lebenswelten Kita, Schule und Pflegeeinrichtungen stehen vor der großen Herausforderung, dass sie Angebote gern dauerhaft implementieren möchten. Auch in anderen Bereichen der Gesundheitsförderung werden gute Projekte angestoßen, aber es gelingt nicht, sie zu verstetigen. Aus unserer Sicht müssen wir dazu mit allen Beteiligten ins Gespräch kommen. Die Akteure vor Ort benötigen Zeit für eine Qualifizierung, um langfristig Ansätze der Gesundheitsförderung in den Lebenswelten umzusetzen und Projekte weiterzuführen. Dazu müsste teilweise auch ein neuer gesetzlicher Rahmen geschaffen werden. Dieses Thema bewegt uns schon sehr lange - es wäre schön, wenn wir hier in den kommenden fünf Jahren einen Schritt vorankämen!
Weitere Eindrücke zum TK-Osterempfang 2025 gibt es im Nachbericht und auf dem LinkedIn-Account der TK-Landesvertretung Hamburg.